Offene DV-Systeme: Illusion - oder erreichbare Wirklichkeit?

21.04.1978

MÜNCHEN/DARMSTADT (ee) - "Offene DV-Systeme: Illusion - oder erreichbare Wirklichkeit" nannte sich eine Panel-Veranstaltung der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) in Darmstadt. Die Statements auf diesen Seiten sprechen für sich. Und zugleich begründen diese Experten-Aussagen einmal mehr, wie notwendig sachlich-fachliche Diskussionen zum Thema offene DV-Systeme geworden ist. Genau in diese Kerbe zielt denn auch das öffentliche Hearing, das die Computerwoche zum Thema "Datenfernverarbeitungskonzepte für morgen - programmierte Interessenkollision" durchführt. Hochkarätige Fachleute aus der Wissenschaft, der Industrie und vor allem von der Anwenderseite werden Stellung nehmen und versuchen, das gemeinsam Machbare und Wünschenswerte bei Datenfernverarbeitungs-Konzepten für morgen herauszuarbeiten. Teilnehmer des CW-Round-Table-Gesprächs, das am 25. April von 14 bis 16 Uhr im Saal Goslar in der Halle 1 stattfindet: Dr. Richard Nowak vom Sparkassen- und Giroverband, Bonn, Klaus Steckel vom Rechenzentrum Steckel, Berlin, Dr. Hans-Jürgen Scheuten, Rheinisches Genossenschaftszentrum, Köln, Dr. Gert Bindels, der die Honeywell Bull AG verläßt, Walter Schroeder, Siemens AG, Heinz Sarbinowski, GMD-Darmstadt, Ministerialrat Jürgen Bohm, Bundespostministerium, und IBM.

- Um den Zugang zu und den Verbund von Diensten zu ermöglichen, ist eine leistungsfähige Infrastruktur für den Datentransport erforderlich. Diese Infrastruktur umfaßt Anschluß- und Vermittlungsleistung, aber auch die Festlegung von Regeln für die Kommunikation.

Welche langfristigen Ziele verfolgt das Bundespostministerium beim Ausbau der

Datenkommunikations-Infrastruktur?

- Für die Erfassung und Bereithaltung von Informationen werden große Mengen öffentlichen und privaten Geldes ausgegeben. Die Entwicklung eines offenen Informationsmarktes mit einem qualitativ hochwertigen Angebot auf der einen Seite und einem chancengleichen Zugang für alle interessierten Anbieter und Abnehmer auf der anderen Seite kann ein wichtiger Überlebensfaktor für die Zukunft werden.

Welche Ziele verfolgt das I- & D-Programm der Bundesregierung in diesem Zusammenhang?

- Die Forderung nach "offenen DV-Systemen" steht im Widerspruch zum derzeitigen Entwicklungstrend bei den DV-System-Herstellern: Jeder große Hersteller entwickelt seine eigene System-Architektur für DFV; die kleineren Hersteller bieten kompatible Schnittstellen zu den Systemen der Marktführer; die Softwarehäuser verdienen ihr Geld mit Anpassungssoftware.

Welche Bedeutung mißt das BMFT der Entwicklung "offener DV-Systeme" zu und welche Maßnahmen werden ergriffen ?

- Entwurf, Implementation, Test und Wartung von geographisch verteilten DV-Systemen sind noch schwieriger und kostspieliger als von lokalen Systemen. Die für "offene Systeme" notwendigen Standardisierungs- und Normungs-Vereinbarungen werfen Grundfragen des Systemverständnisses und der Systemstrukturierung auf.

Welche Rolle können herstellerunabhängige Forschungseinrichtungen bei der Lösung dieser Probleme spielen?

Friedhelm Hillebrand

Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen

DFV-Anwendungen und DÜ-Dienstleistungen der Deutschen Bundespost haben sich seit Anfang der 60er Jahre entwickelt. Trotz eines starken Wachstums in der Vergangenheit steht die eigentliche Expansion noch bevor. Heute existieren meist insulare Netze einzelner Anwender, zwischen denen Verkehr kaum möglich ist. Mangelnde Kompatibilität behindert die freie Kommunikation. Mangelnde Kompatibilität und fehlende allgemein akzeptierte Standardisierung verhindern große Stückzahlen, führen zu hohen Preisen und behindern viele Anwendungen und das weitere Wachstum.

