OA-Konzepte: Frage nach Benutzerwünschen bleibt meist offen

04.01.1985

Office-Automation-Systeme gibt es inzwischen in reicher Auswahl. Inwiefern die verschiedenen Herstellerkonzepte jedoch die Belange der Benutzer einbeziehen, konnten auch die von CW Befragten nicht pauschal beantworten. Günter Schorn, Lloyd Datenverarbeitung GmbH, differenziert zumindest zwischen den einzelnen Bereichen wie Hardware, System-Software oder Standard-Anwendersoftware. Eine Teilschuld an der mangelnden Zufriedenheit schreibt Professor Dr. Ralf Reichwald, den Betroffenen selbst zu. Seiner Ansicht nach würde die Frage, wie benutzerfreundliche Konzepte auszusehen hätten, Verlegenheit auslösen und die Antwort müßte ausbleiben. Zur Vorsicht bei zusätzlichen, heute noch unbekannten Bedürfnissen rät Rüdiger de Schmidt, Degussa: "Der Anwender sollte sehr darauf achten, daß dies wirklich seine Anforderungen sind und nicht die Wunschvorstellungen der Hersteller." kul

Professor Dr. Ralf Reichwald

Hochschule der Bundeswehr München

Wir können die Frage der Einbeziehung von Benutzerbedürfnissen auf der Ebene von Beanspruchung und Belastung auf die Gestaltung von Displays und Maschinenoberflächen beziehen. Dann haben zumindest die europäischen Hersteller von Computer- und Bürotechnik die unterschiedliche Gestaltbarkeit von Hardware und Software im Blick auf den Benutzer unter Beweis gestellt. Hersteller und Entwickler haben in den vergangenen Jahren äußerst sensibel auf die bekannten ergonomischen Anforderungskataloge reagiert, die die Akzeptanz der Technik an der Schnittstelle des Mensch-Maschine-Dialogs begünstigen.

Je mehr sich die Fragestellung aber wegbewegt von der Terminalgestaltung zur Systemgestaltung, je mehr also technische Gesamtlösungen, die Systemvernetzung von Datenverarbeitung und Informationsübertragung, die Infrastruktur, zum Gegenstand der Betrachtung wird, desto mehr ist vom Technikkonzept die ganze Awendungsorganisation betroffen. Wer ist dann der Benutzer? Wer spricht für die Bedürfnisse der User, für die Interessen der Betroffenen, wer stellt Organisationskonzepte vor? DV-Fachleute, Systemplaner und Systemgestalter, die DV-Organisatoren und Programmierer, sie bilden das Anwenderforum, wenn auf den Computerkongressen gegen die Hersteller der stereotype Vorwurf fehlender Anwenderorientiertheit erhoben wird. Würde einer auf die Idee kommen, die Frage zurückzugeben, wie denn benutzerfreundliche Organisationskonzepte auszusehen hätten, er würde größte Verlegenheit auslösen, die Antwort müßte ausbleiben - warum?

Nehmen wir das Beispiel Büro: Neue Infrastrukturen für die Büroorganisation - Konzepte der Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechnik mit ihrer Peripherie. Wer ist Benutzer? Der Sachbearbeiter, die Sekretärin mit ihren Auftraggebern, der Manager, der Organisator, der DV-Spezialist. Wer hält Konzepte für eine anwenderorientierte Gestaltung bereit - von der Implementierung bis zur Neugestaltung von Arbeitsabläufen und Organisationsstrukturen?

Zentrale Fragen müssen durchdacht werden, die in allen Konsequenzen das Beziehungsgefüge von Mensch und Technik in Organisationen ausmachen:

- Welche Anforderungen ergeben sich aus der Büroaufgabe, aus den Arbeitsbeziehungen, aus den Kooperationsstrukturen an die Infrastruktur des Informationssystems?

- Welches Konzept unterstützt die Kooperation und Kommunikation im Büro - wer kommuniziert überhaupt über welchen Kommunikationskanal bei welcher Aufgabe mit wem und hat dabei Schwierigkeiten?

- Wo liegen die Schwachstellen der heutigen Arbeitsabläufe im Büro - die Medienbrüche, die Doppelarbeiten, die Schwerfälligkeiten, die Informationsdefizite und -überversorgungen - welches Ausstattungskonzept macht die Abläufe effizienter?

