Novell nimmt Abschied von Netware

28.03.2007
Von 
Ludger Schmitz war freiberuflicher IT-Journalist in Kelheim. Er ist spezialisiert auf Open Source und neue Open-Initiativen.
Auf der Kundenveranstaltung Brainshare bekräftigt der Anbieter seine Ausrichtung auf Open Source und die umstrittene Kooperation mit dem einstigen Erzfeind Microsoft.

Netware ist nicht mehr, beziehungsweise es besteht nur noch virtuell weiter. Von der zweiten Version des "Open Enterprise Server" (OES) soll in Kürze eine Betaversion erscheinen. Und die wird faktisch das Ende des Betriebssystems bringen, mit dem die Company einst groß geworden ist.

Hier lesen Sie ...

  • wie Netware verschwindet;

  • welche Neuerungen das Service Pack 1 für Suse Linux 10 bringt;

  • welche technische Ergebnisse der Vertrag mit Microsoft gebracht hat.

Der Netware-Kernel von OES wird virtualisiert

Denn bisher war Netware neben Suse Linux noch einer von zwei alternativen Kernen des OES, während die eigentlich wichtigen Netware-Services vom alten Betriebssystem isoliert waren und auf beiden Systeme aufsetzten. Das wird sich mit OES 2 ändern. Dessen Betriebskern wird Suse Linux Enterprise Server (SLES), und zwar mit dem Update Service Pack 1. Netware läuft dann nur noch als virtuelle Maschine in SLES.

Eine weitere Neuerung ist die "Dynamic Storage Technology", ein Softwaremodul für das Information-Lifecycle-Management. Es schreibt unbenutzte archivierte Daten auf kostengünstige Langzeitspeicher. Auf diese Weise verkürzen sich die Backup-Zeiten und reduzieren sich die Speicherkosten. Die ebenfalls neuen "Domain Services for Windows" erlauben eine Integration von Microsofts Active Directory und Novell eDirectory. Windows-Anwender können sich direkt beim eDirectory authentifizieren, ohne dass auf den Desktops Novell-Clients installiert sein müssen.

Interoperabilität zwischen Windows und Linux

Dieser Aspekt von OES 2 ist für Novell eine Frucht des viel kritisierten Friedensvertrags mit Microsoft vom November letzten Jahres. Immer wieder betont die einstige Netware-Company, beiden Unternehmen gehe es dabei um die Koexistenz und Interoperabilität der Windows- und Linux-Welten. Im Überschwang gelang Jeffrey Jaffe, Novells Chief Technology Officer (CTO), eine Marketing-Oscar-reife Formulierung: "Wir haben eine Win-Win-Win-Situation geschaffen", verkündete er. "Microsoft glaubt, sie hätten gewonnen und würden eine Menge davon haben. Wir bei Novell meinen, wir hätten gewonnen. Und der größte Gewinner von allen ist der Kunde, der es endlich mit Firmen zu tun hat, die in heterogenen Umgebungen zusammenarbeiten."

Viele Kunden hätten Novell erklärt, so Jaffe, dass ihnen Interoperabilität ebenso wichtig sei wie Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer IT-Umgebungen. In dieser Richtung sei der Vertrag mit Microsoft jetzt schon ein Erfolg im Sinne der Anwender. Novell habe dabei sein Herz nicht an Redmond verkauft: "Microsoft wird Windows vorantreiben und wir Linux. Wir stimmen darin überein, nicht übereinzustimmen. Aber wir sind uns dahingehend einig, Interoperabilität zwischen den Plattformen zu schaffen", erklärte der Cheftechniker.

Microsoft-Topmanager erstmals auf der Brainshare

Microsofts Chief Research and Strategy Officer Craig Mundie sprang seinem Novell-Counterpart höflich zur Seite: "Die Kunden haben uns gebeten, den Deal zu erfüllen." Microsoft habe seinen Teil beigetragen zur Überwindung der Grenzen. AIG, Deutsche Bank, Credit Suisse, Wal-Mart, HSBC und andere Unternehmen haben vom Redmonder Softwaregiganten Coupons erhalten, die ihnen kostenlosen Support für Suse Enterprise Linux bescheren, bezahlt von Microsoft. Novell-CTO Jaffe nahm den Hinweis dankbar auf: "Kunden erklären uns: Linux ist wichtig und Windows ebenfalls; dies sind die beiden Plattformen der Zukunft. Und ihr Anbieter müsst für Interoperabilität und Virtualisierung zusammenarbeiten." Er verwies darauf, dass Interoperabilität ein wiederkehrendes Kennzeichen wichtiger Neuentwicklungen bei Novell sei.

