Nortel steigt spät ins Servicegeschäft ein

12.09.2006
Mit Dietmar Wendt, President Global Services bei dem TK-Unternehmen, sprach CW-Redakteur Joachim Hackmann.

CW: Nortel und Microsoft haben kürzlich eine Kooperation zur Entwicklung von Unified-Communications-Lösungen angekündigt. Die Idee ist nicht neu, und Kooperationen gibt es täglich. Warum haben die Unternehmen so viel Aufhebens um dieses Abkommen gemacht?

Wendt: Wir bringen echtes Unified Communications auf den Desktop. Sämtliche Kommunikationsdienste der Nutzer werden in die Microsoft-Office-Suite ohne Medienbruch voll integriert. Nortel entwickelt dazu mit einigen hundert Experten in Redmond, am Hauptsitz von Microsoft, Lösungen. Zudem bauen wir rund um den Globus gemeinsame Competence-Center auf, um Kunden bei der Integration der Unified-Communications-Lösungen zu helfen.

CW: Vergleichbare Kooperationen unterhält Microsoft mit Cisco und Siemens.

Wendt: Nein, weil diese Partnerschaften sich lediglich auf die Interoperabilität erstrecken.

CW: Unified Communications ist nicht neu, seit Jahren spricht die Industrie darüber. Warum sollte es nun klappen?

Wendt: Weil sich die Anforderungen auf Anwenderseite geändert haben. Die Mitarbeiter in den Unternehmen sind viel mobiler geworden sind. Trotzdem müssen sie ständig auf zentrale Informationen zugreifen können. Heute rufen wir beispielsweise ein Gerät an, ohne die Gewähr zu haben, den Gesprächspartner zu erreichen. Künftig rufen wir eine Person an, unabhängig davon, wo sie ist und welches Device sie gerade benutzt. Die Nachricht wird automatisch über das passende Medium und das vorhandene Empfangsgerät vermittelt.

CW: Nortel hat Sie von IBM Global Services abgeworben, um das Dienstleistungsgeschäft anzukurbeln. Was haben Sie bei Nortel vorgefunden?

Wendt: Das Unternehmen befindet sich derzeit nicht in einer perfekten Situation. Als Vorstandmitglied habe ich nun die Chance, an einem potenziellen Turnaround mitzuwirken. Nortel erzielt im Servicegeschäft heute bereits signifikante Einnahmen. Unsere vornehmliche Aufgabe ist es zunächst, das Geschäft zu strukturieren und die Grundlage für schnelles Wachstum zu schaffen.

CW: Nortel hat rund 30000 Mitarbeiter, 10000 davon arbeiten bereits im Servicegeschäft. Was haben die bislang gemacht?

Wendt: Nortel bietet heute vornehmlich Plan-, Support- und Deploy-Services an.

CW: Also sehr produktnahe Dienste.

Wendt: Ja. Wenn wir den Umsatz im Servicebereich in den kommenden drei bis fünf Jahren verdoppeln wollen, dann erreichen wir das nicht allein dadurch, dass wir die Lösungen, die in den Forschungslabors in Ottawa schlummern, auf den Markt bringen. Wir müssen auch das heutige Nortel-Geschäft noch besser machen. Wir müssen intern lernen, nicht über TK-Boxen, sondern über Geschäftsprozesse zu diskutieren. Nur so können wir unseren Kunden neue Lösungen zeigen und Antwort auf die Frage geben: Wie lässt sich IT nutzen, um das Kerngeschäft voranzubringen?

CW: Das ist neu für Nortel?

Wendt: Ja. Nortel ist an dem Punkt, wo IBM in den 80er Jahren war: eine reine Produkt-Company, ergänzende Services steuern überwiegend unsere Partner bei. Zwischen beiden Geschäften gibt es noch eine klare Trennung.

CW: Sie kopieren demnach das IBM-Modell, sich von einem Produkthersteller zum Serviceunternehmen zu wandeln?

Wendt: Diese Transformation haben auch andere Firmen hinter sich, beispielsweise EMC. Hardware im TK-Bereich wird ebenso wie im IT-Markt zur Commodity. Die Margen werden kleiner, und der Druck wird größer. Eine große Chance für Nortel ist, dass sich viele IT-Outsourcing-Anbieter nicht besonders für die übernommenen Kundennetze interessieren. Wir können in Zusammenarbeit mit diesen IT-Servicefirmen Innovationen in der Kommunikationsinfrastruktur bringen.

CW: Kommt Nortels Einstieg ins Servicegeschäft nicht ein wenig spät?

Wendt: Nortel ist spät dran, keine Frage.

CW: Mit den Applikationen beziehungsweise Lösungen wollen Sie höherwertige und industriespezifische Anwendungen entwerfen. Haben Sie bestimmte Branchen im Auge?

Wendt: Wir haben bislang Ideen und wollen sie schnell umsetzen. Das kann Nortel nicht allein leisten, sondern nur mit Partnern. Ein Beispiel ist die Microsoft-Kooperation: raus aus der physischen Infrastruktur, rein in eine applikations- und softwareorientierte Welt.

CW: Wie wird Nortel in zwei Jahren aussehen?

Wendt: Wir stellen heute die Weichen für Nortels Zukunft. Wir müssen uns von lieb gewonnenen Bereichen verabschieden. Der geplante Verkauf des UMTS-Access-Geschäfts an Alcatel ist richtig, auch wenn wir dafür viel Kritik einstecken mussten. Mit den frei werden Ressourcen müssen wir uns auf Wachstumsfelder konzentrieren.