Wissens-Management/Hersteller und Consultants nutzen mittels KM "Good-old-Boys-Netze"

Nur geteiltes Wissen ist Macht

14.12.2001
Um erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen wissen, was sie wissen. Voraussetzung dafür ist ein Umfeld, in dem Knowledge-Management gedeihen kann. Eine Vorreiterrolle haben hierbei IT-Konzerne und Berater übernommen. Von Ina Hönicke*

Topmanager bewerten die Herausforderungen für ihre Unternehmen eindeutig: An erster Stelle steht einer IBM-Studie zufolge die Globalisierung, auf Rang zwei folgt bereits Wissens-Management. Erkenntnisse aus der aktuellen Knowledge-Management-Studie der Meta Group belegen, dass das Thema in den nächsten Jahren einen sehr hohen Stellenwert einnehmen wird. Mehr als 45 Prozent der Befragten haben KM entweder als Projekt aufgesetzt oder als neues Vorhaben geplant. Die treibende Kraft kommt aus den IT-Abteilungen und hat daher immer noch einen technischen Schwerpunkt. Die Studie zeigt aber deutlich, dass die Ursachen für das Scheitern von Knowledge-Management-Projekten eher im strategischen und organisatorischen Bereich liegen und nicht in der technischen Realisierung. Rolf Franken, Professor für Unternehmensführung an der FH Köln, dazu: "Bei den Unternehmen muss sich die Einsicht durchsetzen, Wissen zum Management-Problem zu machen. Nur so kann die Einführung von Wissens-Management funktionieren."

In Deutschland haben sich sowohl die IT-Konzerne als auch die Beratungsunternehmen das Thema auf die Fahnen geschrieben. Zu den Vorreitern in puncto Wissens-Management gehört IBM. Der Konzern betreibt von seiner Stuttgarter Deutschland-Zentrale aus schon seit Jahren etliche "Knowledge Networks". 1995 wurde das "Enterprise Systems Management" (ESM) gegründet. Das Wissensnetz, das mit einer 25-köpfigen Mannschaft gestartet war, ist mittlerweile auf 4000 Miglieder angewachsen. Zweimal im Jahr findet ein Wissensaustausch statt. Mittlerweile ist aus IBM-Kreisen zu hören, dass ein Wandel vom IT-anwendungszentriertem Arbeiten hin zu einer dem Arbeitsplatz in seiner natürlichen Form eher entsprechenden Themenzentrierung stattgefunden hat. IT-Portale knüpfen die Informationsquellen aus verschiedenen Anwendungen auf einem Bildschirm transparent zusammen. Der Benutzer scheint sich in einer einzigen Anwendung zu bewegen. Er kann direkt auf integrierte Wissens-Management-Funktionen zugreifen. Dazu gehören Team- und Community-Unterstützungen auf der Basis von Lotus Quick Place, einem auch mit Kunden über das Internet sofort verfügbaren virtuellen Raum - im IBM-Jargon auch Teamroom genannt - für den man außer dem Browser keine weitere Software benötigt.

Informelle Knowledge-BrokerPeter Schütt, Direktor Knowledge-Management bei IBM: "Die Grundsatzüberlegungen, die jahrelang zum Wissens-Management stattfanden, gehören längst der Vergangenheit an. Heute geht es vorrangig darum, die Produktivität der Wissensarbeiter zu steigern." Natürlich könne man Wissen nicht managen, aber doch ein Umfeld schaffen, in dem es gedeiht. Der IBM-Manager: "Darüber hinaus ist es wichtig, die Internet-basierenden Business Communities zu stärken - und an das stille Wissen im Unternehmen heranzukommen." Es sei ja schließlich kein Geheimnis, dass es in Unternehmen neben einer offiziellen auch eine inoffizielle beziehungsweise informelle Organisation, die "Good-old-Boys-Netzwerke", gebe. Um an diese informellen Organisationen heranzukommen, betreibt IBM seit 1996 Netzanaylsen. Schütt: "Wer als informeller Knowledge-Broker sichtbar wird, den bitten wir, eine Community of Practice zu leiten. Denn in der informellen Welt existiert das Prinzip ´Wissen ist Macht´ nicht - und das wollen wir nutzen."

