Licht ins Dunkel der Mitarbeiterbeziehungen gebracht

NordLB nutzt PC-Werkzeug für die Organisationsanalyse

30.11.1990

Mit wachsender Mitarbeiterzahl werden die Beziehungen der einzelnen Abteilungen, Gruppen und Mitarbeiter immer schwerer durchschaubar. Um den Organisator bei der Analyse und Gestaltung der betrieblichen Organisation zu unterstützen, wurde bei der Norddeutschen Landesbank ein rechnergestütztes Werkzeug entwickelt. Horst Werk und Nicola Stritzelberger* stellen das Projekt vor.

Die Analyse und Gestaltung betrieblicher Organisationsstrukturen strebt eine praxisorientierte und möglichst effiziente Bearbeitung der im Unternehmen anfallenden Aufgaben an. Hierzu werden einzelne Organisationseinheiten gebildet und analysiert. Eine Organisationseinheit (OE) besteht aus einem beliebigen Teilbereich des Unternehmens, also zum Beispiel aus einer einzelnen Gruppe oder aus mehreren Abteilungen.

Organisationsanalysen werden in der Norddeutschen Landesbank von der Abteilung Orga/EDV (Gruppe Organisationsanalysen) unter Beteiligung und Mitverantwortung des zu untersuchenden Fachbereiches durchgeführt. Die Zielsetzungen sind dabei folgende:

- Schaffen wirtschaftlicher Arbeitsabläufe,

- Erarbeitung einer sachorientierten Aufbauorganisation bezüglich Aufgabenverteilung, Kompetenzen und Strukturen sowie

- Ermittlung des möglichen personalwirtschaftlichen Rationalisierungspotentials.

Der Ablauf einer Organisationsanalyse

Zur Unterstützung der Organisationsanalysen ließ die NordLB von der Dittrich & Partner Consulting GmbH, Stuttgart, das PC-Programmpaket BIS (Betriebsorganisatorisches Informationssystem) entwickeln. Zur Durchführung einer Organisationsanalyse wird dabei zunächst der komplette Aufgabenprozeß der OE nach Tätigkeiten zerlegt, um damit einen mit der OE-Leitung abgestimmten Tätigkeitenkatalog aufzustellen.

Dieser in bis zu vier Stufen hierarchisch gegliederte Tätigkeitenkatalog (TK) wird im BIS erfaßt. Hierzu stehen menügesteuerte Eingabemasken mit jederzeit abrufbaren Online-Hilfen zur Verfügung. Die Eingabedaten werden auf Konsistenz geprüft und in einer Datenbank abgelegt.

Alle Mitarbeiter und Führungskräfte erhalten übersichtliche Ausdrucke des Tätigkeitenkatalogs für die untersuchte OE; sie sollen hierauf vermerken, was der einzelne Mitarbeiter verrichtet, und schätzen, wieviel Zeit in einem Durchschnittsmonat hierfür aufgewendet wird. Diese Zeitermittlungs-Methode erfolgt ohne direkte Kontrolle eines Organisators. Eine orgamethodische Kontrolle ohne personalen Bezug ist im nachhinein möglich.

In methodisch bedingten Ausnahmen wird auch das "Stopp-Uhr-Verfahren" zur Zeitermittlung angewendet. Dabei notiert der Organisator während der Arbeit des Mitarbeiters zum Beispiel die Zeit für die Bearbeitung von zehn Beleihungswert-Berechnungen. Aus psychologischen Gründen wird auf dieses Verfahren nur in Ausnahmefällen zurückgegriffen.

Die gewonnenen Angaben werden nicht personenbezogen gespeichert und auf unterschiedliche Weise kumuliert, worauf das System dem Organisator in Übersichtslisten einen ersten Eindruck über die erfaßten Daten gibt. Organigramme dienen der optischen Darstellung beliebig eingrenzbarer Teilstrukturen (Mitarbeiter- oder Tätigkeitsstrukturen) beziehungsweise gesamter Hierarchien.

Die Erstellung von umfassenden, vordefinierten oder auch online festgelegten Auswertungsaufträgen über gewünschte Mitarbeiter- und Tätigkeitsbereiche ermöglicht eine exakte Analyse des ausgewählten Bereichs. Das System erzeugt hierbei aussagekräftige Informationen über Gesamtmenge, Gesamtzeit, Durchschnittszeit und Mitarbeiteräquivalent für jede Tätigkeit sowie über die Kommunikationsstruktur der Mitarbeiter untereinander. Der Output besteht aus übersichtlichen Listings und Grafiken.

Somit werden die zeitlichen Aufgabenschwerpunkte der OE für den Organisator erkennbar. Durch die erworbenen Erkenntnisse besteht die Möglichkeit, mögliche Rationalisierungsschwerpunkte gezielter angehen zu können.

Die zeitintensiven Aufgaben werden vor Ort (am Schreibtisch der Sachbearbeiter) im Detail auf Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft, wobei gegebenenfalls organisatorische Schwachstellen zu Tage treten. Ideensitzungen mit den Mitarbeitern und Führungskräften (getrennt) setzen Kreativpotentiale frei. Soweit für die zu analysierende OE parallel Veränderungen der EDV geplant sind, gelingt es mittels der kumulierten Zeitwerte, für die momentan noch manuellen Tätigkeiten das Rationalisierungspotential zu bestimmen, das beim Einsatz von maschinellen Lösungen entstünde.

