WP8-Schwergewicht

Nokia Lumia 920 - unser erster Eindruck

25.11.2012
Von 
Thomas Cloer war Redakteur der Computerwoche.
Seit einer guten Woche haben wir ein "Lumia 920" von Nokia zum Testen da, das aktuelle Flaggschiff des finnischen Herstellers mit dem neuen Windows Phone 8 von Microsoft.

In Weiß und Hochglanz. Schon beim ersten Hochheben fällt uns auf: Das Lumia 920 hat Gewicht. 188 Gramm laut Küchenwaage. Zum Vergleich: Das iPhone 5 wiegt darauf 113 Gramm. 188 Gramm geben definitiv ein ganz anderes Gefühl in der Hand. Ein durchaus wertiges im Übrigen, zu schwer ist uns das Lumia nicht. Eher schon das iPhone 5 zu leicht; unser "Idealgewicht" liegt vermutlich irgendwo dazwischen.

Zum durch das schiere Gewicht erzeugten Eindruck der Wertigkeit passt die Verarbeitung des Lumia 920. Nokia konnte immer schon Hardware, und das ist hier nicht anders. Das Polycarbonat-Gehäuse aus einem Guss ("Unibody") ist äußerst präzise verarbeitet und sieht ansprechend aus. Wir wollen nicht verhehlen, dass uns das mit dem "N9" erstmals eingeführte neue Design aus Espoo gefällt.

Unser erstes Test-Lumia war ein 800 mit Windows Phone 7 und später 7.5, das uns wegen seines gewölbten Display-Glases ganz besonders gut gefiel. Irgendwann haben wir das gegen das größere 900 eingetauscht, bei dem das Glas leider vollkommen plan war. Mit dem 920 kehrt Nokia dankenswerterweise wieder zur Wölbung zurück. Allerdings ist das Glas dabei von einem schmalen Rahmen eingefasst, der uns nicht so gefällt, weil er den Eindruck des Nahtlosen irgendwie zerstört.

Besonders laut rührt Nokia bei den neuen Lumias die Werbetrommel für deren "Pureview"-Kamera. Pureview ist mittlerweile allerdings "nur" noch ein Marketing-Name für diverse bildverbessernde Technik - die Kamera im 920 hat nichts mit dem 41-Megapixel-Sensor des Symbian-"808" zu tun. Vielmehr handelt es sich um einen 8-Megapixel-Sensor mit davor schwimmender Carl-Zeiss-Linse. Die optische Bildstabilisierung ermöglicht es, bei schlechten Lichtverhältnissen länger zu belichten.

Für ausführliche Foto-Tests hatten wir bislang keine Zeit. Wir können aber schon jetzt eindeutig bestätigen, dass das Lumia 920 in dunklen Innenräumen und bei Nacht draußen deutlich bessere Bilder macht als jedes andere Smartphone, das wir bisher in Händen hatten. Bei normalen (Tages-)Lichtverhältnissen können wir hingegen keine besondere Überlegenheit gegenüber beispielsweise dem iPhone feststellen, das ebenfalls mit 8 Megapixeln daherkommt.

Das Display des Lumia 920 (der Hersteller bezeichnet es als "Puremotion HD+") soll laut Nokia das hellste, schnellste und touch-sensibelste am Markt sein. Das hellste ist es unserer Einschätzung nach nicht. Es lässt sich aber bei Tageslicht im Freien sehr gut ablesen - was ja keinesfalls selbstverständlich ist - und ist mit seiner hohen Pixeldichte, noch höher als bei Apples "Retina" übrigens, gestochen scharf. Zumindest bei unserem Testgerät haben wir den Eindruck, dass die untere rechte Ecke des Bildschirms ein klitzekleines bisschen dunkler ist als der Rest beziehungsweise eine minimale Verfärbung aufweist. Das könnte mit der Hintergrundbeleuchtung zusammenhängen und ist nur dann sichtbar, wenn der Screen weiß ist; etwa beim Lesen von Emails.

