Novell und USL wollen nur noch ein Gremium Open-Systems-Konsortien stehen auf dem Pruefstand

25.06.1993

LONDON/MUENCHEN (CW) - Microsoft setzt mit seiner Windows-NT- Ankuendigung die Unix-Gemeinde unter Zeitdruck. Mehr denn je sind herstelleruebergreifende Standards gefordert. Die Unix System Laboratories (USLInc. und deren Muttergesellschaft Novell streben deshalb an, die Anzahl der Open-Systems-Gremien zu reduzieren.

Derzeit ueben die Unternehmen Druck auf die Standardisierungsgremien Unix International (UI), X/Open und die Open Software Foundation (OSF) aus, indem sie erklaeren, kuenftig nur noch mit einer dieser Organisationen oder mit einem Konglomerat aus allen dreien eng kooperieren zu wollen.

UI hatte sich nach dieser Ankuendigung schon auf der sicheren Seite gewaehnt. Immerhin war das Konsortium als Foerderinstitution fuer das USL-Betriebssystem Unix System V.4 gegruendet worden. Wie der englische Informationsdienst "Unigram" schreibt, kuendigte UI sogar voreilig an, man stimme mit Novell und der USL generell darin ueberein, dass es eine erweiterte Unix-International- Organisation sein werde, mit der Novell und USL die geplante "Governance Relationship" eingehen wollten.

Dass Unix International mit dieser Ankuendigung weit ueber das Ziel hinausgeschossen ist, zeigt der Kommentar von USL-Chef Roel Pieper, der einem Bericht des Londoner Branchendienstes "Computergram" zufolge die Auswahl von UI als Partner nicht bestaetigte. Der USL-Geschaeftsfuehrer, der auch im Namen von Novell- President Ray Noorda sprach, betonte, es sei noch nicht entschieden, ob Unix International, X/Open, die OSF oder ein Gremium, das sich aus diesen drei Gruppen zusammensetze, kuenftig eng mit Novell und der USL kooperieren werde.

Nicht erwaehnt wird in diesem Zusammenhang die Common-Open- Software-Environment-Gruppe (COSE), zu deren sieben Mitgliedern neben IBM und Hewlett-Packard auch die Novell-Toechter Univel und USL zaehlen. Die Gruppe, die sich innerhalb weniger Wochen fuer OSF/Motif als gemeinsames Normwerkzeug zur Gestaltung von Benutzeroberflaechen entschieden hatte, scheint eine ihrer wichtigsten Aufgaben in der Verschmelzung unterschiedlicher Open- Systems-Technologien zu sehen. So sollen etwa die Konzepte "Atlas" von UI und "Distributed Management Environment" von der OSF zu einer einheitlichen Architektur fuer die verteilte Datenverarbeitung verschmolzen werden.

Trotz der Existenz von COSE darf sich nach Angaben fuehrender USL- Mitarbeiter wohl doch UI die groessten Hoffnungen auf den Zuschlag fuer eine intensivierte Zusammenarbeit mit Novell und der USL machen. Gleichwohl macht das Konsortium keinen Hehl aus seiner Enttaeuschung darueber, dass die beiden Initiatoren auch mit den konkurrierenden Gremien OSF und X/Open in Verhandlungen stehen. Die Aufgaben, die von der neuen Organisation erwartet werden, entscheiden sich naemlich nicht wesentlich von dem, was UI schon heute anbietet. Dazu zaehlen zum Beispiel die Ausarbeitung von Programmierschnittstellen und Tools, Anforderungsanalysen, Schulungen oder auch die Aufnahme von Kundenwuenschen.

Die Ankuendigung von Novell und der USL, kuenftig nur noch mit einem der drei alteingesessenen Gremien arbeiten zu wollen, wird von Brancheninsidern als Versuch interpretiert, die Existenz konkurrierender Unix-Konsortien mit ueberlappenden Aufgaben oeffentlich in Frage zu stellen und die Gremien zu verstaerkten Konsolidierungsmassnahmen zu bewegen.

Diese Botschaft scheint im UI-Management angekommen zu sein. So forderte ICL-Manager Peter Stuart die Open-Systems-Gruppen dazu auf, sich noch mehr als bisher auf ihre besonderen Faehigkeiten zu besinnen und Ueberschneidungen in den jeweiligen Aufgabengebieten auszuraeumen. Zwar sei man bereits auf dem richtigen Wege, doch die Organisationen muessten noch naeher zusammenruecken, ihr Angebot aufeinander abstimmen und sich gegenseitig ergaenzen - sonst seien ihre Tage gezaehlt.