Nordzucker: "Nie wieder Pilotkunde"

15.04.2005
Versuchskaninchen für die SAP zu spielen hat nicht nur Vorteile.

Wenn die SAP öffentlich über ihre Service-orientierte Architekturplattform "Netweaver" spricht, ist Torsten Niemietz nicht weit: Ob in der Kundenzeitschrift "SAP Info" oder auf der europäischen "Sapphire"-Konferenz - der CIO der Nordzucker AG, Braunschweig, dient als Zeuge dafür, dass der Netweaver-Einsatz nicht länger Zukunftsmusik ist.

Allerdings macht die Omnipräsenz des passionierten Langstreckenläufers auch misstrauisch; sie verblüfft mittlerweile sogar ihn selbst. Seine hinreichend begründete Vermutung: "Offenbar gibt es zumindest hierzulande keine derart umfassende Implementierung von Netweaver 04 und Enterprise Portals 6.0." So blieb denn auch seine Frage nach Referenzkunden mit einer ähnlichen Softwarekonstellation unbeantwortet.

Im vergangenen Jahr hatte sich Nordzucker als "Ramp-up"-Kunde für die Netweaver-Komponenten "XI 3.0" und "EP 6.0" beworben. Als Ramp-up bezeichnet die SAP Implementierungen von Softwareprodukten, die noch nicht voll ausgetestet sind und aus diesem Grund eine intensive Betreuung durch Experten des Anbieters erfordern. Deshalb ist die Anzahl der jeweiligen Ramp-up-Kunden für ein Produkt streng limitiert.

Nordzucker hat die Standardisierungsfahne stets hoch gehalten, berichtet Niemietz. Und das Mittel dazu hieß: möglichst unmodifizierte SAP-Software einführen. Das war schon so, bevor der junge CIO vor zwei Jahren vom Bremer Frückstücksflocken-Riesen Kelloggs zum norddeutschen Zuckermonopolisten wechselte. Er setzte - im Einklang mit dem Nordzucker-Vorstand - seinen Ehrgeiz unverzüglich daran, die drei SAP-Implementierungen auszubauen und auf den neuesten technischen Stand zu bringen.

Im vergangenen Jahr zog Niemietz den Umstieg vom R/3-Release 4.5B auf die Version 4.7 durch. "Dank unserer Strategie, keine Modifikationen zuzulassen, konnten wir das intern bewältigen", berichtet der CIO, "extern haben wir nur die Schulung eingekauft." Das ist umso bemerkenswerter, als die eigentliche IT-Mannschaft genau genommen nur aus 25 Köpfen besteht - ergänzt durch weitere 25 Personen in den neun deutschen Zuckerwerken und noch einmal so vielen IT-Experten auf internationaler Ebene. Das gesamte IT-Budget - Betriebskosten und Investitionen - liegt mit zehn Millionen Euro bei 0,7 Prozent vom Umsatz.

Als künftige Basis der unternehmensweiten Anwendungen fasste Niemietz von Anfang an eine Service-orientierte Architektur ins Auge. Innerhalb der SAP-Welt bedeutete das Netweaver. Im ersten Schritt implementierte er den SAP-eigenen Web Application Server (WAS) und die Messaging-Komponente "Exchange Infrastructure" (XI). Darauf aufbauend führte er die Portalsoftware "Enterprise Portals" (EP) in der Version 6.0 zusammen mit dem Release 3.5 des "Business Warehouse" (BW) ein.

Hinsichtlich der Server befolgt Nordzucker eine strikte "One-Vendor-Strategie". Der bevorzugte Anbieter ist Hewlett-Packard (HP). "Für Multi-Vendor sind wir einfach zu klein", begründet Niemietz die Tatsache, dass neben SAP und Microsoft auch HP in der Mannschaft seiner IT-Lieferanten einen Stammplatz hat. Die designierte Plattform für die neue IT-Umgebung war deshalb ein "Itanium"-Server.

Eine Anbieterentscheidung zwang zum Umdisponieren

Kurz nachdem Nordzucker mit der Implementierung der ersten SOA-Komponenten begonnen hatte, tat die SAP jedoch kund, dass EP 6.0 mit dem "Vor-Netweaver-Release" WAS 6.20 auf der Itanium-Hardware niemals lauffähig sein werde. Niemietz musste umdisponieren und den WAS 6.40 einführen, der überhaupt noch nicht allgemein verfügbar war. Was das bedeutete, dürfte jedem SAP-Insider klar sein: Das Unternehmen sollte ins Rump-up gehen.

Angesichts seiner begrenzten Kapazitäten bemühte sich Niemietz zudem um einen Platz im Ramp-up-Programm für Enterprise Portals. Das klappte nicht auf Anhieb, denn der Umfang dieses Programms war auf wenige deutsche Kunden begrenzt, damit die Supportorganisation der SAP nicht in die Knie ginge. Schließlich kam Nordzucker aber doch an die Reihe - und Niemietz war zunächst einmal zufrieden. "Man muss sagen: Der Support war fantastisch", sagt er rückblickend, "die Leute waren super, die Qualität sehr hoch, und man spürte, dass SAP ein hohes Interesse am Gelingen des Projekts hatte."

Zunächst verweigerte die Portalsoftware den Dienst

In dieser Einschätzung ließ sich Niemietz auch nicht erschüttern, als die ersten Probleme auftauchten: Die Portalsoftware wollte auf der neuen Hardware einfach nicht arbeiten. Eigentlich sollten die Anwender die in einer Windows-basierenden File-Share-Umgebung gespeicherten Dokumente über Schlagwörter aufrufen können, die in der Objekdatenbank der EP-Umgebung abgelegt sind. Doch die Schriftstücke ließen sich partout nicht öffnen.