- Wann ist die Technik belastend, wann ist sie entlastend?

- Welches Konzept führt zu verstärkter Spezialisierung (Arbeitsteilung) und welches zur inhaltlichen Bereicherung der Büroarbeit?

- Wann wird mehr Qualifikation vorausgesetzt, wann wird Qualifizierung durch Technik erzielt, welches Konzept verlangt welche qualifikatorischen Voraussetzungen?

- Welches technisch-organisatorische Gestaltungskonzept führt zu mehr Produktivität, zu mehr Flexibilität - bei welchem Konzept werden die Abläufe starrer, bei welchem flexibler?

Solche Zusammenhänge sind dem DV-Anwender in der Computerfachwelt fremd - sein Interesse steht über oder neben derartiger Beziehungskonzepten. Die heutigen Entwürfe für die Technikentwicklung und ihre Anwendung besitzen bei weit mehr Freiheitsgrade der Systemgestaltung als die Oberfläche von Terminals. Die Nutzung dieser Gestaltungsvielfalt für den Menschen verlangt einen systematischen, organisations-umfassenden Dialog zwischen Entwickler und Benutzer, zwischen Hersteller und Anwender, also eine organisierte Anwenderforschung. Aus diesem Dialog müssen allgemeine Regeln für die Technik am Arbeitsplatz, Erfahrungen über die Wirkungen der Technik zwischen Arbeitsplätzen, auf Abläufe und Strukturen für bestimmte Fälle, Aufgabenbereiche und Branchen abgeleitet werden. Aber: Systematische Anwenderforschung - ist äußerst aufwendig, langwierig und mühsam. In der schnellfüßigen Welt der DV-Anwender sind derartige Programme nicht populär, die einschlägigen Anwenderorganisationen haben sich bisher an diesen Programmen nicht beteiligt.

Anwenderforschung - ein Programm für die Gewerkschaften? Der im Aufbruch befindliche Bürobereich - mehr als 50 Prozent aller Beschäftigten unserer Volkswirtschaft sind hier beschäftigt - wird von den zuständigen Gewerkschaften völlig allein gelassen. In Verkennung des progressiven Potentials, das die Informationstechnik für die Gestaltung der Büroarbeit der Zukunft grundsätzlich in sich trägt, beschränkt sich Gewerkschaftspolitik bisher auf eine strukturkonservative Festschreibung bestehender Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze.

Es ist der Beachtung wert, daß die Notwendigkeit einer organisierten Benutzerforschung im Vorfeld der Entwicklung neuer Infrastrukturen ausgerechnet von europäischen Herstellern der Computer- und Nachrichtentechnik frühzeitig erkannt und aufgegriffen wurde. Verstärkt durch staatliche Förderungsprogramme sind mit beachtlichem Eigenaufwand Pilotanwendungen durchgeführt worden. Beispiele dafür bilden die vom Forschungsministerium getragenen Feldversuche für die neuen Postdienste Teletex und Bildschirmtext, die Begleitforschungsprojekte der Erprobung integrierter Bürosysteme (Siemens, Nixdorf) oder die Wirkungsforschung bei der Gesellschaft für Mathematik

und Datenverarbeitung (GMD). Eine vergleichbare Forschung gibt es weder in den USA noch in Japan.

Es bleibt abzuwarten, in welcher Weise sich die Produkte der Computer- und Bürobranche künftig durch Konzepte mit mehr oder weniger Benutzerorientierung unterscheiden. Es wird sich zeigen, welcher Wettbewerbsvorteil sich Herstellern und Entwicklern, die sich der mühseligen Anwender- und Begleitforschung mit erheblichem Aufwand zugewandt haben, auf dem Markt bietet. Sollte sich diese Strategie als erfolgreich herausstellen, so kann eines als sicher gelten: Die Initiatoren und Förderer dieser Entwicklung gingen sicherlich nicht aus der Berufsgruppe hervor, die sich gewöhnlich in der Computerfachwelt als Benutzer oder Anwender verstehen.

Rüdiger de Schmidt

Leiter Bürosysteme Degussa AG, Frankfurt

Um die Frage beantworten zu können, inwieweit die Herstellerkonzepte die Bedürfnisse der Benutzer einbeziehen, müssen die Bedürfnisse der Benutzer formuliert sein. Soll dies konzeptionell und ganzheitlich erfolgen, ist vor dem unternehmensspezifischen Hintergrund ein Konzept für die Bürokommunikation zu entwickeln, das mindestens drei Aspekte berücksichtigt: personelle, organisatorische und technische.

