Projekte mit langen Laufzeiten

Öffentlicher Dienst profitiert vom Wissen der IT-Freiberufler

01.04.2014
Von 
Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.
Von wegen langweilig: Externe IT-Profis arbeiten gerne in der öffentlichen Verwaltung. Die Aufgaben sind technisch und inhaltlich oft spannender als gedacht, die Projekte haben lange Laufzeiten, und die Auftraggeber zahlen meist pünktlich.

Dass Behörden und Verwaltungen bei Hochschulabsolventen und Young Professionals nicht das beste Image haben, ist nichts Neues. IT-Freelancer dagegen schätzen eine gewisse finanzielle Sicherheit, die langfristige Mitarbeit in Projekten und den Wissenszuwachs auf Gebieten, in denen die Konkurrenz nicht so groß ist. "Externe, die über den Tellerrand hinausblicken, entdecken zunehmend ihr Interesse für den öffentlichen Dienst", sagt Carlos Frischmuth, beim Personaldienstleister Hays verantwortlich für Kunden aus dem Behördenumfeld. Allerdings sei vielen öffentlichen Auftraggebern das Potenzial von IT-Freiberuflern noch nicht ausreichend als Alternative bekannt. Laut Frischmuth arbeiten die Öffentlichen bevorzugt mit eigenen IT-Fachkräften, die aber durch den Wettbewerb mit den privatwirtschaftlichen Arbeitgebern immer schwerer zu bekommen seien - "hier findet erst langsam ein Umdenken statt". Dabei haben die freiberuflichen IT-Experten für den Public Sector einiges zu bieten: Sie verfügen über Erfahrung, haben in puncto Qualifikation die Nase vorn, waren bereits auf vielfältigen Gebieten tätig und sind mit Projekt- und Teamarbeit seit Jahren vertraut.

Freiberufler entdecken die öffentliche Verwaltung als Auftraggeber mit interessanten Projekten.
Freiberufler entdecken die öffentliche Verwaltung als Auftraggeber mit interessanten Projekten.
Foto: Africa Studio, Fotolia.com

Zu den Unternehmen im öffentlichen Sektor, in denen Freelancer aufgrund ihres Spezialwissens dringend benötigt werden, gehört die Gematik. Als bundesweites Kompetenz- und Kommunikationszentrum ist sie vom Gesetzgeber mit Einführung, Betrieb und Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen, der elektronischen Gesundheitskarte sowie zugehöriger Fachanwendungen beauftragt.

Ulf Hönick, Gematik: Für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte sucht er dringend IT-Security-Spezialisten, gerne freie.
Ulf Hönick, Gematik: Für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte sucht er dringend IT-Security-Spezialisten, gerne freie.
Foto: Gematik

"Seit die neue Gesundheitskarte ins Feld gebracht worden ist, benötigen wir dringend entsprechende Spezialisten", erklärt Ulf Hönick, Gesamtprojekt-Manager bei der Gesellschaft für Telematikandwendungen der Gesundheitskarte. Eine der größten Anforderungen für ein solches Projekt sei die IT-Security. Leider gebe es hierfür zu wenige Spezialisten. Gebraucht würden sie dringend für die Public Key Infrastructure (PKI) im Rahmen der sicheren Vernetzung. "Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist erst die Spitze des Eisbergs der flächendeckenden Vernetzung des Gesundheitswesens", so Hönick weiter. Den wenigsten sei bewusst, dass es sich langfristig um eines der größten IT-Infrastrukturprojekte in Europa, wenn nicht sogar weltweit handele.

Wer die Branche kennt, ist im Vorteil

Um dieses Projekt über die Bühne zu bringen, arbeitet die Gematik mit über 200 fest angestellten Mitarbeitern und etwa 40 Freelancern. Damit ist Hönick zufolge das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Neues Personal stehe ganz oben auf der Prioritätenliste. Die Externen, die über spezielles Know-how verfügen müssten, würden entweder von professionellen Vermittlern rekrutiert oder über klassische Beratungsfirmen, die über öffentliche Aufträge im Kompetenzzentrum arbeiteten. Die Eintrittskarte für den Job sei eine gute Vernetzung im deutschen Gesundheitswesen - gepaart mit fundiertem Fachwissen.

