Home-Office/Kommunikationskosten behindern Teleworking

Nur wenige Unternehmen wagen erste Modellversuche

23.08.1996

Ein typisches Beispiel für das zaghafte Herantasten der Unternehmen an die Verlagerung des Büros in die eigenen vier Wände liefert BMW. Die Bayerische Motoren Werke AG hat im April dieses Jahres ein Projekt "Teleworking in flexiblen Strukturen" gestartet. Von den rund 59000 Mitarbeitern des Automobilriesen arbeiten derzeit 23 Beschäftigte, darunter zwölf Führungskräfte, an einigen Tagen in der Woche daheim.

Das Arbeiten in den eigenen vier Wänden hat sich bereits in den ersten Probemonaten als eine "sinnvolle Alternative mit Qualitätssprung" erwiesen, so Peter Cammerer, Projektleiter im Unternehmen und selbst Teleworker. Ohne die in der Firma üblichen Störungen sei er produktiver, "schaffe mehr weg".

Der Kontakt zu seinen Kollegen leidet darunter nicht. Regelmäßig treffe sich das Team im Unternehmen, um Arbeitsergebnisse auszuwerten und künftige Aufgaben zu besprechen. Ansonsten helfe die Technik: Kommuniziert werde via Telefon und vor allem E-Mail - einem laut Cammerer "idealen Führungsinstrument für Telearbeit".

Technisch unterstützt werden die Homeworker von Siemens-Nixdorf (SNI). Das DV-Unternehmen habe einen "Customer-Helpdesk" eingerichtet, bei dem die Telearbeiter anrufen können, wenn sie Fragen zu den Anwendungen haben, erklärt Joachim Lehmkuhl von SNI. Je nach Art des Problems greift der SNI-Helpdesk ein oder geben die Anfragen an die Supportabteilun- gen beim Automobilproduzenten beziehungsweise dem zuständigen Hardwarelieferanten weiter. Lange Wartezeiten entstünden dabei nicht. 80 Prozent aller Störungen habe man bisher innerhalb von 30 Minuten beheben können.

Über die Kosten noch keine genauen Zahlen

Rund 8000 Mark hat BMW in die Telearbeitsplätze investiert. Sie sind mit Pentium-PCs unter Windows für Workgroups oder Windos NT und Drucker-Fax-Kombination ausgestattet. Ferner ist der Web- Browser von Net- scape installiert, der den Teleworkern den Zugriff auf den firmeneigenen Web-Server ermöglicht. Diese Schnittstelle zu den Daheimgebliebenen ist Firewall-geschützt. Nur autorisierte Mitarbeiter gelangen über den Server in die lokalen Netze ihrer Abteilungen im Konzern.

Was die laufenden Kosten für die Heim-Plätze betrifft, gibt es laut Unternehmensleitung "noch keine genauen Zahlen". Man rechne aber mit etwa 400 Mark pro Mitarbeiter und Monat. Bis Ende nächsten Jahres will der Automobilbauer rund 300 Teleworker im Einsatz haben. Dann soll auch die Betriebsvereinbarung für die heimischen Arbeitsplätze unter Dach und Fach sein.

Telearbeit scheint auch in den Behörden ein Thema zu werden. Mit einem Probelauf wagt sich seit diesem Juli das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) an die neue Arbeitsform heran, um unter anderem eine "schlanke Verwaltung" zu realisieren, heißt es am Rhein. 500000 Mark stelle Hausherr Jürgen Rüttgers dafür zur Verfügung.

Zur Zeit sind 19 Referenten und Schreibkräfte an diesem Test beteiligt. Sie verbringen 40 Prozent ihrer Arbeitszeit am heimischen PC, der sich kaum von jenem in der Dienststelle unterscheidet: einem Pentium-PC mit multifunktionalen Printern. Verbunden sind die Arbeitsstationen über ISDN mit dem Novell-Netz im BMBF. Das Rüstzeug für die zu Hause installierten Lösungen haben die Beamten und Angestellten im multimedialen Studio vermittelt bekommen, das im Ministerium eigens hierfür eingerichtet wurde. Ob das teilweise Arbeiten in den privaten Wohnungen den erhofften Effekt bringt, will das Ministerium in zwei Jahren prüfen.