Die personellen Aspekte erfordern Aussagen über Qualifikationsanforderung, Weiterbildungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten und zu Entwicklungschancen. Im organisatorischen Teil eines solchen Gesamtkonzeptes sollten Arbeitsabläufe, Arbeitsinhalte und Strukturen erarbeitet werden und Hinweise zur Arbeitsplatzgestaltung gegeben werden. Der Technikteil enthält dann Aussagen zur technischen Unterstützung der Arbeitsabläufe an den Arbeitsplätzen sowohl bezüglich des erforderlichen Funktionsumfanges als auch hinsichtlich der Qualität der technischen Unterstützung.

Diese Aufgliederung macht deutlich, wie vielseitig die Bedürfnisse der Benutzer sind, wenn man ein Bürokommunikationssystem nicht allein als ein technisches, sondern auch als ein soziales System betrachtet.

Nimmt man, was in vielen Fällen sinnvoll und erforderlich ist, weitere Parameter wie die organisatorischen Gestaltungsdimensionen, den Grad der Arbeitsteilung und Zentralisierung beziehungsweise Dezentralisierung oder die unterschiedlichen Arbeitsplatztypen noch hinzu, so wird die Beantwortung der Fragestellung noch komplexer.

Die Bereitstellung von didaktisch gut aufbereiteten Unterlagen für die Schulung und Einarbeitung kann die Einführung von Bürokommunikationssystemen erheblich erleichtern. Häufig weisen Benutzerhandbücher jedoch ein hohes Maß an Unverständlichkeit aus und scheinen von Spezialisten für Spezialisten geschrieben zu sein. In der sich gern innovativ gebenden Branche scheint außerdem der Einsatz neuer Medien für solche Aufgabenstellungen weitgehend unbekannt zu sein.

Durch die Verharmlosung des Umstellungsaufwandes und -risikos werden beim potentiellen Anwender Erwartungen geweckt, die bei der Realisierung zu Enttäuschungen führen müssen. Über Hard- und Softwarekosten wird gesprochen, über Schulungs- und Organisationsaufwand meistens nicht, obwohl dieser Teil eine vergleichbare Größenordnung erreicht wie Hard- und Software.

Der organisatorische Teil eines Bürokommunikationskonzeptes könnte herstellerseitig durch das Angebot eines standardisierten, organisatorischen Vorgehensmodells unterstützt werden. Dies wäre besonders für kleine und mittlere Unternehmen hilfreich.

Manche Marketingkonzepte preisen die Bürokommunikationssysteme als Problemlöser an mit der Zielsetzung: "Der Anwender löst seine Probleme selbst". Daß die Systeme nur Werkzeugcharakter haben,

Kenntnisse über die sinnvolle Nutzung erfordern, Training und Einarbeitung benötigen und einer permanenten Betreuung bedürfen, wird häufig nur unzureichend dargestellt.

Naturgemäß sind die technischen Aspekte für Hersteller der bedeutendste Teil. Hier ist die wichtigste Anwenderforderung der modulare Aufbau der Systeme zur Unterstützung der verschiedenen Bürofunktionen an unterschiedlichen Arbeitsplätzen. Die Systeme sollten aber nicht nur modulierbar, sondern weitgehend auch Modellierbar sein. Das heißt, sie müssen sich nicht nur auf unterschiedliche Aufgabenstellungen, sondern auch an verschiedene Arbeitsweisen und Arbeitsstile anpassen. Hiermit ist hauptsächlich die Software-Ergonomie angesprochen. Wie weit der Weg dorthin noch ist, zeigen die Probleme bei der Überwindung vorhandener Inkompatibilität zwischen Systemen des gleichen Herstellers.

Die allseits geforderte Integration darf nicht bei der funktionalen Integration, beispielsweise von Text- und Datenverarbeitung, stehenbleiben, sondern muß weiterentwickelt werden zu einer arbeitsorganisatorischen Integration die eine ganzheitliche, anlaßorientierte Arbeitsweise ermöglicht.

Auf der Basis der Integration von Text, Daten, Grafik und Sprache sind die weiteren Bausteine in einer vielfältigen Kommunikationsfähigkeit zu sehen.