Ziel der Fernmeldebetriebsgesellschaften ist es, weltweit die freie Kommunikation zwischen allen Anwendern zu fördern und zu ermöglichen. Hierzu stellen sie öffentliche Netze bereit. Die DBP sieht in dem geplanten öffentlichen Datenpaketvermittlungs-Dienst einen Basisdienst für kompatible Datenübermittlung, der im Bereich der Datentransportfunktionen die freie Kommunikation zwischen allen Dienstteilnehmern zu attraktiven Gebühren ermöglichen soll. Als Datentransport sind hier die Funktionen der physikalischen Ebene, der Netzzugangsprozedur sowie des Vielfachzugangs über eine Leitung gemeint. Dieses Datentransportsystem bietet vermittelte und feste Verkehrsbeziehungen mit weitgehender gemeinsamer Nutzung der Betriebsmittel des Netzes sowie Geschwindigkeitswandlung. Die Kommunikation aller untereinander wird ermöglicht entweder indem die Teilnehmer die standardisierten Schnittstellen und ihre Prozeduren anwenden oder indem vom Netz in Teilbereichen Anpassungsdienstleistungen erbracht werden.

Um die freie Kommunikation zwischen Prozessen und zwischen Prozessen und Anwendern zu ermöglichen sind jedoch noch Vereinbarungen für "höhere" Dienstleistungen erforderlich, die sich des Basisdienstes der Datenpaketvermittlung als transparentes Datentransportsystem bedienen. Für einige dieser Dienstleistungen kann ein solches Netz unterstützende Funktionen erbringen (Terminalunterstützung), für andere ist es denkbar, Absprachen zwischen Anwendern, EDV-Herstellern und Netzbetreibern zu treffen, die die freie Kommunikation ermöglichen .

Sind offene DFV-Systeme aus Sicht der DBP realisierbar?

Erarbeitete und vor allem durchgesetzte Normen erleichtern dies. In diesem Bereich haben die Fernmeldegesellschaften in der Vergangenheit erhebliche Beiträge geleistet und werden darin fortfahren. Ein in der Bundesrepublik Deutschland unter attraktiven Bedingungen angebotener Datenpaketvermittlungs-Dienst könnte die Akzeptanz einheitlicher Schnittstellen- und Prozedur-Normen und damit die freie Kommunikation fördern. Die DBP leistet in diesem Bereich Beiträge zur Förderung offener DFV-Systeme mit Pilotprojekten (BERNET, EURONET) und den Untersuchungen über die Einführung eines öffentlichen Datenpaketvermittlungsdienstes. Dabei will die DBP nicht die Datenverarbeitung regeln oder einschränken. Sie will vielmehr durch das Angebot eines Datenpaketvermittlungsnetzes die freie Kommunikation zwischen allen Teilnehmern so weit wie irgend möglich ermöglichen.

Dr. Günter Marx

Bundesministerium für Forschung und Technologie

Der in den letzten Jahren erreichte Entwicklungsstand und das noch vor uns liegende Entwicklungspotential bei den Kleinrechnern, den Endgeräten und in der Datenverarbeitung ermöglichen heute bereits dezentrale Alternativen zur frühen ausschließlich zentralen organisierten Datenverarbeitung.

Ausschließlich zentrale technische Lösungen können auf die Dauer nicht ohne Wirkung auf die Arbeitsplatzstruktur und auf die Qualität von Dienstleistungen bleiben: Die zentral organisierte Technik führt zu einer Konzentration der Sachaufgaben in die Hauptverwaltungen. Die Folge ist dann eine Entmündigung der Agenturen und Ortsverwaltungen und letztlich eine Aufgabenentleerung der Flächengebiete zu Gunsten der Ballungszentren. Mit Hilfe der Datenverarbeitung läßt sich dieser Entwicklung durch vor Ort installierte Endgeräte oder Kleinrechner entgegensteuern. Dann sind bürgernahe Verwaltung oder kundennahe Dienstleistung und technische Rationalisierung wieder miteinander vereinbar.

Dezentrale Lösungen geben dem Einzelnen, der sich der Datenverarbeitung zu seiner Unterstützung bedient, einen gewissen Freiheitsrahmen, in dem er seine technischen Hilfen selbst organisieren und seine Aufgabenerfüllung selbst gestalten kann.

Nicht zuletzt ist die Datenfernverarbeitung für kleine und mittlere Unternehmen und für solche Anwender, die sich nur gelegentlich der Datenverarbeitung bedienen wollen, eine erschwingliche und kostengünstige Lösung. Die Datenfernverarbeitung kann die Eintrittsschwelle in die Datenverarbeitung deutlich senken.

