Kolumne

"Nouvelle Cuisine"

01.11.2002
Christoph Witte Chefredakteur CW

Einige der prägnantesten sprachlichen Bilder, mit denen digitale Phänomene beschrieben werden, stammen aus der Biologie oder der Medizin. Man denke etwa an Viren oder Würmer, mit denen jeder schon mal auf die eine oder andere Weise unliebsame Erfahrungen gemacht hat.

Verdauungsprobleme dagegen galten bisher als eindeutig zugeordnet. Kamen solche Zustände überhaupt zur Sprache, dann riet man den daran leidenden Zeitgenossen zu einem Cognac oder einem anderen magenwandätzenden Getränk. Seit kurzem aber benutzen Analysten - zum Beispiel die von Ovum - das Wort "Verdauungsproblem" , um die Investitionsunlust zu beschreiben, die so viele Anwenderunternehmen ergriffen hat, wenn es um Informations- und Kommunikationstechnik geht.

Klar ist die Metapher: Nach Jahr-2000- und Internet-Boom hängen die Unternehmen noch vollgefressen an der geleerten IT-Tafel, kein Server, keine Software geht mehr rein - nicht einmal ein kleines PDA. Jeder Tischgenosse schwört sich insgeheim, nie wieder so viel zu essen. Einmal ist die Rechnung dann niedriger, und zum anderen fühlt man sich nicht so aufgeblasen.

Das Bild ist eindeutig, aber einseitig. Beim Essen trifft meist den Speisenden die Schuld am drückenden Magen, selten den Koch. Das ist in der IT anders, hier liegt die Verantwortung für das Zuviel mindestens im gleichen Maße bei den Herstellern. Schließlich waren sie es, die im Gegenzug zum üppigen IT-Einkauf hohe Produktivitätsgewinne versprochen haben. Schlank durch Fressen quasi. So in Sicherheit gewogen, schaufelten sich die Anwender die Teller immer wieder voll. Dass die kredenzten "Speisen" aber durch komplizierte Bedienung, hohe Integrationskosten oder einfach durch Fehler praktisch unverdaulich bleiben mussten, wurde selten rechtzeitig erwähnt.

Der Ausweg für die IT-Szene lautet Nouvelle Cuisine. Die Mahlzeiten sind aus den besten Zutaten bereitet, schmecken exzellent und zeichnen sich meist durch hohe Übersichtlichkeit auf den Tellern aus. Verdauungsprobleme stellen sich bestimmt nicht ein - und der Preis ist ja seit kurzem sowieso Verhandlungssache. Na dann, wohl bekomm''s.