"Nur ist der Informatik-Markt leider noch etwas abnormal"

15.09.1988

Professor Kurt Bauknecht von der Uni Zürich und Bernhard R. Bachmann von der Schweizerischen Bankgesellschaft nahmen Hans-Rudolf Wittmer, DEC-Marketing-Direktor, in die Zange.

Bauknecht: Mich interessiert von den Herren Herstellern: Warum sind Sie plötzlich so für Unix? Es gibt Herren an diesem Tisch, die Firmen vertreten, die gesagt haben, "Unix ist des Teufels, wir nie", und dann sind sie plötzlich mit Volldampf nach Unix marschiert.

Wittmer: Also wenn Sie mich gemeint haben, so darf ich auf die Marktforschungsfirmen IDC und Dataquest verweisen, die erhoben haben, daß DEC weltweit die größte installierte Unix-Basis hat.

Bauknecht: Welche Umgebung: technisch-wissenschaftlich oder kommerziell?

Wittmer: Gemischt. Alles.

Bauknecht: Und wurde Unix native mode und Unix über VMS zusammengezählt?

Wittmer: Zusammengezählt. DEC steckt heute etwa gleichviel Ressourcen in den Unix-Bereich oder Ultrix-Bereich, wie in den herstellereigenen Bereich. Man fördert Unix heute mit dem nötigen Nachdruck, hatte jedoch lange Zeit Gründe zur Annahme, daß es sich nicht unbedingt zum Standard durchsetzen werde. Es geht um ein

Herantasten an den Markt. In der Schweiz hieß es lange, der Unix-Markt beginne zu explodieren. Die Softwarehäuser versprachen große Applikationen, und wir stellten entsprechende Ressourcen bereit. Die Realitäten sahen leider etwas anders aus. Einem Anbieter bleibt nichts anderes übrig, als den Support im Gleichschritt mit der Geschäftsentwicklung bereitzustellen. Das haben wir getan.

Bauknecht: Jemand muß die Geschäftsentwicklung doch steuern können. Der Anwender geht Ihnen nicht ins Grüne. Er geht nicht zu einem neuen Betriebssystem, wenn er keine entsprechenden Applikationen vorfindet.

Wittmer: Der Hersteller steuert doch nichts!

Bauknecht: Sie sehen dies als alleinige Aufgabe der Softwarehäuser?

Wittmer: Nein. Letztlich entscheidet die Nachfrage. Der Kunde sagt, ob er das will oder nicht. Mit anderen Worten, wenn die Nachfrage nach Unix stärker gestiegen wäre, wenn früher mehr überzeugende Argumente vorhanden gewesen wären, so daß mehr Anwender Unix gekauft hätten, dann wären mehr Unix-Systeme von den Herstellern zur Verfügung gestellt worden. Im Grunde genommen bestimmt das Wachstum des Marktes, was an Applikationen da ist.

Bauknecht: Das ist das Problem. Der Markt wächst, doch er wächst nur, wenn er Sicherheit und Beständigkeit im Hintergrund sieht und vorhandene Applikationen.

Wittmer: Richtig.

Bauknecht: Und meine Frage geht dahin: Warum sind Sie plötzlich gekippt? Weil Sie gesehen haben, daß der Markt offener wird für Unix-Applikationen oder weil Sie gesehen haben, daß andere mehr Applikationen auf den Markt brachten?

Wittmer: Wie kommen Sie darauf, daß wir plötzlich gekippt sind? Bei uns gibt es volle Kontinuität. Die größte installierte Basis der Welt ist bei DEC. Und die ist nicht über Nacht mit einem Kippen entstanden. Wie kommen Sie darauf?

Bauknecht: Ich habe damit jetzt nicht DEC allein gemeint. Wobei es Phasen gab, wo DEC gesagt hat, Ihr spinnt ja, wenn Ihr auf Ultrix geht, Ihr geht jetzt auf VMS! Wir haben solche VAX-Maschinen gekauft. Von DEC Schweiz.

Wittmer: Ja, ja... aber das hatte andere Gründe.

Bauknecht: Eben. Das ist der Markt, Herr Wittmer.

Computerworld: Es ist doch leider meist so, daß der Kunde sich für das entscheidet, was ihm der Verkäufer empfiehlt. Und vielleicht noch irgend ein Berater.

Wittmer: Da stellen Sie den Kunden als sehr unmündig dar.

Bauknecht. Jetzt hören Sie doch auf! Wir hatten unsere ersten Unix-Betriebssysteme, die nachher auf VAX-Rechnern liefen, nicht von DEC, sondern direkt aus Berkeley beziehen müssen, weil Ihr Euch damals noch gesperrt habt.

Bachmann: Das gilt auch für die SBG. Sie haben sicher recht mit der generellen Logik. Nur ist der Informatik-Markt leider noch etwas abnormal. Wenn wir unsere Verhältnisse auf die Automobilindustrie übertragen, hieße das, ich kaufe ein Auto der Marke X, und der Verkäufer sagt mir, du mußt die Luft für die Pneus in diesem Laden kaufen und die Polster in jenem und tanken kannst du nur dort. Der Freiheitsgrad des Benutzers ist nicht zu vergleichen mit einem reifen Markt.