In der Beratungsszene gehören KM-Projekte längst zum guten Ton. Bei Roland Berger & Partner beispielsweise wurden bereits Anfang der 90er Jahre Competence-Center - und zwar mit einem funktionalen oder branchenspezifischen Fokus - eingeführt. Gleichzeitig richteten die Verantwortlichen ein Info-Center als organisationsinternen Marktplatz für die unternehmensweite Beschaffung, Aufbereitung, Verwaltung und Verteilung interner wie externer Informationen ein. Um die so entstandene Wissensorganisation technologisch zu unterstützen, wurden proprietäre Datenbank- und Retrieval-Systeme implementiert. Zusätzlich erhielten alle Mitarbeiter E-Mail-Clients auf ihren PCs, was die weltweite Kommunikation erleichtern sollte.

Die Idee von "Brain" war geborenFelicitas Schneider, Associate Partner bei Roland Berger Strategy Consulting: "Diese Lösung wies jedoch noch einige Defizite auf, die mit dem Stand der damals verfügbaren Technologie zusammenhingen." Plan war, alle Informationen möglichst redundanzfrei zu erfassen sowie in das Wissens-Management-System einzuspeisen. Und: Jeder Consultant sollte dies selbst tun können. Die KM-Expertin: "Damit war die Idee von ´Brain´ (Berger Research and Interactive Network) geboren."

Nach monatelangen Produktvergleichen hat sich das Beratungshaus für das vollständig Web-basierende Knowledge-Management-System "Livelink" von Open Text entschieden. Inzwischen sind alle Anwendungen über das KM-System verfügbar. Die Berater können über die Brain-Oberfläche in ihrem Web-Browser auf alle internen Informationsquellen wie Best Practice und Skill-Datenbanken auf das Internet zugreifen. Diskussionsforen treiben den Austausch von Wissen zwischen den Consultants voran, und die Livelink-Project-Workspaces fördern die Zusammenarbeit virtueller Projektteams, die über die ganze Welt verteilt sind. Neu integriert wurden in diesem Jahr noch ein CRM- und ein Kapazitätsplanungs-Tool. Die Roland-Berger-Managerin: "Mit Hilfe des Portals wurde die Wissenstransparenz verbessert und die Innovationskraft gestärkt; außerdem können wir dank der virtuellen Arbeitsräume leichter kommunizieren. Kurzum - wir wissen endlich, was wir wissen."

Mitarbeiter für Themen sensibilisierenIm Schlepptau der Competence-Center entstehen auch neue Berufsbilder wie das des "Knowledge Brokers". Bei CSC Ploenzke hat Thorsten Kamin für die Business-Area E-Business diesen Job übernommen: "Um Fragesteller mit Kollegen, welche die Lösung wissen könnten, zusammenzubringen, reicht ein Tool nicht. Außerdem wollen sich Menschen lieber mit Menschen unterhalten."

Für seine Arbeit benutzt der Knowledge-Broker das weltweite Wissens-Management-Tool seines Arbeitgebers, das CSC-Sources-Portal: "Hier habe ich die Möglichkeit, Informationen zu sammeln und weiterzugeben, Communities themenspezifisch damit zu versorgen und für den notwendigen Austausch zu sorgen." Für Deutschland hat das Beratungshaus ein eigenes Intraweb mit verschiedenen Fachportalen der jeweiligen Einheiten beziehungsweise Themen installiert, das seinerseits in das weltweite CSC-Sources-Portal eingebunden ist. Obwohl CSC Ploenzke traditionell technologisch orientiert ist, wissen die IT-Berater aus Erfahrung, dass sie nur ein Bestandteil eines erfolgreichen Knowledge-Management sind. Für Kamin steht fest, dass die menschliche Ansprache die tragende Säule ist: "Die Mitarbeiter müssen für das Thema sensibilisiert werden." Dies zeige sich ganz deutlich, wenn es darum gehe, Erfahrungen und Erfolge wiederverwertbar zu machen. Doch fehle den in Frage kommenden Mitarbeitern oft die Zeit dazu. Der Wissensvermittler: "Der Unterschied zwischen der Zeit, die man beim Kunden verbringt, und der, die man benötigt, um die Ergebnisse wiederverwertbar zu machen, ist erheblich."

