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Novell-Chef plaudert über Denim, Bill Gates, Linux und Netware

31.03.2000
Schmidt: "Microsoft war schon immer gut im Nachahmen."

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Auf der hauseigenen Entwicklerkonferenz "Brainshare" in Salt Lake City stellte Novell in dieser Woche seine neue Netzwerkvision vor, in der die Grenzen zwischen den klassischen Netzen verschwinden und Unternehmen einen universellen, plattformunabhängigen Zugang zum Internet und zu Softwarediensten erhalten sollen (CW Infonet berichtete). Als Kernstück dieser "One-Net"-Strategie präsentierte der Netzwerkexperte aus Provo/Orem, Utah, seine neue Architektur "Denim" (Directory-Enabled Net Infrastructure Model), die die vorhandenen und künftigen Produkte von Novell und seinen Partnern in einer Plattform vereint und Internet-basierte, modulare und plattformübergreifende Dienste liefert. Dominique Deckmyn von der CW-Schwesterpublikation "Computerworld" sprach mit Novells Chairman und CEO (Chief Executive Officer) Eric Schmidt.

CW: Denim erinnert an die Internet-basierten Dienste "Next Generation Windows Services", über die Microsoft seit neustem redet. Wie unterscheidet sich Ihr Konzept?

SCHMIDT: Microsoft war schon immer gut im Nachahmen von anderen. Seit 1994 - in meiner vorherigen Position als Chief Technology Officer bei Sun Microsystems und dann hier - spreche ich von einer Welt, in der Dienste über das Internet zur Verfügung gestellt werden und auf die man von unterschiedlichsten Clients via HTML (Hypertext Markup Language) und XML (Extensible Markup Language) zugreifen kann. Das ist einer der zentralen Punkte, über die Bill Gates redet. Meine Antwort dazu lautet: "Willkommen im Club". Der Unterschied liegt darin, dass er einen sehr Windows-zentrierten Blickwinkel hat, den ich nicht für richtig halte.

CW: Eine der großen Herausforderungen für Novell liegt darin, unabhängige Software-Entwickler dazu zu bringen, für NDS (Novell Directory Services; Anm. d. Redaktion) und die Denim-Architektur zu entwickeln. Auch bei "Netware" hatten Sie Schwierigkeiten, Entwickler zu gewinnen. Wird das bei Denim leichter werden?

SCHMIDT: Wir sind davon überzeugt, und zwar aus folgenden Gründen: Die meisten Leute werden diese Plattform mittels XML oder Javabeans nutzen, um Zugang zu den Novell-Diensten zu bekommen. Novells Kernkompetenz liegt nicht darin, derartige Schnittstellen zu schaffen, wie der missglückte Versuch, die NLM-Interfaces (Netware Loadable Module) als allgemeine Schnittstelle zu etablieren, beweist. Ich vermute, wir werden keine Probleme mit Denim haben, weil XML und Javabeans hier gut funktionieren werden.

CW: Welche Marktsegmente sind Ihrer Meinung nach reif für One-Net-Networking?

SCHMIDT: Alle vertikalen Märkte werden davon profitieren. In der Praxis werden diejenigen für diese Plattform entwickeln, die auf eine Internet-integrierte E-Business-Beziehung zu ihren Kunden angewiesen sind. Nach unserer Erfahrung dürften wir es am leichtesten überall dort haben, wo sichere Netzwerkverbindungen gefragt sind, wie in den Bereichen Krankenversicherung und Medien. Aber ich bin überzeugt davon, dass unsere oder ähnliche Lösungen in Zukunft letztendlich von allen genutzt werden.

CW: Glauben Sie, dass die ursprünglichen Kerndienste von Netware, die File- und Print-Services, inzwischen Allerwelt-Dienste geworden sind?

SCHMIDT: Nein, ich bin ganz anderer Meinung. Wenn dem so wäre, warum sollte EMC dann so erfolgreich sein? Storage ist ein enormer Wettbewerbsvorteil. Die Anwender haben ein großes Interesse an Storage-Clustern, die über günstige Backup-Lösungen gesichert werden können. Sie geben riesige Summen für die modernsten Storage-Lösungen aus.

CW: Linux mausert sich zunehmend zum File- und Print-Server. Sehen Sie darin eine Gefahr für den Low-end-Netware-Bereich?

SCHMIDT: Im Moment sehe ich die Gefahr nicht. Das könnte vielleicht künftig so sein. Aber es geht hier nicht primär um die Softwarekosten. Die Kosten kommen immer durch komplexe Lösungen zustande. Die Anwender bevorzugen ein Produkt, das viele Probleme auf skalierbare Art lösen kann, statt einer Menge von Linux-Maschinen, die sie nicht bedienen können - auch wenn Linux billiger ist.

CW: Viele Hersteller, darunter Sun Microsystems, die Santa Cruz Operation und IBM binden Linux oder die Open-Source-Bewegung in irgendeiner Weise mit ein. Novell hat zwar einen Directory-Port angekündigt, aber gäbe es nicht noch mehr Möglichkeiten in dieser Richtung?