Es gibt also eine ganze Reihe von Gründen, Konzepte der zentralen Datenverarbeitung als Alternativen neben den mit Sicherheit auch künftig berechtigten zentralen Systemen zu fördern.

Die Datenverarbeitungs-Hersteller haben den Markt dezentraler Lösungen erkannt und sie haben auf ihre Weise reagiert. Die großen Hersteller haben ihre eigenen, firmengebundenen Fernverarbeitungs-Strukturen und Fernverarbeitungs-Standards entwickelt. Auf diese Weise entstehen nun herstellergeprägte Netzinseln, an die sich die Hersteller von Kleinrechnern und Endgeräten nur dann anschließen können, wenn sie diesen Firmenstandards folgen. Damit aber können sie in eine existentielle Abhängigkeit von den Herstellern großer Datenverarbeitungs-Systeme geraten.

Aber auch die Bindung der Kunden an den einmal ausgewählten Hersteller wird durch die Hersteller-Netze immer enger werden. Bei Ersatz- oder

Erweiterungsbeschaffungen kann er im Rahmen des Netzes nur immer wieder auf den gleichen Hersteller zurückgreifen. Von Wettbewerb wird man dann kaum noch reden können: Der Kunde wird im Netz des Herstellers gefangen.

Von ihrem Standpunkt aus haben die großen Firmen also ganz logisch aus ihrer ureigensten Interessenlage heraus reagiert. Aber liegt ihre Strategie auch im öffentlichen Interesse? Abgesehen von einigen Pionierleistungen, die den technischen Fortschritt angestoßen haben, wohl kaum:

- Die Firmennetze sind weder flächendeckend noch für sehr große Teilnehmerzahlen geeignet. Dies muß aber gefordert werden, weil abzusehen ist, daß die Fernverarbeitungs-Netze zur allgemeinen Infrastruktur künftiger Datenverarbeitung schlechthin werden.

- Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland eine ganze Reihe von Herstellern, die Kleinrechner, Kleinstrechner und Endgeräte hier entwickeln, fertigen und vertreiben. Die breite Palette ihres Angebotes kann aber nur dann in Netzen nutzbringend Verwendung finden, wenn freizügige Anschlußmöglichkeiten geschaffen werden.

- Auch der deutsche Hersteller von großen Datenverarbeitungs-Systemen wurde sich langfristig in eine schwerwiegende Abhängigkeit vom Marktführer begeben, wenn er nur dessen Netzkonzept nachahmt. Er müßte dann jede Veränderung, die der Marktführer an seinen Firmenstandards vornimmt, nachvollziehen - und zwar sehr schnell, um konkurrenzfähig zu bleiben.

In den USA sehen wir heute eine Gegenstrategie der nachrichtentechnischen Firma Bell. Aus ihrer andersartigen Interessenlage heraus verficht sie herstellerneutrale, flächendeckende Netze.

Die Forderung nach "offenen" Netzen in der Bundesrepublik Deutschland kann nicht nachdrücklich genug erhoben werden.

"Offen" heißt dabei einmal: offen gegenüber den Herstellern. Jedes Endgerät sollte an jeden Rechner angeschlossen werden können, jeder Rechner sollte mit jedem anderen Rechner kommunizieren können.

Und zum anderen: offen gegenüber Erweiterungen. Jedes Netz sollte jederzeit durch weitere Geräte ergänzt und ausgebaut werden können.

Hierfür brauchen wir Normen und Standards, die den Verkehr zwischen Rechnern und mit Endgeräten regeln. Wie immer im Normungsgeschehen muß ein Weg gesucht werden, der die notwendigen Regelungen schafft, aber dennoch den technischen Fortschritt nicht behindert. Bevor genormt oder standardisiert werden kann, muß eine intensive und sorgfältige Entwicklungsphase abgeschlossen sein und man braucht Betriebserfahrungen. Deshalb hat es auch einige Zeit gedauert, bis mit der Schnittstelle X 25 eine vorläufige Basis für den Verbindungsaufbau geschaffen wurde. Darauf können nun die höheren Protokollebenen aufbauen.

Sie haben nach den Förderungsmaßnahmen gefragt. Da gibt es einmal den Pilotkomplex PIX, in dem an mehreren Hochschulen und wissenschaftlich-technischen Rechenzentren der Verbund zwischen verschiedenen Rechnern gefördert wird. Ich hoffe, daß wir in nächster Zeit ein ähnliches Projekt im kommerziellen Bereich, beispielsweise bei Dienstleistungsrechenzentren, in Angriff nehmen können. Zum anderen gibt es Grundlagenentwicklungen wie das "Virtuelle Terminal" zur Kompatibilität von Endgeräten und die Entwicklung von logischen Prozeduren für den Verbundbetrieb. Insgesamt hat das BMFT im Jahre 1977 Projekte der Datenfernverarbeitung mit etwa 7,5 Millionen Mark gefördert.