Zu der Wissensweitergabe seien die Mitarbeiter vor allem dann bereit, wenn sie den Vorteil für sich selbst und für das Unternehmen wirklich erkannt hätten. Diesen Prozess unterstützt Kamin durch seine Arbeit: "Der Erfolg hängt auch von den bereits gemachten Erfahrungen ab. Wenn ein Kollege schon von dem Wissen eines anderen profitiert hat, gibt er auch eher seine eigenen Erfahrungen weiter."

Von solchen Erfolgen können die Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute nur träumen. Zwar haben sich die Verantwortlichen seit der Fusion der Fraunhofer-Gesellschaft mit der GMD in diesem Jahr Wissens-Management ebenfalls aufs Panier geschrieben, doch bis zur Realisierung ist es noch ein langer Weg. Zuständig für den Bereich Wissens-Management zeichnet der EX-GMD-Chef Dennis Tsichritzis. Als die Fusion von Fraunhofer-Gesellschaft und GMD nach vielen Querelen im April über die Bühne gegangen war, bemühte Forschungsministerin Edelgard Bulmahn ein historisches Zitat: "Nun wächst auch in der IT-Forschung zusammen, was zusammengehört." Aufgabe sei, für das kulturelle Zusammenwachsen der Einrichtungen zu sorgen.

Kuno Blank, Hauptabteilungsleiter Wissens- und Kommunikations-Management bei der Fraunhofer-Gesellschaft, ist für die Entwicklung der neuen Gesamtstrategie für die mittlerweile immerhin 56 Institute zuständig. Dass die Aufgabe schwierig und nicht von heute auf morgen zu bewältigen ist, weiß der Wissenschaftler: "Wir müssen nicht nur die unterschiedliche Unternehmenskultur zwischen den GMD- und Fraunhofer-Leuten unter einen Hut, sondern auch die in den einzelnen Instituten tätigen Information-Broker auf eine einheitliche Basis bringen."

Während diese Angleichung schon große Fortschritte mache, befinde sich die Einführung von Knowledge-Management erst in der konzeptionellen Phase. Auf Erfahrungen aus der Vergangenheit könne man nicht zurückgreifen, da das Thema bislang eher rudimentär behandelt wurde. Zwar ständen den Mitarbeitern die zentralen Bibliotheks-Server zur Verfügung, und sie könnten auch aus dem Intranet umfangreiche Informationen abrufen, aber aktives Umgehen mit Wissen oder Verknüpfen von Wissen sei bisher nicht möglich gewesen. Blank: "Es hat damals nicht nur an Anreizsystemen, sondern auch an Freiräumen gefehlt. Schließlich sollen die Mitarbeiter mit ihren Projekten Geld verdienen - da bleibt wenig Zeit, um Wissen weiterzugeben." Dass jedes Institut ein Profit-Center sei, habe es auch nicht gerade leichter gemacht. Der KM-Experte: "Heute sieht die Situation besser aus. Wir werden keine Ausrichtung an Werkzeugen vornehmen, sondern eine Art Beratungs- beziehungsweise Schnittstelle sein."

