Marketing-Parolen verstellen den Blick auf das Wesentliche:

Offenheit heißt vor allem Integrierbarkeit

21.07.1989

Die kürzlich erfolgte Gründung der "CTOS/OPEN Initiative" (siehe Kasten) provoziert einmal mehr die Frage, was eigentlich ein offenes System" ausmacht. Nach Ansicht von Eugen Volbers* ist ein System nur dann offen, wenn es sich nahtlos in eine umfassende informationstechnische Lösung einfügen läßt.

Offene Systeme durchdringen die (DV-)Welt. Es gibt wohl kaum einen Hersteller, der nicht auf Offenheit setzt: offene Architekturen, offene Betriebssysteme, offene Kommunikation. Woher resultiert dieser Trend zu offenen Systemen? Und vor allem: Was ist eigentlich ein offenes System?

Vordergründig sehen manche Bekenntnisse der DV-Hersteller zur Offenheit ihrer Systeme eher wie eine Marketingmaßnahme aus. Tatsächlich verbirgt sich jedoch dahinter eine fundamentale Veränderung in der Nutzung von Informationstechnologie (IT) und im Markt hierfür.

War die traditionelle Datenverarbeitung in erster Linie für administrative Aufgaben in den Unternehmen zuständig, so sieht sich die heutige DV einem völlig neuen Anspruch gegenüber: Unternehmensweit verteilte integrierte Informationssysteme werden für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in Zukunft unabdingbar sein.

Die Realisierung derartiger Systeme kann weder in einem einzigen Schritt noch mit einem einzigen Anbieter als "Generallieferant" erfolgen. Aus diesem Grund sind Komponenten mit dokumentierten Anschlußmöglichkeiten an andere gängige Komponenten von grundlegender Bedeutung für die Verwirklichung künftiger Informationssysteme. Offene Systeme sind eine zwingende Notwendigkeit, um Strukturen zu schaffen, die unternehmensweit integriert funktionieren.

Für den DV-Anwender bringen offene Systeme eine Reihe von Vorteilen mit sich. Zunächst einmal verringert sich die Abhängigkeit von einem bestimmten Hersteller. Das bedeutet zwar nicht, daß der Anwender in offenen Umgebungen jederzeit die völlig freie Wahl bei Hardware- und Softwareentscheidungen hat; aber der Systemwechsel ist im Vergleich zur herkömmlichen Situation mit herstellerspezifischen Architekturen deutlich einfacher geworden.

Die geminderte Abhängigkeit bedeutet zugleich einen höheren Investitionsschutz für den Anwender, weil er in der Zukunftsgestaltung seiner DV-Anlage nicht mehr auf einen einzigen Hersteller und dessen Gebahren angewiesen ist. Dieser verstärkte Wettbewerb auf der Herstellerseite bringt dem Anwender zudem auch potentielle Preisvorteile bei Hardware und Software.

Für die DV-Hersteller sind offene Systeme angesichts des Wandels im Markt zur Notwendigkeit geworden. Dem Hauptnachteil dieses Trends aus Anbietersicht - nämlich dem verschärften Wettbewerb - stehen eine Reihe von Vorteilen gegenüber. Einer der wichtigsten ist darin zu sehen, daß ein Hersteller nicht mehr alles anbieten muß (und auch nicht kann), was für die Realisierung komplexer IT-Systeme benötigt wird.

Vielmehr kann sich der Anbieter heute auf Komponenten beschränken, bei denen seine Stärken liegen, also beispielsweise auf Workstations, Betriebssysteme oder Kommunikationssoftware. Durch die Anschlußmöglichkeit der Komponenten lassen sich diese (mehr oder minder) problemlos in umfassendere Systeme einfügen.

Damit ist allerdings die Frage, wodurch ein offenes System im einzelnen gekennzeichnet ist, noch nicht beantwortet. Ohne diese Festlegung läßt sich indes kaum bestimmen, welche Systeme (oder Komponenten) offen sind - und welche nicht.

Es gibt keine allgemeingültige Definition für offene Systeme. Man kann jedoch einen Katalog von Kriterien aufstellen, durch die offene Systeme typischerweise gekennzeichnet sind. Hierzu gehören:

- definierte und robuste Softwareschnittstellen,

- Verfügbarkeit von mehreren unabhängigen Quellen (Anbietern),

- Verfügbarkeit auf mehreren Hardwareplattformen,

- definierte I/O-Bus-Spezifikationen,

- Nutzung von gängigen Bildschirmdarstellungen,

- breite Verfügbarkeit von Anwendungssoftware und

- leichte Portierbarkeit von Applikationen.