Besonders aber ist hervorzuheben, daß mit dem Institut für Datenfernverarbeitung der GMD hier in Darmstadt eine zentrale Stelle für die Forschungs- und Entwicklungsprojekte auf diesem Gebiet aufgebaut wurde. Das Institut für Datenfernverarbeitung ist in alle einschlägigen Förderprojekte, aber auch in das entstehende Hochschul- und Verwaltungsnetz von Nordrhein-Westfalen und in die EURONET-Aktivitäten beratend und mitgestaltend eingebunden. Darüber hinaus unterhält das Institut einen sehr engen Kontakt mit dem fernmeldetechnischen Zentralamt der Deutschen Bundespost.

Friedrich Winkelhage

Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung Bonn, Wissenschaftlich -Technischer Geschäftsführer

Offene DV-Systeme stellen eine fachliche Herausforderung für herstellerunabhängige Forschungseinrichtungen dar. Die zu erwartenden Beiträge dieser Forschungseinrichtungen zum Problemkreis offene DV-Systeme kann man wie folgt schwerpunktmäßig skizzieren:

- Kopplung von Struktur-Forschung, Methoden-Entwicklung und Pilot-Anwendung in nichtprofitbestimmten Vorhaben.

- Umsetzung von Struktur-, Methoden- und Implementationserfahrung in herstellerunabhängige Normungsbeiträge.

- Streuung von Know-how durch Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellern in Pilot-Implementierungen.

- Internationale Zusammenarbeit in länderübergreifenden Projekten zur fachlichen Konsens-Bildung im Vorfeld der Normung.

- Herstellerunabhängige Meinungsbildung bei DV-Anwendern und DV-Dienstanbietern.

Heinz-E. Jonas

Bundesministerium für Forschung und Technologie Referat Information und Dokumentation

Mit dem Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation wurden umfassende Maßnahmen mit dem Ziel eingeleitet, durch Erweiterung und Verbesserung der Informationsleistungen, die Effizienz von Forschung, Entwicklung und Ausbildung zu erhöhen und den Innovationsprozeß zu beschleunigen, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken sowie der Berufs- und Arbeitswelt angemessene Hilfe zu leisten, die Planungs- und Entscheidungstätigkeit zu unterstützen und die Informationsmöglichkeiten für den Bürger und die gesellschaftlichen Gruppen zu verbessern.

Neben der Fortentwicklung der vorhandenen Informations-Einrichtungen zu leistungsfähigen überregionalen Einheiten erfordert die Deckung des differenzierten Informationsbedarfs der modernen Gesellschaft die Integration der vielfältigen Einrichtungen der Fachinformation und der Literaturversorgung zu einem öffentlich zugänglichen multimedialen Verbund von Produzent, Anbieter und Nutzer der Information. Basis dieses Verbundes ist das im Aufbau befindliche DV-gestützte Kommunikationsnetz für den Direktzugriff zu Datenbasen. Das Netz soll neben dem DV-gestützten interdisziplinären Verbund der zentralen Fachinformations-Einrichtungen und öffentlichen Informationsstellen der Verwaltung (Statistische Bundesamt, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung etc.) auch bibliothekarische Informationseinrichtungen der Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik sowie Informations-Einrichtungen von Verlagen und Buchhandlungen und das überregionale Literaturnachweis und Fernbestellungssystem der Bibliotheken umfassen. Ferner sollen in den Kommunikationsverbund die problemorientierten und anwendernahen Informationsvermittlungs- und Beratungsstellen integriert werden.

Durch den Verbund von Informationsdiensten mit Literaturversorgungsdiensten und eventuell Verlagen und Buchhandel wird eine rasche Informationsversorgung über das gesamte Dienstleistungsspektrum von der problembezogenen Literatur- und Datenrecherche bis hin zur Lieferung von Ausdrucken und Fernleihe oder Bestellung der Primärliteratur ermöglicht werden können. Durch den Anschluß des nationalen Datenübertragungsnetzes an Euronet wird unseren Informationsnutzern der wirtschaftliche Zugriff zu ausländischen Informationszentren ermöglicht, andrerseits unseren Informationszentren der europäische Markt eröffnet.