Der Kunde ist häufig in einer schwachen Position:

Nur ausgefeilte Verträge schützen vor Ärger

05.08.1983

Verträge werden nicht für den Frieden gemacht - Dieser Satz gewinnt auch bei DV-Geschäften immer mehr an Bedeutung. Daß Fragen der Vertragsgestaltung intensiv bearbeitet werden müssen, wird im ersten Kapitel des Buches von Brandon und Segelstein(1) zum Thema "Data Processing Contracts" deutlich. Rechtsanwalt Dr. Christoph Zahrnt aus Neckargemünd hat den Part frei übersetzt, da sich Die Probleme In den USA auch auf die deutsche Situation übertragen lassen. Zahrnt versteht Die Äußerungen der US-Autoren als Mahnung sowohl für amerikanische als auch für deutsche Anwender.

Die weit, weit überwiegende Mehrheit aller DV-Leistungen wird ohne den Vorteil eines angemessenen Vertrags beschafft, wobei viele Leistungen ohne formellen Vertrag erbracht werden.

Da die Risiken des Einsatzes von DV-Leistungen mit der Komplexität des Einsatzes beständig wachsen, werden aller Wahrscheinlichkeit nach Unzufriedenheit und Rechtsstreitigkeiten auf diesem Gebiet zunehmen. Das gilt besonders, wenn die Anwender "erwachsen" werden und die Auswirkungen des Computereinsatzes immer höhere Schichten des Managements erreichen. Dementsprechend ist zu erwarten, daß Rechtsstreitigkeiten eine ganz normale und übliche Sache beim Einsatz von Computern in Unternehmen werden.

Angesichts der Maxime, daß eine Unze Vorsorge ein Pfund Abhilfe ist, ist es wirklich sinnvoll, einen umfassenden DV-Vertrag zu schließen. So kann ein ziemlich kleiner Zeitaufwand für die Abfassung von Verträgen sich hundertfach während und nach der Installation der Leistungen auszahlen.

Einen DV-Vertrag soll einerseits die (Leistungs-) Beziehungen zwischen den Parteien regeln, andererseits müßte er Maßnahmen bei möglichen Schwierigkeiten zwischen den Parteien vorsehen.

Unterschreiben und Wegschließen

Ein Vertrag sollte mit dem Blick darauf abgefaßt werden, daß er nach Vertragsschluß nie wieder angesehen wird. Es ist klar, daß die Durchführung der Installation ein hoch kompliziertes Unternehmen ist, das durch den guten Willen und durch die gute technische Zusammenarbeit beider Seiten gesteuert werden muß.

Wenn es nötig wird, sich auf den Vertrag zu beziehen, um die vertraglichen Beziehungen durchzusetzen, ist es wahrscheinlich schon zu spät.

Guter Wille läßt sich einfach nicht erzwingen: Man kann nur die mechanischen Verpflichtungen, wie sie im Vertrag festgelegt worden sind durchsetzen. Das heißt also: Obwohl der Vertrag äußerst energisch ausgehandelt sein mag und obwohl es so scheint, als sei die Vertragsurkunde das wichtigste Dokument für die gesamte Installation, ist es wahrscheinlich eine gute Praxis, die Vertragsurkunde in der Hoffnung wegzuschließen, daß gute Beziehungen zwischen den Parteien geschaffen werden, so daß man sich nicht mehr auf den Vertrag zu beziehen braucht. Die Ziele beider Parteien sollten sich bis zu einem Punkt annähern, an dem die Parteien nur noch daran interessiert sind, den Geist der Vereinbarung durchzuführen. Auf den Vertragstext sollte niemals zurückgegriffen werden; erst recht sollte er nicht benötigt werden, um die Vereinbarung durchzusetzen.

Unbeschadet dessen hat der Vertrag erheblichen Wert sowohl vor als auch während der Installationsphase. Die wichtigsten Ziele des Vertrags sind:

1. Absicherung gegen mögliche Fehlentwicklungen, die bei Vertragsschluß nicht vorhergesehen wurden, zum Beispiel der Konkurs einer der beiden Parteien, der Wechsel von für das Projekt besonders wichtigen Mitarbeitern, höhere Gewalt oder ähnliches.

2. Eine klare Dokumentation aller Vereinbarungen. Im Lauf der Zeit verschlechtert sich die Erinnerung an das, was im einzelnen besprochen worden ist.

3. Die Verantwortung beider Seiten in der Installationsphase sauber abzugrenzen.

4. Die Leistung und die Vertragsbedingungen sauber zu beschreiben, so daß Mitarbeiter, die später mit der Vertragsdurchführung zu tun haben, die Bedingungen genau feststellen können.

5. Für den Fall, daß die Beziehungen zwischen beiden Seiten schwer gestört werden eine Schlichtungsstelle vorzusehen, ohne die gemeinsamen Arbeiten an der Installation zu beeinträchtigen.

6. Überprüfbare Maßstäbe für den Nachweis der Leistungserbringung festzulegen, soweit das sinnvoll ist.

