Alternative Carrier wollen Telekom mit Stromnetz austricksen

Norm und Physik bremsen Daten aus der Steckdose

03.01.1997

"Die alternativen Netzbetreiber haben ein großes Problem - die letzte Meile." Mit diesen Worten brachte Jens Vesper, Berater der Eutelis Consultant GmbH, auf den Punkt, wo EVUs und City-Carrier hierzulande der Schuh drückt. Mit aller Macht suchen sie gegenwärtig nach Möglichkeiten, kostengünstig die Anbindung von Small Offices und Privatkunden zu realisieren, ohne dabei Kapazitäten des Konkurrenten Telekom anmieten zu müssen. Neben Techniken für den Wireless Local Loop wie Digital European Cordless Telecommunications (Dect) oder Code Division Multiple Access (CDMA) ruhen ihre Hoffnungen auch auf dem Stromnetz, wie die starke Resonanz auf dem Kongreß "Powerline - Das Stromnetz als Kommunikationsmedium" - zeigte, der von Eutelis Events in Düsseldorf veranstaltet wurde.

Für das Interesse der EVUs an dieser Thematik gibt es zwei Triebfedern: die Deregulierung der Märkte für Telekommunikation sowie in Kürze der Stromwirtschaft. Der Wegfall der Energiemonopole zwingt sie nämlich dazu, schnell neue Dienstleistungen zu entwickeln. Für die EVUs wäre es daher optimal, auf die bestehende Infrastruktur Anwendungen zur Daten- und Sprachkommunikation aufzusetzen und die hohe Teilnehmeranschlußdichte ihrer Stromnetze zu nutzen, um an der Telekom vorbei bis in den einzelnen Haushalt zu gelangen. Einem effizienten und breiten Einsatz der Powerline als Kommunikationsmedium - insbesondere zu professionellen Zwecken - stehen jedoch zwei Hindernisse im Wege: zum einen die regulatorische Situation und zum anderen physikalische Gesetzmäßigkeiten.

In Deutschland erlaubt der Regulierer derzeit aufgrund von DIN EN 50065 den Datentransfer nur im Bereich der Niederfrequenz bis 148,5 Kilohertz. "Hohe Datenraten bedingen aber ein breites Übertragungsband", erklärte Christian Hensen, Mitarbeiter des Fachbereichs Nachrichtentechnik an der Universität Paderborn, auf der Tagung den Nachteil des zulässigen schmalen Frequenzbandes. Zur Zeit gestattet der Stand der Technik, so der Experte, lediglich einen Transfer von rund 100 Kbit/s. Hensen hält die Übertragung von bis zu 6 Mbit/s technologisch künftig für machbar, vorausgesetzt, die Norm werde hinsichtlich der Breite des Übertragungsbandes geändert.

Zum regulatorischen Defizit kommt das Manko der physikalischen Störungen. Stromkabel unterliegen einem hohen Grundrauschpegel, der mit steigender Frequenz abnimmt.

Außerdem sind sie für schmalbandige und impulsförmige Störfaktoren anfällig, wie zum Beispiel Zeilenfrequenzen von Fernsehgeräten oder Schaltvorgänge. Ein weiteres Problem ist, daß die Dämpfung mit steigender Frequenz anwächst und durch schmale Einbrüche gekennzeichnet ist. Im Extremfall kann die Powerline aufgrund von Störungen sogar komplett ausfallen - ein entscheidendes Argument gegen die Nutzung in Unternehmensumgebungen mit zeit- und sicherheitskritischen Applikationen.

Anwendungen in diesem Bereich schließt Martin Görlitz, Geschäftsführer der Görlitz Computerbau GmbH, Koblenz, vorerst völlig aus. Das Stromnetz ist seiner Meinung nach zwar grundsätzlich für alle Anwendungen brauchbar (siehe Abbildung 1), praktisch würde aber bereits die Übertragung von Telefongesprächen den Rahmen sprengen. In diesem Fall wäre weniger die für ein Gespräch erforderliche Bandbreite das Problem als die Zahl der gleichzeitig aktiven Netzbenutzer. Laut Görlitz scheidet auch die Vernetzung von Computern aus. Diese sei zwar Punkt-zu-Punkt technisch möglich, müsse aber bei vielen Teilnehmern wegen zu geringer Bandbreite ebenso versagen wie eine herkömmliche Telefonleitung.

Insgesamt, so der Tenor auf der Tagung, stellt das Stromnetz auf Basis der momentan verfügbaren Bandbreite noch kein flächendeckend taugliches Kommunikationsmedium dar. Derzeit ist es nur für typische Anwendungen der Energieversorger wie die Fernabfrage von Zählerständen, Meßwerterfassung, Alarmaufnahme etc. geeignet. Dennoch sieht Berater Vesper mittelfristig durchaus ein Einsatzpotential im professionellen Sektor. Seiner Ansicht nach wäre es zum Beispiel denkbar, die Powerline als Backup-Netz zu schalten, sofern es künftig Lösungen mit höherer Bandbreite gibt. Ein weiteres Anwendungsfeld könnten kleine lokale Netze oder Small Offices sein. Ebenso sei die Anbindung von Teleworkern über die Steckdose vorstellbar.

Auch Dozent Hensen hält die Powerline für eine ernstzunehmende Konkurrenz für das Netz der Telekom, warnt aber davor, die Erwartungen zu hoch zu schrauben. Die Qualität könne nie an die anderer Verbindungen heranreichen und ermögliche deshalb nur sehr spezifische Anwendungen.

Trotz der allgemeinen Vorbehalte wittert die Industrie in der Steckdose ein großes Geschäft, allen voran Novell. Im Zuge der Vision des Smart Global Network wollen die Networker laut Thomas Duda, Sales Manager Europe der Extended Networks Division, im April einen Chipsatz auf den Markt bringen, der die Übertragung im Stromnetz digital mit 300 Kbit/s realisieren soll. Für Ende 1997 versprach Duda dann eine Lösung, die 1 Mbit/s verwirklicht - Tendenz steigend bis zu 6 Mbit/s.

Novell träumt dabei von der Novell Embededded Systems Technology (Nest), die in jedem elektronischen Gerät einen Transponder vorsieht. Dieser stellt die Kommunikation mit dem Smart Gateway im Funktions-Server eines jeden Haushaltes oder Small Offices sicher. (siehe Abbildung 2). Novell verspricht mit seiner Entwicklung, die zur Patentierung eingereicht wurde, aufgrund des kollisionsfreien Verfahrens eine Auslastung von 85 Prozent - beim potentiellen Konkurrenten Ethernet liegt sie laut Duda nur bei 30 Prozent. In Deutschland dürfte "Nest Powerline" laut Vesper aber höchstens in einer "abgespeckten Version" vertrieben werden, da sie für den Megahertz-Bereich ausgelegt ist.