Dialog-Datenverarbeitung

Nutzen für den einzelnen - für die Unternehmung

17.09.1976

Dr. oec. Rudolf Baer

Institut für Betriebswirtschaft Hochschule St. Gallen/Schweiz

Der Nutzen der elektronischen Datenverarbeitung ist stark umstritten. Ein Grund ist sicher der, daß die EDV zu lange den "EDV-Technokraten" überlassen wurde. Anstatt allgemein gültige Erkenntnisse der modernen Betriebswirtschaftslehre zu berücksichtigen, wurden Wünsche nach technischer Vollkommenheit, Größe, etc. in den Vordergrund gestellt.

Von einem echten Fortschritt und Nutzen kann man jedoch nur dann sprechen, wenn mit dem Einsatz eines Datenverarbeitungssystems sowohl im ökonomischen als auch im sozialen Bereich ein höherer Zielerreichungsgrad erreicht wird.

Das Konzept der Dialog-Datenverarbeitung (DDV) - basierend auf den Erkenntnissen der Entscheidungstheorie, der Systemtheorie und der Sozialpsychologie - zeigt Wege auf, wie aus dem EDV-Einsatz mehr Nutzen resultieren kann.

Die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie und die Erfahrungen aus der Praxis zeigen uns, daß der Mensch nicht so leicht zu ersetzen ist, wie manche Datenverarbeitungs-Spezialisten und auch Kybernetiker geglaubt haben.

Deshalb muß die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine neu überdacht werden:

-Die falsche Annahme, mehr Information bedeute auch bessere Entscheidung, hat oft zur "Informationslawine" geführt. Mit einer Förderung der lnformationsnachfrage sowie einer benutzerfreundlichen Konzeption einer "Datenbank auf Abruf" kann hier Abhilfe geschaffen werden.

-Im Bereiche der Disposition kommt dem Wechselspiel zwischen Mensch und Computer eine erstrangige Bedeutung zu. Viele Teilentscheide im Rahmen einer ganzen Geschäftsabwicklung sind wesentlich einfacher und effizienter durch den Sachbearbeiter zu fällen. Mit der Realisierung der Sofortdatenverarbeitung kann insbesondere vermieden werden, daß sich die einzelne Disposition über einen zu langen Zeitraum erstreckt.

-Viele ausführende Tätigkeiten sind theoretisch, jedoch oft nicht wirklich, vollautomatisierbar. Mit der Verlagerung der Entscheidungen bei Ausnahmefällen zurück zum Sachbearbeiter können die EDV-Programme einfacher und flexibler gestaltet werden.

Bei der Realisierung komplexer computerunterstützter Informationssysteme werden vielfach nur Teilerfolge, in gewissen Fällen sogar totale Mißerfolge erzielt. Eine stärkere Beachtung systemtheoretischer Aspekte kann hier Abhilfe schaffen:

Heutige Informationssysteme werden meist als "ultrastabile Systeme" konzipiert. In solchen Systemen sind viele Elemente (Arbeitsgebiete, Abteilungen o. ä.) direkt miteinander verbunden. Beim Auftreten von Störungen in einer dieser Komponenten oder in einem Verbindungskanal werden sofort alle Komponenten neu aufeinander abgestimmt, um die Störung zu kompensieren. Theoretisch ist das Verhalten eines solchen Systems also optimal. Ab einer bestimmten Größe und Vermaschung solcher Systeme ist jedoch zu erwarten, daß "ultra-stabile Systeme" praktisch keinen Gleichgewichtszustand mehr erreichen. Größere Systeme sind deshalb als "multistabile Systeme" zu konzipieren.

Bei diesem Aufbauprinzip geht man davon aus, daß die einzelnen Teile mit einer möglichst großen Selbständigkeit auszustatten sind, obwohl dadurch die theoretisch vorhandene Möglichkeit einer Volloptimierung aufgegeben wird, zugunsten einer Erhöhung der Flexibilität und Sicherheit beim Eintreten von Ausnahmesituationen. Dieses "System-Bauprinzip" sollte sowohl bei der Bestimmung von Computerkonfigurationen als auch bei der Gestaltung der Applikationen berücksichtigt werden.

Um der Entfremdung der Sachbearbeiter von ihrer täglichen Arbeit und der damit meist verbundenen Zunahme von Fehlern zu begegnen, muß auch aus sozialpsychologischer Sicht der EDV-Einsatz überprüft werden. Das stützt sich in dieser Beziehung auf die Erkenntnisse der Kleingruppenforschung und insbesondere auf die sehr positiven Erfahrungen mit der sogenannten Gruppenautonomie". Ganz generell kann festgehalten werden, daß - und nicht nur aus sozialpsychologischer Sicht - die Verantwortung für richtige Sachentscheide vom Computer wieder zurück auf den Sachbearbeiter verlagert werden muß.

Sowohl vom Gesichtspunkt der Forderung nach "Computer am Arbeitsplatz" als auch vom Konstruktionsprinzip des "Multi-stabilen Systems" liegt im Zusammenhang mit DDV der Einsatz sogenannter Minicomputer nahe.

Zwar ist der Minicomputer nicht so leistungsfähig wie ein sogenannter "Universal" -Computer, unter Berücksichtigung des oft erheblichen Preisunterschiedes ist seine Leistungsfähigkeit jedoch erstaunlich hoch. Denn auch im Minicomputer-Bereich ist die technologische Entwicklung von einem ständigen Preiszerfall begleitet worden. So sind heute echte Dialog-Systeme mit mehreren Terminals für weniger als 100000 Mark keine Seltenheit.

Eine Einschränkung muß allerdings gemacht werden: Für Universal-Computer existiert in vielen Fällen eine hoch entwikkelte Software. Minicomputer-Hersteller verzichten dagegen in den meisten Fällen aus unternehmenspolitischen Gründen auf ein eigenes Angebot an schlüsselfertigen Anwender-Programmen. Indes: Die Einsetzbarkeit dieser oft als universell angepriesenen Programmpakete ist ohnehin umstritten. Und bei gewissen, vom Problem her standardisierbaren Applikationen, wie Finanzbuchhaltung, "Lohn und Gehalt", Rechnungswesen etc., sind auch für die meisten Minicomputer bereits Benutzerprogramme verfügbar.

Unter Berücksichtigung aller oben erwähnten Faktoren ist in den nächsten Jahren ganz sicher mit einer Tendenzwende in der Datenverarbeitung zu rechnen.

Parallel mit der Realisierung der DDV - eventuell unter Zuhilfenahme eines Minicomputers - muß ein Umdenken geschehen: Es sollte auf das Notwendige anstatt auf das Mögliche, auf das Zweckmäßige anstatt auf das Schöne und auf das Nützliche statt auf das Elegante das Gewicht gelegt werden.