7. Das Management auf die Probleme von Computerinstallationen aufmerksam zu machen und ihr Verständnis dafür durch ein zusammenfassendes Dokument zu erhöhen.

8. Die Arroganz auf seiten bestimmter Verkäufer in dieser Branche zu überwinden, die zum Teil aus gewissen monopolistischen Praktiken entspringen, die in der Branche Tradition geworden sind.

9. Gewisse Ersatzansprüche festzulegen, wenn alles andere fehlschlägt.

Wie dargelegt, sollte die Vertragsurkunde möglichst wenig herangezogen werden. Sie kann genutzt werden, um die Verantwortung beider Seiten zu definieren oder um mögliche Meinungsverschiedenheiten zu lösen; und sie könnte nützlich sein, um die andere Seite gegebenenfalls nachdrücklich auf ihre Pflichten aufmerksam zu machen.

Sorgfältige Gestaltung verhindert Fehlschläge

Es hat bisher wenige bekanntermaßen erfolgreiche Installationen gegeben. Zum Teil hängt das vom Zusammenbruch der Beziehungen zwischen den Parteien ab. Einige dieser Fehlschläge hätten durch eine sorgfältige Behandlung des Vertragsschlusses verhindert werden können. In der Tat wird eine sorgfältige umfassende Vertragsvorbereitung diejenigen Punkte deutlich ansprechen, die in der Installationsphase besonders beachtet werden müssen. Dadurch kann die Vertragsvorbereitung die sorgfältige Planung der Installationsphase wesentlich unterstützen.

Unglücklicherweise glauben sehr wichtige Anbieter, daß es von ihrem Standpunkt aus nicht wünschenswert sei, einen umfassenden Vertrag auszuarbeiten. Das führte zu traditionell stark unangemessenen Vertragsbeziehungen, die den Kunden nur wenig schützen und die parallel dazu auch den Anbieter wenig schützen. Dieser ist jedoch grundsätzlich in einer wesentlich besseren Situation, weil er schlicht viel größer ist, Prozesse schwierig zu führen sind und dazu keinerlei Neigung auf seiten der Kunden besteht. Außerdem verwendet der Anbieter üblicherweise seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die ihn gegen die typischen Schwierigkeiten schützen. Zudem zeichnen sich die Anbieter typischerweise von jeglicher Haftung frei. Dementsprechend nützt die Ausarbeitung eines vernünftigen Vertrages in erster Linie dem Kunden.

Ein sachgemäßer Vertrag wird die verborgenen Risiken beider Seiten möglichst minimieren, indem er die Verantwortung soweit wie vorhersehbar abgrenzt. Ein guter Vertrag wird ausführlich die beiden wesentlichen Seiten einer jeden Transaktion behandeln, nämlich erstens die Leistung und ihren Preis und zweitens eine Abhandlung möglicher Fehlentwicklungen.

Der Teil des Vertrages, der die Leistung festlegt, wird allgemein für ganz einfach gehalten. Dabei ist er im Gegenteil äußerst schwierig. Das beste Beispiel für eine gute Leistungsbeschreibung liefert die Bauindustrie: Die Leistung wird in den Plänen und Spezifikationen des Architekten genau beschrieben; das wird zum Vertragsbestandteil gut macht. Ordentliche Pläne legen die Leistung exakt fest und lassen keine Grauzone übrig. In der Datenverarbeitung sind technische Pläne weniger wichtig, weil weitgehend Standardeinheiten geliefert werden. Am wichtigsten sind hier Spezifikationen über Funktionen und Leistungsverhalten sowie über Liefertermine. Diese sollten ausführlich behandelt werden.

Spezifikation schützt Kunden

Üblicherweise beschränkt sich der Vertrag leider darauf, die Leistung grob zu umreißen: "Einen Computer für X Dollars". In solchen Fällen haben die Lieferanten dank der ungenügenden Beschreibung einen großen tatsächlichen Vorteil gegenüber den Kunden, wenn Schwierigkeiten auftauchen.

Die Lösung dieses Problems liegt für den Kunden darin, sich erstens möglichst umfassend zu überlegen, was er von der Leistung erwartet, und diese Liste zum Vertragsbestandteil zu machen. Das führt direkt zu dem zweiten Punkt, die möglichen Fehlentwicklungen abzuhandeln. Das ist das Gebiet, auf dem es unzählige Fragen der Art gibt: "Was geschieht, wenn...?"

Die Menge solcher Fragen ist wahrscheinlich bei jeder einigermaßen komplexen Installation unendlich; aber diese Arbeit ist sehr notwendig. Die besten Verträge sind diejenigen, die solche möglichen Fehlentwicklungen genau bedenken. Rechtsanwälte versuchen manchmal, diese unter bestimmte Begriffe einzuordnen, aber das ist wenig bedeutsam. Das, was zählt, ist das Überlegen der möglichen Fehlentwicklungen. Einige "Was geschieht, wenn..."-Fragen können durch saubere Beschreibung der gewünschten Leistungsfähigkeit und der Funktionen gelöst werden. Besonders solche Fragen, die mit künftigen Ereignisse zu tun haben, können gut durch diese Fragestellung behandelt werden. Die EDV-Leute die frühzeitig Kriterien zum Leistungsverhalten und mögliche Fehlentwicklungen durchdenken und aufschreiben, erleichtern dem Management und dem Rechtsberater die Arbeit wesentlich und können die Vertragsverhandlung wesentlich vereinfachen. Diese Überlegungen sind nicht einfach, und Unterstützung durch einen Rechtsberater zu diesem Zeitpunkt ist dringend nötig, weil diese in dieser Fragestellung (angeblich) geschult sind.