Trotz der offiziellen Lobeshymnen auf den Deal zwischen Microsoft und Novell verstummt die Kritik aus dem Open-Source-Lager nicht. So veranstaltete der Open-Source-Evangelist Bruce Perens während der Brainshare eine Pressekonferenz, in der er heftige Attacken ritt. Novell habe Microsoft eine "Waffe" in die Hand gegeben, die zur Zerstörung der Open-Source-Gemeinschaft führen könne. Der Linux-Anbieter habe "das Vertrauen der Open-Source-Community missbraucht" und "unmoralisch" gehandelt.

Das Service-Pack 1 verbessert Suse Linux 10

Im Mai wird das Unternehmen zur Version 10 von Suse Linux Enterprise Server (SLES) und seiner Desktop-Ausgabe SLED ein "Service Pack 1" (SP1) herausgeben. Dies wird anders als bei Microsoft keine Sammlung von Patches, sondern eine wesentliche Verbesserung der Linux-Betriebssysteme. So wird es die neueste Variante 3.0.4 des Xen-Hypervisors enthalten, mit dem Windows Server 2000, 2003 und XP unmodifiziert als virtuelle Xen-Maschinen laufen können. Dazu bringt Xen neue paravirtualisierte Netzwerk- und Block-Device-Treiber.

Das SP1 verbessert die meisten Kernkomponenten des Betriebssystems, so das Cluster-Dateisystem, den Volume- und den Cluster-Resource-Manager. Es verwendet dabei die Prozessor-Virtualisierungstechniken "VT" von Intel und "Pacifica" von AMD. Außerdem kann es Quad-Core-CPUs ausnutzen. Integriert ist das Sicherheits-Framework AppArmor 2.0, das nun auch Apache Tomcat unterstützt. Erweiterungen erlauben Zertifizierungen bis zur Sicherheitsklasse EAL4+.

Sicherheitsverbesserungen bringt das SP1 auch für Suse Linux Enterprise Desktop in Form von Zugriffsblockierungen, gesicherten Festplattenpartitionen und verschlüsselten Home Directories. SLED-Rechner lassen sich ohne Erweiterungen in Microsofts Active-Directory-Umgebungen integrieren. Durch das Service Pack kommen die Anwender auch zu neueren Versionen von OpenOffice (2.1) und Firefox (2.0) sowie in den Besitz des Open-XML/ODF-Übersetzers, der Word-2007-Dokumente kompatibel zu OpenOffice macht.

Noch in diesem Jahr will Novell einen "Suse Linux Enterprise Thin Client" freigeben. Es handelt sich dabei um eine reduzierte Variante des SLED für die beschränkten Möglichkeiten der Thin-Client-Hardware. Die Rede ist von Betriebssystem-Größen wie 128 und 256 MB. Genau genommen wird es aber nicht bei zwei Minisystemen bleiben. Vielmehr will Novell neben einem eigenen Angebot ein Toolkit für das Erstellen von Images herausgeben. Mit diesem sollen Partnerunternehmen spezielle Thin-Client-Linux-Versionen nach den Anforderungen ihrer Kunden zusammenstellen. "Das wird eine Channel-Aktion", erklärte Novell-CTO Jeff Jaffe. Viele SLED-Anwender hätten sich nach einem Thin-Client-Linux erkundigt. Genauere Details zu dem modularen Suse Linux für Thin Clients sind noch nicht bekannt.

Konferenzlösung erweitert Collaboration-Angebot

Für das dritte Quartal dieses Jahres hat Novell ein neues Workgroup-Produkt angekündigt: "Teaming + Collaboration". Zu ihm hat der Anbieter bisher nur ausgeführt, dass es als Open Source auf den Markt kommen soll. Es werde Teile von "Groupwise" mit Code von Sitescape kombinieren. Mit diesem Spezialisten für Web-basierenden Workflow und Collaboration hat Novell vor kurzem ein Lizenzabkommen abgeschlossen. Sitescape soll bereit sein, ebenfalls Techniken offen zu legen. Teaming + Collaboration soll die Grundlage für das neue Open-Source-Projekt "ICEcorps" bilden. Dabei geht es um den Aufbau einer Echtzeit-Konferenzlösung. Novell-CTO Jaffe ist zuversichtlich: "Die Beteiligung der Community wird Conferencing und Collaboration auf ein neues Niveau heben."