Für Hönick steht fest, dass Freelancern in Projekten des Gesundheitssektors oder bei anderen öffentlichen Auftraggebern anschließend vielfältige Beschäftigungsoptionen offenstehen: "Von der Industrie werden sie mit Handkuss genommen, weil das im öffentlichen Sektor gewonnene Know-how immens wichtig ist." Oftmals werde den Externen eine Festanstellung angeboten - auch bei der Gematik komme das vor.

Mit IT-Freelancern arbeitet auch das Hamburger Hafen-Management zusammen. "Das gilt vor allem bei starken Anfragen oder bei Neueinführung oder Änderung eines Systems", sagt Christian Bieler, IT-Leiter bei der Hamburg Port Authority (HPA), einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Unterstützung durch Freiberufler ziehe sich durch alle IT-Bereiche, in denen die IT-Betrieb im Haus selbst betrieben werde, etwa bei der Systemadministration oder im SAP-Umfeld.

Christian Bieler, Hamburg Port Authority: "Auf Externe zurückzugreifen ist eine Möglichkeit, auf Schwankungen zu reagieren."
Christian Bieler, Hamburg Port Authority: "Auf Externe zurückzugreifen ist eine Möglichkeit, auf Schwankungen zu reagieren."
Foto: Hamburg Port Autorithy

Bieler ist überzeugt, dass das Personalbudget auch im öffentlichen Sektor immer wichtiger wird: "Auf Externe zurückzugreifen ist eine Möglichkeit, um auf Schwankungen in der Arbeitswelt zu reagieren." Die Projekte würden grundsätzlich laut EU-Regel ausgeschrieben. IT-Freelancer, aber auch Personalvermittler könnten darauf ein Angebot abgeben. Das Prozedere hänge von der Auftragsgröße und anderen Rahmenbedingungen ab. Für Freiberufler sieht der IT-Chef gute Chancen, wenn es um kleinere Einstiegsprojekte geht. Vorausgesetzt, ihr Angebot sei überzeugend. Seiner Meinung nach erfordern komplexe Projekte im öffentlichen Sektor - wie etwa bei der Rekommunalisierung (Stadtwerke) oder der Verwaltungsmodernisierung - immer mehr qualifizierte Freelancer: "Deshalb ist es unklug, wenn Freiberufler sich nicht mit diesem Markt auseinandersetzen."

Es wird nicht langweilig

Diese Einschätzung kann IT-Freelancer Günter Harke nur bestätigen: "Das Projekt, in dem ich die vergangenen beiden Jahre tätig war, gehört zu den spannendsten meiner Karriere." Die Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) suchte einen technischen Berater für ein Internet-Portal, das den Wirtschaftsstandort Brandenburg darstellen soll. Alle Informationen, die ein Unternehmen benötigt, um in diesem Bundesland zu investieren, sollten dort präsentiert werden: beispielsweise Entfernungen des gewünschten Standorts zu Autobahnen, Zulieferern, Schulen oder Freizeiteinrichtungen.

Dass zu seinen Schwerpunkten unter anderem Internet-Know-how, IT-Infrastrukturen und das Thema Datenschutz gehören, habe Harke geholfen, den Zuschlag zu erhalten. Unter anderem habe die ZAB, zuständig für die Ansiedlung neuer Investoren, einen technischen Berater gesucht, der in Sachen IT-Sicherheit fit sein sollte. Für den Auftraggeber war der hundertprozentige Schutz der Portaldaten immens wichtig. Auch hier konnte Harke als Datenschutzbeauftragter mit seinem Wissen punkten. Dazu kam, dass er - sowohl als Festangestellter wie als Freiberufler - bereits Projekte dieser Art umgesetzt hatte: "Neben der Erfahrung war mein wichtigstes Argument das Technikwissen in puncto Infrastruktur mit Anbindung an das Internet." Den Projektauftrag erhielt er nach dem Telefoninterview mit einem Vertreter der ZAB und nachdem sein Personaldienstleister den Zuschlag für das elektronisch ausgeschriebene Angebot bekommen hatte.

