Besitzer von umgebauten Mainframe-Memories werden zur Kasse gebeten

Nur Originalteile: Big Blue, warnt Kunden und Leasingunternehmen

06.03.1992

MÜNCHEN - Einen "blauen" Brief fanden kürzlich die Vorstände deutscher Mainframe-Betreiber vor. Absender: Bernhard Dorn, Geschäftsführer der IBM Deutschland GmbH. Speicherkarten für die 3090 und die ES/90009 informierte er die Kunden, seien manipuliert und als IBM-Originale deklariert worden. Die angeblich schadensanfälligen Falsifikate müßten - kostenpflichtig - ausgetauscht werden, ansonsten gingen Wartungsansprüche verloren.

Damit ist auch in Deutschland die Katze aus dem Sack. Amerikanische Mainframe-Anwender sowie vor allem die Leasing- und Wartungsgesellschaften schlagen sich schon seit einem Jahr mit dem Thema herum. Comdisco, das größte herstellerunabhängige Leasingunternehmen der Weit, steht in den USA unter IBM-Anklage: Die Company soll Speicherkarten verkauft oder eingebaut haben, die nicht von IBM selbst hergestellt wurden. Comdisco gesteht das ein - was die Vergangenheit betrifft. Seit etwa einem Jahr jedoch, so die gegenwärtige Darstellung des Leasingriesen, verwende man keine "refabricated" Boards mehr.

Daß genau dieses nun auch in Deutschland geschehen ist, dafür liegen der IBM laut Dorns Brief "Beweise vor" Nur vermuten könne man allerdings, stellt IBM-Sprecher Gerhard Feucht fest, daß Anwendern von 3090. und ES/9000-Maschinen auch heute noch Speicherkarten untergeschoben würden, die nicht entsprechend den Qualiätsstandards der IBM-Fertigung hergestellte, worden seien, wie es in Dorns Brief heißt.

Schuldig gemacht haben sich nach Darstellung der Stuttgarter nicht zwangsläufig die Verkäufer, also die Leasing- und Service-Unternehmen, auf jeden Fall aber die Hersteller.

Man sei jetzt dabei, diesen auf die Spur zu kommen, droht Director of Operations Hermann Bückle, bei IBM Deutschland zuständig für Großsysteme in Europa. Die Juristen des Mainframers seien sich bei den Herstellern "ziemlich sicher, daß deren Geschäfte den Tatbestand des Betruges erfüllen". Firmennamen könne er jedoch noch nicht nennen. Letzteres gelte auch für die "Supplier" der Karten, also diejenigen, die sie im Umlauf gesetzt hätten.

Insider gehen indes davon aus, daß die Zielrichtung der deutschen Big-Blue-Tochter die gleiche ist wie in den USA: "Die haben ganz klar die Comdisco im Auge", ist denn auch Klaus Schäfer, geschäftsführender Gesellschafter der TTL Thurn und Taxis Leasing GmbH & Co. in München, überzeugt. Dennoch treffe es natürlich auch andere, die mit Sicherheit keine Speicher gefälscht hätten, fürchtet er: "Mich ärgert, daß mir der Dorn mit seinem Brief meine Kundenbasis versaut." Schäfer hört "konstruiertes Getöse" und empört sich: "Im Grunde geht es nur darum, den Anwender zu verunsichern und heim zu Mutter IBM zu bringen."

Dorns briefliche Empfehlung an die Kunden: Sie sollen sich von ihren "Lieferanten bestätigen lassen, daß diese Speicherkarten von IBM gefertigt und nicht umgearbeitet wurden". In einem persönlichen Gespräch" könne dann die Situation der Anwender geklärt und "die weitere Vorgehensweise abgestimmt werden". Seinem Brief an die Vorstände der User-Unternehmen und einem weiteren Schreiben an die DV-Verantwortlichen ist zu entnehmen, daß die Karten und die auf ihnen angebrachten Module "Fehler" enthalten könnten. Was das bedeutet, konkretisiert Bückle: Acht Fälle seien der IBM bisher in Deutschland bekannt, in denen Maschinenausfälle "definitiv" auf modifizierte Karten zurückzuführen seien. Ob das bereits alle seien, könne er nicht sicher sagen, so der Large-Systems-Manager. Auf jeden Fall empfiehlt er der Kundschaft, die Karten durch den Lieferanten der Maschine gegen solche austauschen zu lassen, die garantiert IBM-Originale seien.

Nach Schäfers Auffassung kann dagegen von "Qualitätseinbußen oder Verfügbarkeitsrisiken nicht die Rede" sein. In allen bei TTL bekannten Fällen sei die 90tägige Regreßfrist "ereignislos verstrichen". Die Karten seien "professionell" erweitert worden. Ebenso beharrt Director-General Geoff Sewell für den Verband der europäischen Leasingunternehmen Eclat auf dem Standpunkt, daß "die verwendeten Komponenten (die einzelnen Chips, Red.) IBM-Originale sind, die entsprechend einer bewährten, anerkannten Prozedur auf Speicherkarten rekonfiguriert" wurden.

Welche Karten Oberhaupt als Fälschungen anzusehen sind und welche nicht, darüber besteht ein Zwist zwischen der IBM und den herstellerunabhängigen Leasern und Wartungsanbietern. Einig sind sich beide Seiten lediglich, daß nur da, wo IBM draufsteht, auch IBM drin ist. Big Blue indes simplifiziert das ganze noch weiter: Original sei nur eine komplette Karte ohne jede Änderung. Wenn die IBM selbst nachgemachte Boards in Gebrauchtmaschinen ausgeliefert habe, was nach Bückles Eingeständnis nicht ausgeschlossen ist, dann gebe es "gar keine Diskussion, daß wir die sofort austauschend".

