Gastkommentar

Notes hält, was die Intranets erst versprechen

10.05.1996

Holger Wolff Geschäftsführer der Unternehmensberatung Beck et.al in München

Viel haben wir dem Internet zu verdanken. Es hat uns den ersten Internet-Milliardär beschert, unzählige Seminarveranstalter, Berater und Propheten hat es reich gemacht.

Wo es Gewinner gibt, da sind auch Verlierer nicht weit: Dem Groupware-Pionier Lotus mit seinem Flaggschiff "Notes" werden die Intranets, also die firmeninternen, nach außen abgeschotteten Internet-Abschnitte, nach Meinung vieler Branchenkenner das Wasser abgraben. Im Kampf um die Vorherrschaft im Cyberspace ist auf die ärgsten Feinde Verlaß, und so prophezeien uns denn auch Bill Gates und Netscape-Chef Marc Andreessen in seltener Einigkeit das Ende von Lotus Notes.

Was ist also dran an den Intranets, denen man zutraut, Notes den Garaus zu machen ? Intranets tragen die Technologie des Internet in die Betriebe und Büros. Auf internen Web-Servern werden Unternehmensinformationen publiziert, mit E-Mail wird kommuniziert und das Ganze über TCP/IP-basierte Netze. Auch wenn das Internet mehr als E-Mail und Web zu bieten hat, die Intranets basieren im wesentlichen auf diesen beiden Technologien.

Nicht erst seit der Diskussion um die Intranets dämmert uns, daß das Überleben unserer Firmen in zunehmendem Maße von der Fähigkeit bestimmt wird, Informationen schnell und effizient zu erzeugen und zu verarbeiten. Die Abbildung der Wissensbasis eines Unternehmens ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, daß dieses ständig an seinen Aufgaben lernen kann. Wichtige Informationen für den mehr oder weniger allgemeinen Zugriff finden sich heute in Hunderten von Lotus-Notes-basierten Informationssystemen. Notes ist populär geworden durch diese Art von Applikationen, die auf Geben und Nehmen von Informationen, auf den Beiträgen jedes einzelnen Mitarbeiters beruhen.

Web-basierte Informationssysteme können das zwar im Prinzip auch, aber im Wie steckt der große Unterschied. Web-Technologien erziehen zu Passivität. Information wird konsumiert, der Boom des Internet basiert darauf, daß das mehr oder weniger wahllose Konsumieren von Informationen Mode geworden ist.

Die Intranets werden diesen konsumorientierten Zugang zu Informationen in die Unternehmen tragen. Wer einmal für einen größeren Web-Server die Produktion der Inhalte organisiert hat, wird wissen, wovon ich spreche. Ein Web-Server ist schnell installiert, aber jeden Mitarbeiter auch in die Lage zu versetzen, dort Informationen bereitzustellen, diese vielleicht noch von Kollegen vor der Veröffentlichung begutachten zu lassen, alle Links und Verweise aktuell und konsistent zu halten, das ist eine weitaus schwierigere Aufgabe.Notes dagegen überwindet die traditionelle Arbeitsteilung zwischen denen, die Informationen verteilen, und denen, die sie konsumieren. Jeder ist Nutzer und Produzent von Informationen zugleich. Mit Notes kann jeder einen Beitrag leisten, eine Information zur Verfügung stellen. Einen Editor auf Basis der Hypertext Markup Language (HTML) muß er dazu nicht bedienen können.

Notes ist zu teuer, lautet eines der wichtigsten Argumente für die Intranets. Spätestens seit den drastischen Preissenkungen bei Notes 4 gilt dieser Einwand jedoch nicht mehr.Intranets brauchen zudem leistungsstarke WAN-Verbindungen. Diese mag es innerhalb US-amerikanischer Unternehmen oft geben, in Europa sind wir davon noch weit entfernt. Die 64-Kbit-Leitung ist noch die am häufigsten anzutreffende Verbindung zu Niederlassungen, Werken und anderen peripheren Organisationsteilen. Das ist nicht gerade eine perfekte Voraussetzung für den kollektiven Online-Zugriff auf grafisch orientierte Web-Dokumente. Notes kanalisiert die notwendige Bandbreite durch Server-Server-Replikation oder verlagert die Übertragung von weniger zeitkritischen Informationen in die Nacht. Informationsverteilung durch Replikation - kein Intranet kann das heute leisten.

Intranets existieren, aber die Kunden dafür müssen erst noch geschaffen werden. Unwahrscheinlich, daß dieselben DV-Leiter, denen der C2-Sicherheitslevel von Notes nicht genug zu sein schien, jetzt plötzlich ihre Unternehmen mit dem Web-typischen bunten Sammelsurium aus Add-ins und Add-ons, aus Betasoftware und Freeware-Tools, aus Patches und Service-Packs auf die Reise ins Informationszeitalter schicken.

Was uns die Intranets für die Zukunft versprechen, leistet Lotus Notes heute, mit einer besseren Internet-Anbindung als so manches Intranet. Die Entscheider in den Unternehmen honorieren das: Die Installationszahlen steigen nach wie vor kräftig. Unbenommen, daß die Internet-Technologien in bestimmten Bereichen auch im Unternehmen sinnvoll eingesetzt werden können, Lotus Notes haben sie damit aber noch nicht geschlagen.