Wenn es überhaupt ein System gibt, das allen Kriterien genügt, so ist es der IBM PC/XT/AT - sofern man die Kompatiblen berücksichtigt. Viele andere Hardware- und Softwaresysteme erfüllen nur einige der genannten Anforderungen, gelten aber dennoch als offen, wie eine Betrachtung der Betriebssysteme beispielhaft zeigt.

So ist MS-DOS ohne Zweifel ein System, das einer Reihe von Merkmalen entspricht. Einem Kriterium genügt es jedoch nicht: der Verfügbarkeit von mehreren unabhängigen Quellen. MS-DOS ist abhängig von Microsoft und IBM. Gleiches gilt in noch stärkerem Maße für OS/2.

Auch Unix - gemeinhin als Synonym für offene Systeme erachtet - war lange Zeit im Grunde ein herstellerspezifisches Betriebssystem, mit dessen Hilfe AT&T seinen Einfluß auf die DV-Branche geltend machen wollte. Erst durch Initiativen wie die Open Software Foundation und Unix International ist Unix ein offenes Betriebssystem geworden, allerdings (zumindest vorläufig) auf Kosten der Einheitlichkeit .

Auch hinter dem Betriebssystem CTOS steht nicht ein einzelner Anbieter, sondern eine Reihe von Unternehmen. Darunter Marktwettbewerber wie Bull, Unisys, Recognition Equipment, MDS und Telenorma. CTOS erfüllt mehrere der oben genannten Merkmale für offene Systeme, etwa bezüglich I/O-Bus, Bildschirmdarstellung und Anwendungsportabilität. Dennoch wird CTOS im Gegensatz zu MS-DOS, OS/2 und Unix herkömmlicherweise noch nicht als offenes System gewertet.

OS/2 hingegen wird bereits heute in weiten Teilen der DV-Branche einschließlich der Anwender als offenes System mit glorreichen Zukunftsaussichten erachtet, obgleich die weltweite Installationsbasis mit 90000 Einheiten (laut IDC) nach wie vor gering ist. Eine Rolle spielt hier ein Aspekt, der sich nicht in einen Kriterienkatalog packen läßt: die Akzeptanz von Systemen als offen in der Fachöffentlichkeit. Diese Akzeptanz hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die mit Produktmerkmalen oder Marktsituation nur wenig Zusammenhang aufweisen.

Es ist bislang nicht abzusehen, daß sich künftig ein einzelnes Hardware- oder Softwaresystem dominierend am Markt durchsetzt und Alternativen beiseitedrängt. Vielmehr ist die Koexistenz unterschiedlicher Rechnerarchitekturen (etwa die Intel- und die Motorola-Linie oder diverse RISC-Architekturen) und verschiedener Betriebssysteme zu erwarten.

Systeme, die hier ihre Bedeutung behalten wollen, werden sich im wesentlichen durch ein Kriterium für Offenheit auszeichnen müssen: nahtlose Einpaßbarkeit in gängige IT-Umgebungen. Nur Komponenten die diese Bedingung erfüllen, dürfen auf eine Zukunft hoffen.

Ein System mit vielen Namen

Die "CTOS/Open Initiative" wurde von den Hardwareanbietern Bull und Unisys initiiert. Ziel dieser Initiative ist es, für die verschiedenen Ausführungen des Betriebssystems CTOS einen "offenen Standard" zu entwickeln. Das nach Herstellerangaben insgesamt etwa 700 000 mal installierte System wird bislang in einer Reihe von proprietären Versionen vertrieben: So bietet MDS es als "H/OS" an, Telenorma als "TNOS", Bull als "Starsys" und Unisys als "BTOS". Die beiden letztgenannten haben jedoch die Absicht bekundet, künftig nur noch die Bezeichnung "CTOS" zu verwenden. Entwickelt wurde das Betriebssystem als "Convergent Technologies Operating System" von der frischgebackenen Unisys-Tochter Convergent Technologies, die es 1982 zur Vermarktung freigab. Wie die Unisys Deutschland GmbH mitteilt, ist das System Multiuser- und Multitasking-fähig; außerdem verfüge es über Controller- und Server-Fähigkeiten sowie ein Realtime-Update-System. Darüber hinaus biete CTOS ein "umfassendes" Sicherheitssystem. CGA, EGA, Ethernet, TCP/IP, OSI und X.25 würden bereits unterstützt; VGA, Posix und Token Ring sollen demnächst folgen.