Die seitlichen Knöpfe für Ein/Aus, Lauter/Leiser und Kamera sind übrigens (wie auch die Kameraabdeckung) aus Zirkonium und wackeln und klappern kein bisschen. Wireless Charging konnten wir bislang noch nicht ausprobieren, da kein solches Ladegerät zum Lieferumfang gehört und wir auch keinen Induktionsherd haben.

Sie haben schon gemerkt: Die Hardware gefällt uns. Kommen wir also zur Software. Die erscheint uns noch etwas unausgereift. Unser Test-Lumia startet teilweise mehrmals pro Tag grundlos und nicht reproduzierbar neu. Ob das an WP8 oder der gerätespezifischen Software von Nokia liegt, können wir mangels Vergleichsmöglichkeiten nicht beurteilen. Bleibt zu hoffen, dass es einer der beiden Partner mit einem baldigen Update behebt.

Windows Phone als Plattform hat uns von Beginn an gut gefallen. Das hat sich mit Version 8 auch nicht geändert, im Gegenteil: Das luftige Oberflächen-Design mit viel Typographie, die neuen Paradigmen wie Hubs und Live-Kacheln und viele gute Ideen im Detail heben sich weiterhin erfrischend von der Konkurrenz ab. Die entscheidenden Verbesserungen von WP8 stecken unter der Haube, Stichwort Hintergrundprogramme. Außerdem kann man jetzt auf der Startseite die Kacheln in drei statt zuvor zwei Größen haben. Mit Minikacheln kann man zwar mehr auf dem Startbildschirm unterbringen, schafft aber auch mehr optische Unruhe, finden wir. Das kann man aber sehr wohl auch anders sehen. Bjoern Kaas empfiehlt zum Anordnen übrigens die "Goldene Spirale" - eine interessante Idee.

Ein paar Details wurden in WP8 aber auch verschlimmbessert. Zum Beispiel kann man im renovierten Windows Phone Store weder auf dem Telefon noch im Web mehr alle neu veröffentlichten Apps durchforsten. Die Rubrik "Neu + angesagt" ist nun redaktionell betreut - vielleicht damit nicht mehr so sehr auffällt, wie viel Schrott-Apps Microsoft zulässt, um die schiere App-Zahl so schnell wie möglich zu erhöhen. Leider ist das ja quasi das einzige Kriterium, mit dem die Angebote von Apple, Google und Windows Phone verglichen werden. Außerdem lädt die Bing-Suche zuerst einfach Bilder und Videos statt Weblinks. Da freut sich vor allem der Carrier über den Traffic (so wie auch bei den neuen Live-Apps auf dem Sperrbildschirm).

Microsoft und Nokia bemühen sich nach Kräften, möglichst viele der auf anderen Plattformen populären Apps auch für Windows Phone anzubieten. Popularität ist aber leider sehr relativ. Wir müssen jedenfalls feststellen, dass viele der von uns auf iPhone und/oder Android am häufigsten genutzten Apps für Windows Phone noch nicht erhältlich sind. Google+, Path und Pinterest zum Beispiel, Flipboard und Dropbox und Readability, iA Writer und Tweetbot (Twitter-Clients für Windows Phone ist ein ganz schwieriges Thema), Any.DO und Brewster, aber auch deutsche Angebote wie Lufthansa oder flinc.

Microsoft ist als Letzter der drei aktuell Großen gestartet und entsprechend im Rückstand. Ob sich das ändern wird, dass Entwickler nun einfacher Apps für den Windows-8-Startbildschirm und Windows Phone 8 schreiben können und überhaupt WP8 viel interessanter für Developer geworden ist, zum Beispiel durch Unterstützung für Native Code, bleibt abzuwarten. Wir freuen uns jedenfalls schon auf den Tag, an dem das erste heiße Social-Web-Startup eine App zuerst für Windows Phone herausbringt. Dazu muss allerdings der Marktanteil erst einmal deutlich steigen; im dritten Quartal wurden weltweit mehr Geräte mit Samsung Bada verkauft als Windows Phones.

Was Microsoft und Nokia derzeit an Apps veröffentlichen, kann sich jedenfalls sehen lassen. Die Vorabversion von Skype gefällt uns gut, Nokia Bus und Bahn und die diversen Nokia-Apps für mehr Kamerafunktionen ebenso. Und nach der Ankündigung von HERE kommt vermutlich noch eine Menge Spannendes nach.

