Notes bewaehrt sich in der ADAC-Luftrettung Massgeschneiderte Groupware reduziert Verwaltungsaufwand

12.05.1995

Von Ellen Vakily*

Fuer die Notaerzte, Hubschrauberpiloten, Sanitaeter und Bordtechniker der ADAC Luftrettung GmbH ist Groupware inzwischen kein exotisches Fremdwort mehr. Seit fast einem halben Jahr dokumentieren sie ihre Einsaetze ausschliesslich mit Hilfe von "Lotus-Notes"-Formularen auf dem PC. Die taeglich aus elf Rettungsstationen gelieferten Daten bilden die Grundlage fuer die Administration in der Muenchner ADAC- Zentrale.

Bis zum Fruehjahr 1994 hatten sich die fliegenden ADAC-Nothelfer noch hartnaeckig an ihre gewohnten Papierformulare geklammert. Sie fanden es voellig normal, wenn sie ihre taeglich handgeschriebenen Diagnoseberichte, Flugprotokolle und Einsatzdaten auf der Station sammelten und einmal in der Woche nach Muenchen schickten. Dagegen war bei den routinierten DV-Nutzern in der zentralen Abrechnungsstelle der Unmut ueber die ebenso langsame wie kostenintensive Kommunikation mit den teilweise weit entfernten Hubschrauberstationen gewachsen.

Selbst Techniker erwiesen sich als Computer-Novizen

Susanne Matzke-Ahl, die als Referentin in der Geschaeftsfuehrung der ADAC Luftrettung GmbH fuer die gesamte Organisation und Koordination in der expandierenden ADAC-Tochter zustaendig ist, erinnert sich: "Wir haben die eingereichten Formulare hier mit einem Belegleser bearbeiten lassen. Dabei haben sich immer wieder Ungenauigkeiten eingeschlichen, vor allem wenn die Protokollanten ihre Berichtsformulare auf der Station im Stress eilig zwischen zwei Einsaetzen ausfuellen mussten. Ausserdem verzoegerte sich wegen des umstaendlichen Postversands die Abrechnung mit den Krankenkassen."

1993 bekamen die Sachbearbeiter in der Zentrale von den zustaendigen ADAC-Gremien ein neues PC-System bewilligt, das eine Modem-Verbindung zu den Rettungsstationen sicherstellen sollte. Mit dem Projekt LIKS (Luftrettungs-, Informations- und Kommunikations-System) wurde der langjaehrige Mitarbeiter der PC- Betreuung, Rainer Schulte-Zurhausen betraut.

Der PC-Profi hatte zu diesem Zeitpunkt in der norddeutschen Firma Heydenbluth & Weiberg einen Partner gefunden, der die Muenchner davon ueberzeugen konnte, dass sich das damals noch kaum bekannte Lotus Notes optimal fuer die Zwecke der Luftretter eignete. Schulte-Zurhausen, der sich zuvor bereits mit anderen Produkten herumgeplagt hatte: "Wir fanden heraus, dass sich mit Notes ein datenbankaehnliches System aufbauen liess, in dem Dateien in der Form von Formularen erstellt und verschickt werden konnten." Das entsprach weitgehend der bisherigen Arbeitsweise in den Rettungsstationen. Als besonderer Vorteil erschien dem DV-Fachmann dabei die automatische Replizierung der Daten bei der Kommunikation mit dem zentralen Server in Muenchen.