Der Vertrag über die Beschaffung von Hardware ist wegen deren Bedeutung der weitaus wichtigste und bestimmt die Vertragspolitik für andere Leistungen. Im Bereich der Hardware wiederum setzt IBM als Marktführer weitgehend De-facto-Standards zur Vertragspolitik.

Unglücklicherweise hat die EDV-Industrie als Mietindustrie begonnen, in erster Linie deshalb, weil IBM bis 1956 ihre Leistungen nur auf der Basis von Mietverträgen anbot. Das ist die Ursache für das Vertragsproblem der Industrie; ein Mietvertrag ist kein verwickeltes Vertragsverhältnis; und weil er angeblich kurzfristig beendet werden kann, ist es nicht nötig, die Leistungen beider Seiten ganz genau festzulegen. Das war wenigstens die Philosophie im Jahre 1956, als IBM sich genötigt sah, ihre Leistungen auch zu verkaufen.

Der Vertrag von 1956 war ein einfacher Vertrag über Maschinenüberlassung, der den Kunden zur Zahlung des Mietzinses verpflichtete und den Lieferanten dazu, die Maschine zu liefern und in gutem Zustand zu halten. Wenn der Kunde unzufrieden war, konnte er kurzfristig kündigen. Dieser Vertragstyp erlaubte dem Lieferanten eine ungeheure Flexibilität, denn dieser verpflichtete sich zu nichts bezüglich der Leistung, deren Abnahme und "des guten arbeitsfähigen Zustands".

Günstige Praxis für Hersteller

Unglücklicherweise durchdringt der Vertrag von 1956 bis zum heutigen Tage immer noch die Vertragsphilosophie der Branche. IBM gestaltete den Kaufvertrag von 1956 ganz ähnlich dem Mietvertrag. Der Kunde hat außer dem Anspruch auf Eigentumsübertragung so gut wie keine Rechte gegenüber IBM. Der Kunde schließt einen gesonderten Wartungsvertrag, von beiden Seiten kurzfristig kündbar, wonach IBM es wiederum unternimmt, die Maschine in "gutem arbeitsfähigen Zustand" zu halten. Der Kunde kann, wenn er unzufrieden ist, den Wartungsvertrag kündigen, bezüglich des Kaufs bleibt er festgelegt. Er kann dann kaum etwas gegen den Lieferanten unternehmen.

Das ist die Grundlage der Vertragspolitik dieser Branche. Alle anderen Hersteller folgten IBM in dieser für sie günstigen Praxis. Leider lassen sich wichtige Probleme nicht durch eine kurzfristige Kündigung lösen. Denn eine Kündigung ist hier eine äußerst problematische Sache Der Kauf läßt sich nicht rückgängig machen, auch wenn die Wartung nicht funktioniert. Die Investitionen des Anwenders in Planung, Systemanalyse, Programmierung und Installation eines Computers sind so riesig, daß er dadurch gezwungen wird, das System für eine lange Zeit zu nutzen.

0bwohl also Wartungs- oder Mietvertrag formal keine langfristige Bindung beinhalten, erfolgt diese Bindung des Kunden aus tatsächlichen Gründen unvermeidbar. Leider ist der Lieferant nicht ebenso gebunden. Genau deswegen können sich die Beziehungen zwischen den Parteien verschlechtern und genau deswegen ist ein Vertrag wünschenswert, der dem Anwender weiterhilft.

Verträge über andere Leistungen haben sich den Beschaffungsvertrag über Hardware zum Vorbild genommen. Schließlich kann argumentiert werden, daß, wenn ein Vertrag über die Beschaffung eines Computers im Werte von einer Million Dollar oder zwei Seiten lang ist, die Beschaffung eines Softwarepakets über 50 000 Dollar sicherlich nicht ausführlicher geregelt werden braucht. Leider ist das Gegenteil der Fall, aber Gewohnheiten (auch schlechte) lassen sich anscheinend nur schwer ändern.

Der Anwender sollte den Standardvertrag mit großer Vorsicht betrachten. Diese sollte mehr darauf gerichtet sein, was der Vertrag übersieht, als was er vorsieht. Es kann gesagt werden, daß der Standardvertrag als solcher vom Standpunkt des Anwenders aus keine akzeptable Grundlage ist. Jeder Kunde, der sich auf einen Standardvertrag ohne weiteres einläßt, darf sich über die Folgen nicht wundern.

(1) Dick. H. Brandon/Sidney Segelstein: Data Processing Contracts, Van Nostrand Reinhold Company, New York, ISBN 0-41-21031-0