Interview

"NT schwächelt - Unix startet durch"

30.04.1999
Mit Jeff Papows, CEO von Lotus, sprach Don Tennant von der Computerworld Hongkong

CW: Linux ist das Schlagwort der Stunde. Glauben Sie, daß das Betriebssystem das Zeug zur strategischen Plattform hat?

PAPOWS: Davon bin ich mehr denn je überzeugt, auch wenn ich wenig praktische Erfahrung mit Linux habe. Das Feedback unserer Kunden und Geschäftspartner ist geradezu unheimlich. Es erinnert an die Zeiten der Glaubenskriege. So etwas habe ich seit den Tagen von Ray Ozzie, dem Vater von Notes, nicht mehr erlebt. Angesichts dieser Indikatoren spielt Linux künftig sicher eine wichtige Rolle.

CW: Und was macht Ihr Haus mit Linux?

PAPOWS: Wir entwickeln einen Domino Server, der im zweiten Halbjahr 1999 auf den Markt kommt. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen, denn wir haben noch andere Prioritäten wie etwa eine Version für IBMs OS/390, die zur Jahresmitte fertig ist. Eines kann ich aber sicher sagen: Auf der Client-Seite engagieren wir uns bei Unix oder Motif nicht mehr. Dafür gab es kaum Nachfrage.

CW: Glauben Sie, daß Microsoft wegen Linux beunruhigt sein muß?

PAPOWS: Ja, das glaube ich, das sage ich, obwohl wir sehr Microsoft-orientiert sind. Aber der Markt ist in Bewegung. 1997 basierten noch 65 Prozent unserer ausgelieferten Produkte auf NT. Dies änderte sich im zweiten Halbjahr 1998: NT schwächelte, und Unix, hier besonders AIX und Solaris, startete durch. In Sachen HP-UX habe ich dagegen keine große Nachfrage festgestellt.

CW: Wo liegen die Gründe für den Erfolg von Unix?

PAPOWS: Ein Grund dafür ist, daß die IS-Manager im Zuge des Client-Server-Fimmels erkannten, daß zu viele Server ihre Netze über Gebühr belasten. Nun konsolidieren sie zu großen symmetrischen Multiprozessor-Rechnern mit vier bis acht CPUs. Und dabei skaliert Unix einfach besser. Ich kenne AIX- und Solaris-Domino-Installationen mit 10000 Anwendern. In der NT-Welt ist so etwas nur schwer zu bewerkstelligen. Wenn ich Microsoft wäre, würde ich genau das tun, was Bill Gates gerade macht: Meine ganzen Anstrengungen auf Windows 2000 konzentrieren und dabei Unix nicht aus den Augen verlieren.

CW: Auf der Winhec kündigte Microsoft-President Steve Ballmer an, Teile des Windows-Codes freizugeben. Wie stehen Sie zur Open-Source-Bewegung?

PAPOWS: Ich bin generell kein großer Freund von Open Source, egal ob in Hinblick auf Linux oder ein anderes Produkt. Mir ist es suspekt, wenn ich die Entwicklung eines neuen Produktes nur noch teilweise kontrolliere. Nehmen wir als Beispiel Lotus Notes, Version 5. Daran arbeiteten intern rund 1000 Entwickler, die ich kaum managen konnte. Hätten dann noch außerhalb unseres Unternehmens 1000 Programmierer am Release 5 gebastelt, hätte ich wohl die Kontrolle verloren. Die Ankündigung Steve Ballmers ist sicher ein interessanter Schritt, aber ich weiß nicht, ob ich das ebenfalls tun würde.

CW: Zurück zu Ihrem Unternehmen. Es tauchen plötzlich Anzeigen für cc:Mail 8.3 auf. Ist die Investition in cc:Mail für den Anwender ein cleverer strategischer Schachzug?

PAPOWS: Das ist sicher keine strategische Entscheidung. Es kann aber ein cleverer taktischer Zug sein, denn der 8.3-Client ist Jahr-2000-fest. Dies ist die schnellste Lösung, um eine cc:Mail-Installation für das nächste Millennium zu präparieren. Aber Lotus bekennt sich nach wie vor dazu, daß Notes unser strategischer Client ist.

CW: Das heißt im Klartext, ein Unternehmen, das cc:Mail heute noch nicht nutzt, sollte gleich Notes verwenden?

PAPOWS: Natürlich, denn Investitionen in ein Mail-System ohne Zusatznutzen halte ich für nicht besonders klug. Lotus empfiehlt vielmehr: Mail, Calendaring und Scheduling sowie Echtzeitdienste und Web-Applikationen. Das ist der Unterschied zwischen Exchange und Domino. Deshalb würde ich niemand empfehlen, nur in ein Mail-System zu investieren, denn ohne die Integration anderer Dienste erhöht das für die Anwender nur die Gesamtkosten.

CW: Abschließend noch eine Frage. Was bereitet Ihnen derzeit am meisten Kopfzerbrechen?

PAPOWS: Die durchschnittlichen Verkaufspreise, oder anders ausgedrückt, die Schwierigkeit, den Listenpreis am Markt zu erzielen. Microsoft drückt mit Dumping-Preisen, oder gar kostenlos, seine Produkte in den Markt. Auf der anderen Seite sehe ich Unternehmen wie SAP oder Peoplesoft, die fast verlangen können, was sie wollen. Das verstehe ich nicht, denn wir geben auch nicht weniger für Forschung und Entwicklung aus.