Als Versuchskaninchen bei der Entwicklung des neuen LIKS diente die Hubschrauber-Crew der ADAC-Station im norddeutschen Sanderbusch. Freilich - bei der vorsichtigen Einfuehrung der ersten Prototypen merkten die Initiatoren bald, dass trotz der Bedienerfreundlichkeit von Notes und Windows noch viel Aufklaerungsarbeit zu leisten war. Selbst die ansonsten technisch versierten Hubschrauberpiloten hatten bislang in der Regel keine Ahnung von Computertechnik:

"Fuer die war der PC mit seinen Speichermoeglichkeiten eine voellig neue Welt. Im Cockpit der Hubschrauber operieren sie ja mit gaenzlich anders gearteten Analoganzeigen und Bedienungsknoepfen." In der Anfangsphase gab es mit den medizinischen Daten Probleme. So reichten die fuer die vorlaeufige Diagnose vorgesehen menuegesteuerten Eingabemoeglichkeiten nicht aus, um die erforderliche Bandbreite der medizinischen Aspekte abzudecken. Aus diesem Grund wurde den Aerzten ein gesondertes Feld fuer Freitexteingabe eingerichtet.

Im Mai 1994, als alle elf ADAC-Rettungsstationen bundesweit mit PCs ausgestattet wurden, mussten sich die fliegenden ADAC-Nothelfer endgueltig von Papier und Kugelschreiber zugunsten von Maus, Tastatur und Bildschirm trennen.

Laut Susanne Matzke-Ahl dient das LIKS heute drei Bereichen der ADAC Luftrettung:

- Zur Erfassung flugbetrieblich relevanter Daten, die in der Abteilung fuer den Flugbetrieb bearbeitet werden.

- Zur Abrechnung unserer Luftrettungseinsaetze mit den Krankenkassen. Das System enthaelt alle Informationen, die der Abrechnung dienen.

- Zum Aufbau von Statistiken und einer umfassenden Management- Information. Damit sind wir in der Lage, jederzeit einen Nachweis ueber die Effizienz der Luftrettung liefern zu koennen.

Wie funktioniert nun die Praxis? Schulte-Zurhausen betont, dass derzeit im Hubschrauber selbst noch keinerlei elektronische Aufzeichnungen vorgenommen werden. Und Matzke-Ahl: "Wenn bei einem Einsatz ein Patient zur Klinik transportiert werden muss, sind Arzt und Rettungsassistent ausreichend beschaeftigt und der Pilot muss sich auf seinen Flug konzentrieren."

Anders sieht die Sache freilich aus, wenn ein Patient ausschliesslich vor Ort versorgt wird. "Dann", so Matzke-Ahl, "haben die Mediziner beim Rueckflug natuerlich Zeit." Allerdings haetten erste Tests mit einem normalen Laptop im Hubschrauber zu negativen Ergebnissen gefuehrt: "Bei der Ruettelei war es schwierig, die Tasten richtig zu bedienen. Ausserdem gab es Probleme mit der Stromversorgung der Geraete."

Geplant: Palmtops fuer die Hubschrauber

Die ADAC-Referentin raeumt ein, dass zumindest in den Stationen in Muenchen und Berlin ein zusaetzlicher PC im Hubschrauber durchaus sinnvoll waere. "In diesen Staedten muessen in den Sommermonaten taeglich bis zu 16 Einsaetze bewaeltigt werden. Das bedeutet minimale Pausen, in denen sich dann vier Anwender um einen PC auf der Station draengeln, wenn sie nach jedem Einsatz ihre vorgeschriebenen Eintragungen erledigen muessen." Angesichts dieser Engpaesse denken die Systemverantwortlichen derzeit ueber die Anschaffung von stiftbasierten Palmtops fuer die Anwendung im Hubschrauber nach. Mehr als ein PC pro Station ist aus Platzgruenden und wegen der speziellen Verbindung nicht moeglich.

Automatische Datenuebertragung

Die Stations-PCs sind ueber Modem an die Telefonleitung angeschlossen, bei zweien ist allerdings noch eine ISDN- Nebenstelle dazwischengeschaltet. Die Anwender in den Rettungsstationen muessen sich aber nicht mit komplizierten Login- Prozeduren herumschlagen - den Datenaustausch erledigen die Computer sozusagen unter sich. "In der Nacht waehlt sich das Server-System der ADAC-Zentrale automatisch in jede Station ein und holt sich die am Tag notierten Daten ab, wobei die Daten bis auf Feldebene abgeglichen werden. Es handelt sich hier also um eine Art Vorgangsbearbeitung wie bei einem Formular", schildert Schulte-Zurhausen die Arbeitsweise.