Ein ganz dickes Plus der Lumias sind jedenfalls immer schon die Kartenanwendung, die mit WP8 jetzt im System verankert ist und die damit auch andere Apps nutzen können, und die Navigation (aktuell "Nokia Drive+ Beta"). Diese speichern, was viele noch immer nicht wissen, das Kartenmaterial auf dem Gerät. Es lässt sich dann auf Wunsch vollständig offline verwenden, sprich: im Ausland komplett ohne Roaming-Kosten.

Ein wenig rätselhaft finden wir, dass beim Lumia 920 ziemlich häufig "Kein Empfang" auf der Telefonkachel steht. Immer nur sehr kurz, aber auffällig oft. Auch an Orten, wo weder das iPhone 5 noch das Galaxy S III das Netz verlieren. Außerdem haben wir noch nie "LTE" als Netzanzeige gesichtet. Bei der Telekom-SIM, die wir zum Testen verwenden, ist allerdings auch die LTE-Speed-Option nicht zugebucht, vielleicht liegt es daran. Das iPhone allerdings zeigt im gleichen Vertrag regelmäßig an, dass es sich via 4G einbucht. Bei welchem der beiden Geräte das jetzt Bug oder Feature ist, wissen wir leider auch nicht.

Unser Fazit nach einer Woche mit dem 920: Klasse Hardware, schöne Plattform, aber noch zu wenige Apps. Beziehungsweise noch nicht alle für uns richtigen und wichtigen. Da ist noch Luft nach oben.

Hinweis: Der Beitrag basiert im Wesentlichen auf einem privaten Blogpost des Autors.

Nachtrag vom 23. November 2012: Gestern haben wir dankenswerterweise ein anderes 920 im Austausch erhalten. Das hat anders als das bisherige ein tadelloses Display ohne Farbfehler und bucht sich auch im LTE-Netz ein. Also eigentlich alles primstens.

Auf zwei Problemchen sind wir allerdings beim Gerätewechsel gestoßen, die wir beim Ihnen nicht vorenthalten möchten. Sie haben allerdings weniger mit Nokia als vielmehr mit dem beim Test genutzten Netzbetreiber und Windows Phone 8 zu tun, sprich Microsoft.

Das erste: Unsere SIM ist von der Telekom. Wenn das Handy deren LTE verwendet, dann werden mit dem Lumia 920 darüber leider keinerlei Daten übertragen -- weil der APN nicht stimmt. Zum Glück findet man im Netz schnell so was wie das hier und dann klappt’s auch mit 4G.

Das zweite Problemchen hängt mit dem ersten zusammen: Wir hatten ja nun vorher schon ein anderes 920 und dessen Inhalte auch brav in der Cloud gesichert. Von wo wir sie auf dem neuen Gerät natürlich gern wiederherstellen wollten. Dazu muss man bei der ersten Einrichtung des Windows Phone 8 (die war schon gelaufen, wir mussten also das Gerät zurücksetzen) im Einrichtungsassistenten das Microsoft-Konto eingeben, mit dem man sein älteres Gerät mit Cloud-Backup aufgesetzt hatte.

Genau das hat bei uns nicht funktioniert, weil sich das Lumia 920 mit LTE eingebucht hat und wegen des falschen Telekom-APN keine Daten übertragen wurden. Zu dem Zeitpunkt im Einrichtungsassistenten kann man jedoch vorher weder die höchste Verbindungsgeschwindigkeit noch den APN ändern und auch keine WLAN-Verbindung einrichten. Überspringt man die Eingabe des Microsoft-Kontos und richtet dieses später ein, wird der Restore aus dem Cloud-Backup nicht mehr angeboten.

Wir hatten glücklicherweise noch eine andere, nicht 4G-fähige SIM herumfliegen. Damit hat der Restore aus der Cloud dann funktioniert (die Anordnung der Kacheln auf dem Homescreen, die Einstellungen für den Sperrbildschirm und diverse andere kamen dabei übrigens nicht mit - trotzdem ist das Feature sehr praktisch).