SCHMIDT: Es gibt kein Patentrezept für den Umgang mit dem Phänomen Linux. Es gibt keine allgemein gültigen Begrifflichkeiten oder Verträge und die Modelle sind fast immer reine Theorie. Wir haben uns daher entschieden, NDS auf Linux aufzusetzen, um damit die Management- und Interoperabilitätsfunktionen zu erlangen, für die Novell bekannt ist. Meine Einstellung ist: Wir versuchen das erst einmal so, warten die Reaktion der Kunden ab und machen dann weiter.

CW: Haben Sie schon mal über eine Open-Source-Zukunft von NDS oder Netware nachgedacht?

SCHMIDT: Wir haben natürlich darüber gesprochen, aber wie gesagt, ich denke , die Modelle sind noch zu vage. Sie verwenden den Begriff Open-Source, ohne ihn zu definieren. Alle von Ihnen genannten Firmen verwendet ihn mit unterschiedlicher Bedeutung. Wir haben darüber nachgedacht, NDS kostenlos zur Verfügung zu stellen, und bereits Produkte gebündelt und Promotions durchgeführt, aber noch ist nichts entschieden.

CW: Macht ein Modell beispielsweise für NDS Sinn, wonach die Kunden den Code ändern, erweitern und weitervertreiben können?

SCHMIDT: Nur zum Hintergrund: Als ich 22 Jahre alt war, habe ich in Berkeley an einer Open-Source-Bewegung teilgenommen, die das Unix-Phänomen - das Rückrat für das Internet - entwickelt hat. Diese Bewegung hat aber auch zu der Balkanisierung von Unix geführt und vor 15 Jahren zu den Kriegen zwischen Sun und der Open Source Foundation, in der ich an vorderster Front mit dabei war. Ich habe also eine Menge Erfahrung mit Open-Source - nur eine Generation davor. Das Problem damit ist, dass man am Ende mit nicht-standardisierten Lösungen dasteht, die nicht zusammen funktionieren. Positiv ist, dass sehr viel Kreativität mitspielt. Es fragt sich, ob diese Generation die gleichen Fehler machen wird wie ich. Für eine Antwort ist es noch zu früh.

CW: Novell hat damit begonnen, auf Netware basierende Spezialanwendungen wie den Internet-Caching-Server zu entwickeln. Liegt darin die Zukunft von Netware?

SCHMIDT: Viele der Einsatzmöglichkeiten von Netware werden wir als Spezialanwendungen anbieten - wir müssen sie nur besser standardisieren, denn Kunden sind immer besorgt, wie sich solche Lösungen dann verwalten lassen. Unsere Architektur ist geradezu für solche Appliances prädestiniert, daher ist dies eine gute Chance für uns. Außerdem handelt es sich um denselben Quellcode.

CW: Das Netware-Geschäft hat sich stabilisiert, aber es verliert auch Marktanteile.

SCHMIDT: Das Netware-Geschäft wächst. Man muss vorsichtig sein, was man vergleicht. Wir gehen von zehn bis 20 Prozent Umsatzwachstum im Jahr aus. Die Steigerung der Stückzahlen wird niedrig ausfallen, denn einer der Vorteile bei Netware ist schließlich, dass die Zahl der Server reduziert werden kann. Generell hat sich Novells Marktanteil sehr langsam verkleinert, wird er an Stückzahlen gemessen. Das beunruhigt mich nicht, solange es sich um eine Server-Konsolidierung handelt und nicht darum, Netware komplett rauszuschmeißen.

CW: Wie alle Softwarehersteller wird sich auch Novell mit dem Modell des Application-Service-Provider (ASP) beschäftigen müssen. Wie gehen Sie an dieses Thema heran?

SCHMIDT: Keiner hat den Erfolg des ASP-Modells bisher bewiesen. Es handelt sich nicht um einen Markt, in dem ich Pionier sein will, denn ich habe bereits ein existierendes Geschäftsmodell, das mir gefällt. Das ASP-Modell wird für einige Dinge gut funktionieren und für andere nicht. Die generelle Frage ist: ASP wird statt finden, wie wird Novell mitspielen? Die Antwort liegt im Directory. Das heißt, wenn wir Verzeichnisdienste in verschiedenen Formen für ASPs bereit stellen, können wir eine Menge Geld verdienen.

CW: Novell hat eigene Professional Services aufgebaut. Wird Ihr Unternehmen irgendwann zum Integrator?

SCHMIDT: Nein. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir ein hoch spezialisierter Integrator von Netzwerkdiensten für Directory-basierte Lösungen sein wollen. In dieser Funktion werden wir mit kommerziellen Systemintegratoren zusammenarbeiten. Diese rufen uns an, damit wir einen Teil der Arbeit übernehmen, und wir verdienen unser Geld direkt beim Kunden. Dadurch benötigen wir weniger Personal und können höhere Preise verlangen. Außerdem sind wir keine besonders guten Allzweck-Integratoren. Unsere Kompetenz liegt darin, durch den Einsatz von Verzeichnisdiensten unterschiedlichste Probleme zu lösen. Dieser Unternehmensbereich wächst übrigens am schnellsten.