Eclat möchte dagegen auch diejenigen Memories als IBM-Originale verstanden wissen, die zwar aus eigenen Komponenten des Computerherstellers bestehen, aber von Dritten zu Zwecken der Kapazitätserweiterung modifiziert wurden. Hierbei, konzertiert der Verband, müsse gleichwohl sichergestellt sein, daß die IBM-Fertigungsspezialisten beachtet wurden. Allerdings: "Die Lötstelle ist nicht proprietär", wie Marco Gelmi, Vorstand der COS AG aus Baden bei Zürich, konstatiert.

Leaser: Schwarzer Peter ist bei IBM

IBM-Manager Bückle ist vom Gegenteil überzeugt. Er hält Qualitätsverluste, zum Beispiel der Platine, durch das Ablösen und erneute Anlöten von Chips auf ein und derselben Stelle einer Karte für möglich. Eclat hält dagegen: Wenn eine gebrauchte Maschine die bei IBM-Wartungsverträgen übliche Testlauf-Frist von 90 Tagen überstanden habe, dann sei sie in Ordnung. Die dreimonatige Probezeit eines rekonfigurierten Computers, beharrt der Verband, lasse der IBM-Wartung überdies genug Zeit, den Lieferanten, zum Beispiel ein Leasingunternehmen, für eventuell mangelhafte Arbeitsqualität ("poor workmanship") haftbar zu machen. Danach habe IBM den Schwarzen Peter.

Den trachtet Big Blue nun offenbar loszuwerden. Klare Aussage Bückles: "Wir warten keinen Fremdspeicher". Ebensowenig nehme man solchen zurück, wenn ein Kunde seine Maschine an IBM zurückgebe. Zwar habe man beides bisher getan, aber im ebenso guten wie irrigen Glauben, bei den Memories handele es sich um nicht manipulierte Originale. Werde das Gegenteil festgestellt, so kündigt die IBM-Hauptverwaltung den Kunden an, gehe das ins Geld. Das trifft nun gleich zweifach zu: Einmal wollen die Techniker Geld sehen für die Überprüfung der Maschinen, zum anderen natürlich für die eventuell fällige Auswechslung der Boards. Dagegen laufen die Leaser, zum großen Teil als Eigentümer der Maschinen Betroffene dieses Ansinnens, Sturm, und zwar auf Verbands- wie auf individueller Ebene:

Während Eclat-Generaldirektor Sewell mit vornehmer britischer Zurückhaltung empfiehlt, "daß alle existierenden Installationen unter IBM-Wartung weiter gewartet werden", wird TTL-Inhaber Schäfer deutlicher: "Wir wollen definitiv wissen, ob IBM die gebrauchten Installationen unserer Kunden wartet oder nicht. Wenn nicht, dann wollen wir das Geld zurück, das IBM bisher für Pauschalwartung kassiert hat."

Er geht noch weiter und verlangt, daß IBM für die Installationen seiner Kunden eine eidesstattliche Erklärung abgibt des Inhalts, daß IBM-Techniker nicht absichtlich manipulierte Speicher eingebaut haben. Schäfer argwöhnisch: "Wer sagt uns denn, daß die IBM nicht falsche Speicher einbaut, um die Leasinggesellschaften loszuwerden." Entrüstet weist Bückle ein solches Ansinnen zurück: "Wie kann eine Leasinggesellschaft das von mir verlangen. Ich habe keinen Anlaß, irgendwelche eidesstattlichen Versicherungen abzugeben." Bückle weiter: "Wir gehen an die Vertreiber (von Gebrauchtmaschinen, Red.) heran und verlangen eine Unterlassungserklärung." Was mit den IBM-Speichern geschehe, so Bückle, sei nämlich ein "Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht und gegen das Warenzeichen-Schutzgesetz".

Ein unangenehmer Effekt zeigt sich bereits: Die reise für "originale" Boards haben seit Beginn der IBM-Kampagne in den USA auf das Doppelte angezogen, berichtet Willy Stöckel, Chefbroker der Cominvest Trading GmbH aus München. Die Stuttgarter - wie im übrigen auch ihre Kollegen in anderen europäischen IBM-Einzugsgebieten, haben folgendes vor: Sollte sich bei einer - kostenpflichtigen - Inspektion herausstellen, daß der Kunde manipulierten Speicher hat, fällt die Maschine aus der Pauschalwartung heraus. Egal, für welche Alternative sich der Anwender dann entscheidet - es wird teuer: Entweder beauftragt er IBM, Originalkarten- zum Listenpreis nachzurüsten, oder Big Blue wartet ab sofort nur noch auf Zeit- und Materialbasis. Hier allerdings schimmert die Kehrseite durch: Sowohl TTL-Boß Schäfer als auch Gelmi von der Schweizer COS glauben, daß IBM sich die Wartungskunden auf Dauer vergraulen und den Fremdwartern zu einem unerwarteten Aufschwung verhelfen könnte.

IBM: Fremdspeicher wird nicht gewartet

Vielleicht schon bald, wie Comdiscos Deutschland-Chef Thomas Flohr vermutet: "Warten wir mal vier Wochen ab, dann wird es interessant; die ersten Großanwender werden dann zu Drittwartern übergelaufen sein."

Im Hintergrund der Leaser-Argumentation dräut ebenfalls der Schatten der PCMer. Die Hersteller von IBM-kompatiblem "gelben Blech", so der Tenor, würden durch derartige IBM-Aktionen mehr und mehr zu einer Alternative für die Kunden.