Behörden bezahlen zuverlässig

Harkes Hauptaufgabe bei dem mittlerweile online gestellten Projekt besteht auch weiterhin in der technischen Beratung. Dass das Portal langfristig angelegt ist, bedeutet für den IT-Freelancer auch eine gewisse finanzielle Absicherung: "Der öffentliche Sektor kann der Industrie mit seinen Jobs durchaus Paroli bieten." Es seien interessante Aufgaben dabei, die Projekte insgesamt nachhaltiger, und die Behörden bezahlten auf jeden Fall alle Rechnungen.

Lob für den öffentlichen Sektor hat auch Kim Jung übrig, der lange Jahre als Spieleentwickler tätig war und jetzt die DB Systel beim Aufbau des 3D-Produkts "WorldInsight" berät. "Heutzutage denken auch Behörden der öffentlichen Hand über innovative Produkte nach", sagt Jung. Teils liegt das am Kostendruck, teils am Wunsch nach einer zeitgemäßen IT auch für den Bürgerkontakt. Jungs Erfahrung nach kommen aus Verwaltungen immer mehr interessante IT-Aufträge, die am Puls der Zeit sind.

Große Erfolge in der Spieleindustrie hat Jung mit Hilfe von Game-Engines erzielt, heute hilft er, diese Technik bei der Deutschen Bahn zur Unterstützung von Geschäftsprozessen einzusetzen. Zu seiner Zeit als reiner Spieleentwickler sagt Jung: "Die Technik ist nach wie vor überaus spannend, aber inhaltlich erneuern sich Spiele kaum mehr." Das bringe einige Game-Entwickler ins Grübeln. In seinem Fall habe es dazu geführt, sich mit seinen Erfahrungen weg von virtuellen Welten hin zur realen Welt bewegen zu wollen.

Nach seinem Entschluss sei alles schnell gegangen, diverse Unternehmen hätten ihm Projekte angeboten. Darunter seien auch politische Institutionen gewesen, die die von ihm eingesetzte Technik für politische Mediationsvorhaben verwenden wollten. Jung erläutert: "Als Spieleentwickler hatte ich mir irgendwelche Phantasiewelten ausgedacht, und plötzlich wurden meine Fähigkeiten und Erfahrungen für die Realität benötigt. Ich erhielt jetzt reales Feedback."

Vom Spieleentwickler zum Berater

Jung möchte mit dem Vorurteil aufräumen, wonach Ämter grundsätzlich nicht modern aufgestellt seien. Nach seiner Erfahrung hat der Public Sector immer mehr spannende Tätigkeiten anzubieten. Darüber hinaus würden Projekte nicht - wie vielfach in der Privatwirtschaft - einfach abrupt abgebrochen, weil sich die Strategie wieder gedreht habe. "Im Gegenteil", sagt Jung, "es kommen fast immer Folgeaufträge hinzu."

Kim Jung, DB Systel: Der IT-Profi hat als Game-Entwickler begonnen. Inzwischen ist er freier Berater bei der Deutschen Bahn.
Kim Jung, DB Systel: Der IT-Profi hat als Game-Entwickler begonnen. Inzwischen ist er freier Berater bei der Deutschen Bahn.
Foto: DBSystel

Nachdem der IT-Experte ausreichend Erfahrungen auf der politischen Ebene gesammelt hatte, nahm er 2011 einen Auftrag bei der Deutschen Bahn an. Bald stieg er dann bei DB Systel in die Arbeit an WorldInsight ein. Neben seiner Mitarbeit in der Softwareentwicklung und der Produktion hochaufgelöster 3D-Realraummodelle unterstützt er den Vertrieb des Produkts. "Vom Spieleentwickler zum Berater bei der Deutschen Bahn", resümiert Jung - und findet seine Karriere gar nicht so ungewöhnlich. (kf)