Wie in solchen Fällen üblich, schoben sich Software- und Hardwarehersteller gegenseitig den schwarzen Peter zu. Die "Escalation-Manager" von SAP und HP redeten sich wochenlang die Köpfe heiß. Immerhin hatten sie jeweils Durchgriff auf die "richtigen" Entwicklerressourcen. Letztlich stellte sich heraus, dass ein Fehler im HP-Betriebssystem "HP-UX" für den Schlamassel verantwortlich war: Es verweigerte die Unterstützung für die SAP-Komponenten "JCIFS", die für die Übertragung der Dokumente in das Content-Management-System (CMS) von EP 6.0 zuständig ist. HP musste einräumen, dass es innerhalb der für das Nordzucker-Projekt angemessenen Frist von maximal drei Monaten keine Chance für eine Fehlerbehebung gab.

Laut Niemietz arbeitet der Hersteller nach wie vor an dem Problem. Doch so lange konnte der Nordzucker-CIO nicht warten. Andererseits wollte er aber nicht schon wieder seine Architekturpläne ändern. Mit Hilfe des versammelten Experten-Know-hows von SAP und HP gelang es ihm glücklicherweise, diese Funktionslücke zu überbrücken: Die Oracle-basierende Objektdatenbank nimmt heute nicht nur Schlagworte auf, sondern wurde dergestalt erweitert, dass sie dem CMS die Dokumente physisch zur Verfügung stellt.

Doch nicht nur das HP-Betriebssystem hielt unangenehme Überraschungen für Nordzucker bereit. Auch die SAP-Software enttäuschte über weite Strecken. "Bei EP 6.0 handelte sich quasi um ein Vor-Beta-Release, da funktionierten zum Teil einfachste Funktionen nicht", erinnert sich Niemietz.

Das erste Update nahm einen ganzen Tag in Anspruch

Besonders unangenehm stießen dem CIO die langen Ausfallzeiten bei jedem Software-Update auf. "Als Ramp-up-Kunde ist man verpflichtet, jedes Update mitzumachen", erläutert er. Anfangs habe er jeden Monat eine neue Softwareausführung aufspielen müssen, heute sei das immer noch alle acht Wochen notwendig. Nun wäre das nicht so tragisch, wenn die erste Softwareaktualisierung nicht einen ganzen Tag Down-Zeit im Schlepptau gehabt hätte. "Von der ERP-Software sind wir gewohnt, Updates im laufenden Betrieb einzuspielen", so der Nordzucker-CIO. Bis dasselbe für die Portalsoftware gelte, dürfte es wohl noch etwas dauern: "Die SAP sagt, beim Stack 13 ist es soweit." Der Umstieg von Stack 11 auf Stack 12 habe sich bereits in nur einem halben Tag Auszeit bewältigen lassen.

Niemietz will sich denn auch nicht beklagen. Das Ramp-up-Programm habe durchaus seine Vorteile, stellt er klar: Die frühen Anwender können einen deutlichen Vorsprung vor ihren Mitbewerbern herausholen. Während andere Unternehmen noch überlegen, ob und wie sie sich dem Thema Netweaver nähern sollen, ist Nordzucker am 8. November vergangenen Jahres mit Enterprise Portals live gegangen. Zudem hat der Pioniercharakter dem Projekt große Aufmerksamkeit nicht nur auf Seiten der SAP, sondern auch im eigenen Haus verschafft. "Wären wir ein Jahr später live gegangen, hätten wir diese Management-Attention sicher nicht bekommen", ist der CIO überzeugt.

Andererseits bringt ein solches Vorhaben eine Reihe von Zeitverzögerungen mit sich. Wenn etwas nicht funktioniert wie geplant, müssen zunächst die Ursachen analysiert, dann geeignete Lösungswege gesucht und beschritten werden.

Was Niemietz daran ganz und gar nicht behagte: Er konnte nicht unterscheiden, wofür er nun eigentlich zahlte - für die eigentliche Implementierung und Integration oder für Entwicklungsarbeiten. "Hier musste ich den SAP-Mitarbeitern einfach vertrauen", so das Fazit des Nordzucker-CIOs. Und er macht kein Hehl daraus, dass ihm das Vertrauen bisweilen fehlte: "Wenn ein Fehler auftaucht, dann sollen sie ihn beheben - aber nicht auf unsere Kosten."

Dieser Mangel an Transparenz hat Niemietz bewogen, das nächste Teilprojekt nicht an SAP Consulting zu geben. Zur Umstellung des für die Kommunikation mit den Zulieferern entwickelten "Rübenportals" (siehe Kasten "Mehr zum Thema") holte Nordzucker den am SAP-Standort Walldorf beheimateten Dienstleister Realtech ins Boot.

Zwölf Monate nach dem Start des Ramp-up-Programms will Niemietz dessen Vorteile immer noch nicht leugnen - doch: "Die Welt sieht nicht mehr so rosig aus." Die technische Vorhut der SAP-Anwender zu spielen habe unnötig Nerven gekostet. Sein Fazit: "Ich würde das nie wieder machen." Für ein Unternehmen in der Größenordnung von Nordzucker hält er das für verträglicher, was eigentlich immer seine Maxime gewesen sei: "Aktuelles Release minus eins."