Aus den Veränderungsvorschlägen vor Ort, den Ideensitzungen und den im Laufe der Organisationsarbeit gewonnenen Erfahrungen im Breitendenken der Organisatoren entstehen zwei getrennte Vorschlagskataloge. Der erste betrifft die Veränderung der Ablauforganisation (Arbeitsabläufe), der andere die Veränderung der Aufbauorganisation (Neuverteilung der Aufgabengebiete, Umstrukturierung von OEs).

Die Vorschlagskataloge müssen getrennt erstellt werden, weil die Diskussionspartner des ersten Teils unter Umständen die Betroffenen des zweiten Teils sein können. Die OE-Mitarbeiter werden mit Sicherheit konstruktivere Vorschläge zur Optimierung des untersuchten Arbeitsablaufs liefern, wenn der Rationalisierungsgedanke in den Hintergrund geschoben wird.

Fast alle Vorschläge sind aufgrund des Basismaterials mit monatlichen Stundeneinsparungen belegt. Die Maßzahl hierfür heißt Mitarbeiteräquivalent (MÄ); sie kommt dann ins Gespräch, wenn die Vorschläge vom Fachbereich akzeptiert oder zumindest leicht modifiziert realisiert werden. Im zweiten Teil (Aufbauorganisation) bedarf es grundsätzlich, vor allem wegen zum Teil erheblicher Widerstände in den Fach-OEs, eines Vorstandsbeschlusses. Das Rationalisierungspotential aus beiden Vorschlagskatalogen läßt sich nach langjährigen Erfahrungen mit einem Satz zwischen 15 und 25 Prozent des MÄ beziffern.

Die Organisationsanalyse besteht weiterhin aus dem Element der Personalbedarfsberechnung (PBB). Auch hier leistet das System wichtige Unterstützung: OE-bezogene Personalbedarfs-Rechnungen werden zentral für das gesamte Unternehmen zusammengeführt und dargestellt.

Personelle Überhänge, die durch Arbeitsvereinfachungen beziehungsweise Reduzierung gleichartiger Arbeitsvorgänge auf ein Mindestmaß (sogenannte Mengenrückgänge) entstanden sind, können somit aufgezeigt werden. Personeller Mehrbedarf auf der einen Seite kann einem Minderbedarf auf der anderen Seite gegenübergestellt werden. Für personalwirtschaftliche Bewertungsfragen ist der analytisch erstellte und gepflegte Tätigkeitenkatalog objektives Kriterium des OE-Arbeitsinhaltes; er kann bis auf einzelne Stellen heruntergebrochen werden.

Das System ermöglicht jeder Fach-OE selbst den Personalbedarf durch Multiplikation der Einzelzeit mit der Ist-Menge zu ermitteln; darüber hinaus erlaubt es auch die Berücksichtigung von Planmengen. Somit stellt es eine wichtige Entscheidungshilfe bei der Erstellung des Personalbudgets dar.

Beim Aufdecken von Rationalisierungsreserven wurde bislang die hundertprozentige MÄ-Anzahl der zu analysierenden OE zugrunde gelegt. Zum Teil sind aber auch überhöhte "Verteilzeiten" denkbar. Die PBB macht es nun möglich, die tatsächlich notwendige Arbeitszeit inclusive Erholzeiten und Fehlzeiten zu errechnen. Somit besteht darin ein wirksames Instrumentarium zur Ermittlung von weiteren Reserven.

Auswirkungen der Organisationsanalysen

Die methodische Analysetätigkeit zeigt Kommunikationsbeziehungen und Kommunikationsabhängigkeiten zwischen den OEs des gesamten Unternehmens auf. Durch die Systematisierung der Tätigkeitsstrukturen sind die Arbeitsteilungen und Aufgabenbeziehungen zwischen den OEs darstellbar. Somit können quantitative Vergleiche zwischen OEs gezogen werden.

Bei geschäftspolitischen Grundüberlegungen und Szenarien lassen sich mögliche Auswirkungen auf das Mitarbeiter-Äquivalent im Vorfeld der Entscheidung berücksichtigen. Organisatorische Synergie-Effekte innerhalb des Unternehmens können deutlich gemacht werden, insbesondere bei konzernweiter Anwendung.

Das System ist auch für andere Unternehmen mit geringen Anpassungen an deren spezifische Bedürfnisse einsetzbar. Bei Bedarf könnte es jedoch um einen wichtigen Punkt ergänzt werden, nämlich die Implementierung von What-if-Analysen durch Simulation der Umstrukturierungen.

Dem Organisator stehen häufig mehrere Möglichkeiten zur Behebung der erkannten Mißstände zur Verfügung. Der Rechner könnte hier als wichtiges und komfortables Hilfsmittel zum Durchspielen der in Frage kommenden Umgestaltungen und ihrer Auswirkungen auf das Unternehmen dienen.

Um langfristig die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens am Markt sicherzustellen, müssen die komplexen und zum größten Teil miteinander

flochtenen Unternehmensstrukturen durch den Einsatz von Organisationsanalysen ständig überprüft, verbessert und an aktuelle Geschehnisse angepaßt werden. Hierzu sind komplexe Analysen sowohl der Kommunikations- als auch der Tätigkeitsstrukturen erforderlich. Der Einsatz eines rechnergestützten Systems erleichtert nicht nur die Arbeit der Organisatoren, sondern ermöglicht überhaupt erst eine Organisationsanalyse im beschriebenen Umfang.

* Horst Werk ist Leiter der Gruppe Organisationsanalysen bei der Norddeutschen Landesbank in Hannover;

Nicola Stritzelberger arbeitet als Systemanalytikerin bei der Dittrich & Partner Consulting in Stuttgart.