Über etwas mehr Erfahrungen verfügt die Stuttgarter Allianz Lebensversicherungs AG. Seit über einem Jahr testet das Unternehmen mit 15 von 4700 Mitarbeitern die "hausverbundene Arbeit", berichtet Pressechefin Brigitte Russ-Scherer. Zu Beginn habe der Betriebsrat der Firma zwar "Bedenken gegen diese Einrichtung" angemeldet. Argumente wie "soziale Vereinsamung und mangelnder Schutz der Mitarbeiter" seien jedoch inzwischen widerlegt. Eine Betriebsvereinbarung garantiere den Mitarbeitern unter anderem ihren Arbeitsplatz, falls sie von den Heimarbeitsplätzen in die Büros zurückkehren wollten.

Während die technische Vernetzung der Heimarbeitsplätze - über ISDN zum FDDI-Backbone des Konzerns - keine ernsthaften Probleme bereite, bezeichnet die Allianz die Leitungskosten für File- Transfer und Dialoganwendungen als "starke Belastung". Etwa 800 bis 1200 Mark müsse man der Telekom pro Arbeitsplatz und Monat überweisen, rechnet Russ-Scherer vor. Ob sich dieser Aufwand durch "eventuell eingesparte Arbeitsplätze" in der Firma decken lasse, müsse sich erst noch zeigen.

Roger Heinzel, einer von zwei Geschäftsleitern des Brandenburger Softwarehauses Heinzel und Röhr GmbH, ist diesbezüglich zufrieden. Die 1991 gegründete sechsköpfige Firma sah sich durch die betriebliche Situation zur Telearbeit gezwungen: "Ein Teil unserer Mitarbeiter wohnt über das Brandenburger Land verteilt, etwa 60 Kilometer vom Firmensitz entfernt." Die Anfahrten ins Büro hätten viel Zeit und Fahrtkosten verschlungen, zudem das Arbeiten wenig effektiv gemacht.

Mit der Installation von heimischen PC-Arbeitsplätzen, die auch über ein Kamerasystem verfügen, wollte man diesem Zustand entgehen. Seit über zwei Jahren arbeiten vor allem die drei Programmierer des Teams ganz im eigenen Heim - verbunden mit dem Novell-Server in der Potsdamer Firmenzentrale.

Brandenburg kommuniziert mit Dublin und Villach

Bewährt, so Heinzel, habe sich für die Kommunikation im Team vor allem Intels Videokonferenzsystem "Proshare" - eine "perfekte Lösung", aber mit einem Preis von knapp 3000 Mark nicht gerade billig. Daß man damit seinen Gegenüber auf dem Monitor sehen kann, sei nur "ein netter Nebeneffekt zur Begrüßung".

Genutzt werde das Werkzeug von den Brandenburgern vor allem für Application-sharing: "Wir schauen uns gegenseitig in die Anwendungen, arbeiten oft gemeinsam an einem Thema oder aktualisieren unsere Sourcecodes auf dem Datenbank-Server in der Potsdamer Zentrale", beschreibt Kollege Jürgen Röhr das Teamwork.

Zur Kommunikation mit Geschäftspartnern, beispielsweise einem Softwarehaus in Dublin oder der Villacher Progis GmbH, Hersteller des grafischen Informa- tionssystems "Wingis", nutzen die Brandenburger Dienste wie Compuserve oder gehen über das Internet, um Programmteile, Grafiken und andere Informationen zu übertragen.

Die Online-Kommunikation hat ihren Preis. Etwa 1500 Mark fordert die Telekom monatlich. Andere Effekte schlagen jedoch positiv zu Buche: Mit dem Einsparen langer Wegezeiten und dem "sofortigen Umsetzen der Ideen" habe man das Ergebnis schneller für den Kunden parat - ein eindeutiger Vorteil gegenüber Mitbewerbern, die noch herkömmlich kommunizieren.

ANGEKLICKT

"Teleworking in flexiblen Strukturen" wagt BMW. Es habe sich als "sinnvolle Alternative mit Qualitätssprung" erwiesen. "Schlanke Verwaltung" will das Bildungsministerium (BMBF) mit Hilfe der Heimarbeiter realisieren. Zwei Probejahre geben sich die Beamten am Rhein. Die Versicherung Allianz ist mitten drin in der "hausverbundenen Arbeit". Der bei Heimarbeit drohenden "sozialen Vereinsamung" wurde mit einer entsprechenden Betriebsvereinbarung begegnet. Ein Brandenburger Softwarehaus hat besonders gute Erfahrungen gemacht: "Wir schauen uns gegenseitig in die Anwendungen." Und: Man habe das Ergebnis für den Kunden schneller parat.