Auf dem Weg zu diesen Systemen sind viele Anforderungen der Benutzer zu befriedigen. Es werden aber auch noch zusätzliche, heute noch unbekannte Bedürfnisse entstehen. Der Anwender sollte sehr darauf achten, daß dies wirklich seine Anforderungen sind und nicht die Wunschvorstellungen der Hersteller.

Günter Schorn

Geschäftsführer Lloyd Datenverarbeitung GmbH, München

Die Fragestellung, ob die Herstellerkonzepte die Belange des Anwenders einbeziehen, muß differenziert beantwortet werden. Die Lage ist unterschiedlich für die reine Hardware, die Systemsoftware, die Standard-Anwendungssoftware, wie Sprache, Datenbanken, Grafik, Statistik und die speziellen Anwendungen wie Agenturverwaltungssysteme, Rechnungswesen oder Lagerhaltung.

Bei der reinen, Hardware sind eindeutig die technische Innovation und der Konkurrenzdruck am Markt, der ständig sich verändernde Preis-Leistungs-Verhältnisse zur Folge hat, ausschlaggebend für den Zuschnitt und die Qualität der Bürotechnik und nur wenig die Belange des Kunden. Technische Konzepte werden frühzeitig aus den Schubladen "gezaubert", um der Konkurrenz ein "Schnippchen zu schlagen", und nicht, um dem Bedarf der Kunden gerecht zu werden.

Für die Systemsoftware gilt das bisher Gesagte analog. Hinzu kommt, daß der Anwender oft "getäuscht" wird. Wie anders sollte man es nennen, wenn Anbieter perfekten Datentransfer in Netzen, Btx-Fähigkeit, oder Mehrplatzeignung anpreist, in der Praxis aber nur unterste Protokollebenen realisiert sind, und der Anwender die Crux der Softwareerstellung auf höheren Protokollebenen selbst tragen oder für hohe Zusatzkosten die nötige Software anfertigen lassen muß. Außerdem läßt die Qualität zu wünschen übrig. Was soll der Anwender tun, wenn Systemmeldungen in die Anwendung durchschlagen und

dicke, unübersichtliche Bücher gewälzt werden müssen, um Fehlern auf die Spur zu kommen, oder wenn der Datentransfer endlos dauert?

Besser sieht es im Bereich der Standardsysteme wie Datenbanken, Textanwendungen und Grafik aus. Hier hat sich mancher Hersteller oder das ein oder andere Softwarehaus Gutes einfallen lassen. Hohe Flexibilität und ausreichender Standard können die Kundenerwartungen annähernd erfüllen. Die Vielfalt am Markt bereitet allerdings Kummer. Wer die Wahl hat, hat die Qual!

Weniger stark zugeschnitten auf die Wünsche des Anwenders ist der Bereich der speziellen Anwendungsoftware, die branchen- oder spartenorientiert angeboten wird. Hier herrscht nicht nur die Qual der Wahl. Die Anbieter sehen sich einem begrenzten Kundenkreis gegenüber und versuchen, diesen "unter einen Hut" zu bringen, also zu standardisieren. Dies kostet ein gutes Stück Individualität. Es muß also für eigene Bedürfnisse "zugestrickt" werden. Außerdem ist es schwer, solche "fertigen" Anwendungen an vorhandene Programmprodukte eines Unternehmens anzuschließen. Nicht immer sind geeignete Schnittstellen existent. Wegen mangelhafter Beratung, geringer bedarfsgerechter Anwendungsdokumentation und immer noch aufwendiger Bedienung muß der Kunde viel Lernbereitschaft und Zeit aufwenden, solche Produkte zu betreiben. Dabei entstehen die Kosten.

Insgesamt drückt die Kunden das Problem der Kostengestaltung. Sprünge im Preis/Leistungs-Verhältnis und kurzlebige Modellpolitik machen eine sichere und zuverlässige mittelfristige Planung fast unmöglich. Versprechungen sind nur schwer abwägbar.

Vor Installationen jeglicher Bürokommunikationstechnik in Hard- und Software müssen auf der Basis treffender Pflichtenhefte und Angebote "glasharte" Verträge geschlossen werden, sonst steht manche Überraschung ins Haus!

Und mancher Vertragspartner ist vielleicht in wenigen Jahren oder gar Monaten nicht mehr am Markt?