Dank der Notes-spezifischen Protokoll-Routinen lassen sich auch gelegentlich auftretende Uebertragungspannen ohne Datenverluste ueberwinden. Wenn die Uebertragung nicht richtig funktioniert, bekommt der Server keine Daten. Statt dessen wiederholt das System seine Abholtaetigkeit so lange, bis alle benoetigten Daten einwandfrei angekommen sind. Da die Uebertragungen aus weiter entfernten Orten wegen der guenstigeren Tarife nur nachts erfolgen, merken die Anwender in der Zentrale nichts von der Datenuebertragung.

Das LIKS wurde von den Entwicklern so gestaltet, dass die Anwender in den Stationen nur ein Minimum an Systemkenntnissen aufbringen muessen. "Genaugenommen muessen sie nur den Umgang mit der Maus beherrschen und neben den normalen Buchstaben und Zahlen die Escape-, Return- und Tab-Tasten kennen", versichert Schulte- Zurhausen. Jeder Einsatz muss dabei separat mit einem neuen Formular beruecksichtigt werden.

Der Pilot notiert unter anderem seine Flugzeit, den Landeort und dessen Beschaffenheit und gibt an, ob es sich um einen Primaertransport, um eine Primaerversorgung oder um einen Sekundaertransport (mit Patientenverlegung oder Transplantat- Transport) gehandelt hatte. Auch sogenannte Fehleinsaetze, bei denen der schon gestartete Hubschrauber vorzeitig von der Leitstelle abbestellt wurde, muessen eingetragen werden.

Der Notarzt traegt Angaben ueber den Schweregrad des Falls entsprechend einer sieben Grade umfassenden Skala und andere routinemaessig erfasste Werte wie die Reaktionsfaehigkeit oder die Herz/Kreislauf-Funktionen des versorgten Patienten sowie die vorlaeufige Diagnose in ein groesseres Feld ein.

Wichtig fuer die spaetere Bearbeitung in der Muenchner Zentrale sind die Angaben zur jeweiligen Krankenkasse. Wenn ein bewusstloser Patient keine Angaben vor Ort machen kann, muss sich der Rettungsassistent spaeter mit der behandelnden Klinik in Verbindung setzen. "Wir haben die Bildschirmmasken weitgehend nach dem Muster der gewohnten Formulare gestaltet", erklaert Schulte-Zurhausen. Das System bietet heute sogar mehr Komfort als frueher, "weil wir viele Begriffe, die frueher als Abkuerzungen und Zahlencodes in den Ankreuzfeldern aufgefuehrt wurden, wieder in voller Laenge ausgeschrieben haben. Der Anwender sieht also genauer, was er da macht, und muss nicht ueberlegen, was denn nun die Nummer 33 bedeutet. Dafuer haben wir die Garantie einer moeglichst fehlerlosen Eintragung."

Die Sachbearbeiter der Muenchner ADAC Luftrettung koennen sich spaetestens zwoelf Stunden nach der Rettungsaktion den Datensatz aus dem Server holen und, entsprechend durchgesehen und bearbeitet, an die zustaendige ADAC-Abrechnungsstelle weiterreichen. Das System liefert dabei schon in den Uebersichtsmasken mit seinen unter Windows leicht generierbaren anwendungsspezifischen Icons genaue Informationen ueber den Stand der jeweiligen Bearbeitung. So sehen die Anwender zum Beispiel an dem eingeblendeten Zeichen in einem Uebersichtsfeld, ob ein Einsatz schon bearbeitet und von der Abrechnungsstelle freigegeben wurde. Das erspart unnoetiges Blaettern.