Ganz wichtig sei es, das Know-how auf dem Laufenden zu halten. Schließlich betrage die durchschnittliche Verweildauer der Mitarbeiter in den Instituten fünf Jahre. Wenn ein Wissenschaftler das Institut verlasse, müsse er, so Blank, den Freiraum erhalten, andere einarbeiten zu können. Er fährt fort: "Wir bieten den einzelnen Instituten auf sie zugeschnittene Module an. Dafür sind die Ansprüche der Institute und die der Zentrale vorher genau abgeglichen worden." Neben den Modulen würden auch die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen. Welche Technik eingesetzt werde, darüber sei noch keine Entscheidung gefallen. Der KM-Fachmann rechnet damit, dass sein Bereich für die vollständige Implementierung eines erfolgreichen Wissens-Management-Systems noch drei bis vier Jahre brauchen wird: "Eines unser Ziele ist, mit Hilfe von KM auch das Geschäftsfeld Weiterbildung zu bedienen und eine Zweitverwertung erfolgreicher Projekte zu erreichen."

Ängste offensiv angehenDie technischen Konzepte der großen Konzerne und Beratungshäuser unterscheiden sich nur in Nuancen. Letztlich wollen alle Unternehmen mit Hilfe von digitalen Firmennetzen den Wissensaustausch fördern und dadurch Kosten- und Zeitvorteile erzielen. Das Dilemma ist: Trotz hervorragender Technik bleibt der Wissensaustausch oftmals auf der Strecke, arbeiten Abteilungen aneinander vorbei - oder - noch schlimmer - sogar gegeneinander. "Das Hauptproblem ist nach wie vor Angst vor Macht-, Status-, Kompetenz- oder Autoritätsverlust", erklärte der Münchener Sozial- und Wirtschaftspsychologe Dieter Frey bereits 1999 auf einer Ringvorlesung der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Thema. "An diesen Gefühlen hat sich nicht viel geändert." Seiner Meinung nach gilt es, die Ängste zu enttabuisieren und offensiv anzugehen. "Dazu gehört auch, den Mitarbeitern klarzumachen, dass das Zurückhalten von Informationen bestraft wird", betont Frey.

So geschehen bei der Sartorius AG in Göttingen. Seit Mai 1998 gilt bei dem Konzern eine Betriebsvereinbarung, die neben Mobbing, Diskriminierung und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz auch die "Unterdrückung von arbeitsnotwendigen Informationen" mit Sanktionen belegt. Wer sich bei dem Anbieter von Wäge- und Separationstechnik für chemische und medizinische Labors der geforderten Offenheit verschließt, muss mit Konsequenzen - bis hin zu Kündigung rechnen. "Informationen zurückzuhalten ist auch eine Art von Mobbing", mit diesen Worten stellte Utz Claassen, Vorstandsvorsitzender des Unternehmens, sein Konzept an der Uni München vor.

Probleme im mittleren ManagementDass die Betriebsvereinbarung von den niedersächsischen Medien vor allem mit dem Satz: "Wer Informationen nicht weitergibt, fliegt raus" wiedergegeben wurde, fand der Vorstandschef reichlich überzeichnet. Zwar sei grundsätzlich eine Kündigung denkbar, aber die Betriebsvereinbarung habe ganz sicher nicht zum Ziel, Mitarbeiter zu entlassen - im Gegenteil. Für Claassens Position spricht, dass der Sanktionskatalog beratende Gespräche, Belehrung, Verwarnung, Verweis, Geldbuße und erst als Ultima Ratio arbeitsrechtliche Maßnahmen vorsieht. Drei Jahre später zieht der Vorstandschef Bilanz: "Wir sind noch längst nicht perfekt, aber die Kommunikation hat sich tatsächlich verbessert. Im mittleren Management gibt es allerdings noch einige Kommunikationsprobleme." Eine Reihe von Führungskräften sowie viele IT-Spezialisten folgten immer noch dem Motto "Wissen ist Macht". Für Claassen indes steht fest: "Nur geteiltes Wissen ist Macht." (bi)

*Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.

Abb: Immaterielle Anreize

Gut für die Karriere erweisen sich KM-Systeme, wenn Anreize, wie zum Beispiel bessere Beurteilung, genutzt werden. Quelle: Meta Group Deutschland