Integration in SAPs R/2-System

Nach der Bearbeitung in der Verwaltung der ADAC Luftrettung wandern die Dateien wieder in den Server, wo sie vom Grossrechner ueber eine spezielle Host-PC-Schnittstelle abgeholt und in Mainframe ueberfuehrt werden. Dort werden Rechnungen erstellt, fakturiert und die Daten schliesslich zur endgueltigen Weiterbehandlung in das beim ADAC verwendete SAP-System R/2 geschleust. Geschaeftsfuehrungs-Referentin Matzke-Ahl erklaert, dass es inzwischen auch Schnittstellen gibt, die eine direkte Ueberfuehrung von Notes-Dateien in das SAP-System erlaubt. "Aber das kostet rund 30 000 Mark, deshalb haben wir vorlaeufig noch auf eine Anschaffung verzichtet."

Alle LIKS-Daten werden in einem zweiten Server auf ein Gigatape zur Datensicherung gezogen. Als Server dient ein mit 66 Megahertz getakteter und mit 64 MB Hauptspeicher ausgestatteter 486er PC. Das System verfuegt ueber drei Festplatten mit jeweils einem Gigabyte Kapazitaet.

Die Moeglichkeiten, die Notes fuer statistische Auswertungen bietet, werden von den Anwendern (die ADAC Luftrettungs GmbH ist ein gemeinnuetziges Unternehmen, das ueber seine Aktivitaeten staendig Rechenschaft ablegen muss) natuerlich voll genutzt. In diesem Fall profitieren sie von der Verbindung zu dem schon laenger eingesetzten Spreadsheet "Lotus 1-2-3". Die Ueberfuehrung von selektierten Notes-Informationen in die Tabellenkalkulation ist unter Windows geradezu ein Klacks. Im Handumdrehen laesst sich hier eine Balkengrafik oder ein Tortendiagramm erstellen. Der Statistik sind kaum Grenzen gesetzt, egal, ob es um den Anteil von hirntraumatischen Verletzungen bei Verkehrsunfaellen oder die unterschiedliche Hoehe von Fehleinsaetzen in den einzelnen Stationen geht.

Ein brisantes Thema im Rettungswesen ist der Datenschutz. Die Eintragungen enthalten Daten, die nur von den beteiligten Anwendern gelesen werden duerfen. Notes entspricht jedoch der hoechsten amerikanischen Sicherheitsnorm fuer Software. Schulte- Zurhausen: "Ueber die Telefonleitung koennen sich nur Systeme mit einer vom Administrator in der Zentrale eingerichteten Notes-ID einwaehlen. Ausser unserem Server, der diese ID besitzt, kommt also niemand herein." Auf eine Online-Kommunikation zwischen den einzelnen Hubschrauberstationen haben die Planer verzichtet.

Aenderungen steht nichts im Wege

Vor internem Missbrauch schuetzt auch eine sorgsam abgestufte Zugangsberechtigung. Sowohl in der Station als auch in der Zentrale kann jeder Anwender nur die fuer ihn bestimmten Menues aufrufen, alles andere bleibt automatisch verschlossen.

Heute - nach mehr als acht Monaten Praxis - freuen sich die Anwender ueber die Bedienungsfreundlichkeit von Notes, die es zumindest den "Freaks" (jetzt auch unter den Piloten, Notaerzten und Rettungsassistenten) erlaubt, sich selbst Module fuer einen neuen Anwendungsbereich zu stricken.

Nach Meinung von Schulte-Zurhausen ist das System extrem "aenderungsfreundlich". Das sei etwas ganz anderes als die Arbeit mit einem herkoemmlichen Datenbanksystem, "wo es einen Sourcecode gibt, den man wieder kompilieren muss". Praktisch lebe die Groupware Notes mit der Welt, in der sie eingesetzt werde. Ausserdem koenne jede zusaetzlich erstellte Ansicht sozusagen ueber Nacht problemlos ueber den Modus Replizierung an alle elf Hubschrauberstationen weiterverteilt werden. "Wir sehen das derzeit bestehende System LIKS als ersten Baustein, der Schritt fuer Schritt erweitert werden kann."