Deutsches Patentamt versteht sich ganz als Europäer, aber:

Noch wenig Schutz für deutsche Software

14.11.1986

MÜNCHEN - Das Urteil des Europäischen Patentamtes, daß künftig mehr Computerprogramme Patentschutz genießen sollen, läßt auch in Deutschland die Wellen hochschlagen. Jürgen Betten* erläutert in dem folgenden Kommentar die Situation.

Nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) sind - ebenso wie im deutschen Patentgesetz - nach Art. 52 (2) und (3) Computerprogramme als solche vom Patentschutz ausgeschlossen. Bis heute ist jedoch unklar, was damit wirklich gemeint ist. Handelt es sich dabei nur um auf Datenträger gespeicherte Computerprogramme - wie die Beschwerdekammer des Niederländischen Patentamts meint -, so wäre bereits ein in die EDV-Anlage geladenes Programm kein Computerprogramm als solches mehr. Unabhängig davon muß eine Erfindung jedoch auch auf dem Gebiet der Technik liegen, so daß auch ein in den Computer geladenes Buchhaltungsprogramm oder Spielprogramm (Ziffer 3. der Entscheidung) nicht als technisches Programm oder technisches Verfahren zur Steuerung einer EDV-Anlage angesehen werden kann.

Die Entscheidung geht - wie die Prüfungsrichtlinien des EPA - zu Recht davon aus, daß es für die Patentfähigkeit ohne Belang ist, ob die Erfindung als Hardware- oder Software-Lösung ausgebildet ist, da dies oft nur aus wirtschaftlichen oder praktischen Gründen geschieht. Entscheidend ist allein, ob die Erfindung technischen Beitrag zum Stand der Technik leistet, wobei der Patentanspruch - im Unterschied zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - als Ganzes zu betrachten ist.

Als technischer Beitrag kann zum Beispiel eine bessere Speicherorganisation (zum Beispiel virtueller Speicher), eine bessere Steuerung der EDV-Anlage (zum Beispiel neues Betriebssystem), eine bessere Verarbeitung von Programmen (zum Beispiel Parallelverarbeitung) oder die Bearbeitung eines gespeicherten Bildes (zum Beispiel CAD-Technik, Bildverarbeitung) angesehen werden.

In Ziffer 7. wird klargestellt, daß eine reine Verarbeitung von Daten nicht patentfähig ist. Ebenso liegt es bei einem Rechenverfahren (Ziffer 5.), das nur ein Ergebnis in numerischer Form liefert. In den Leitsätzen 3. und 4. ist klargestellt, daß nicht das Computerprogramm als solches, sondern nur ein technisches Verfahren oder eine technische Anordnung, bei der ein Computerprogramm verwendet wird, dem Patentschutz zugänglich sind.

Die zentrale Frage ist nun, was von dem Begriff "physikalische Entität" (Ziffer 5.) umfaßt wird. Als Beispiele werden ein Gegenstand oder ein in elektrischen Signalen gespeichertes Bild gegeben. Dieses "körperliche Ding" muß nun durch die Erfindung in irgendeiner Weise verändert werden, damit sich ein technischer Beitrag zum Stand der Technik ergibt. Als weiteres Beispiel nennt die Entscheidung in Ziffer 3. das Bild eines simulierten Gegenstands, wie in CAD/CAM-Systemen, wobei der technische Beitrag zum Beispiel in der geschickten Drehung des Körpers gesehen werden kann.

Damit dürfte ein großer Teil der neuen Software-Technologien beziehungsweise von Verfahren, die ein Computerprogramm verwenden, grundsätzlich dem Patentschutz zugänglich sein. Es muß jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß ein Patent nur dann erteilt wird, wenn das Verfahren auch noch neu und - gegenüber dem Stand der Technik - erfinderisch ist. Im entscheidenen Fall "VICOM" hat die Beschwerdekammer nur über die Frage entschieden, ob die Anmeldung überhaupt dem Patentschutz zugänglich ist, während die Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit noch von der Prüfungsstelle zu entscheiden ist.

Nachdem das Urheberrecht - jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland - nur für die deutlich über dem Durchschnitt liegenden Computerprogramme Schutz gewährt, sollte die Möglichkeit des Patentschutzes für "technische" Programme verstärkt genutzt werden. Anders als das Urheberrecht kann das Patentgesetz jedoch in der Regel nicht das ganze Computerprogramm, sondern nur Teile davon umfassen, die zudem noch einen technischen Beitrag leisten müssen.

Im Hinblick auf die weitgehend übliche Geheimhaltung von Computerprogrammen kann dies aber auch als Pluspunkt angesehen werden, da nicht etwa das Programmlisting die Patentanmeldung darstellt oder dieser beigefügt wird, sondern nur die Teile des Programms mit Worten, Flußdiagramm oder ähnlichen Darstellungsformen beschrieben werden, die die Erfindung darstellen, so daß das ausgetestete vollständige Programm nicht offenbart werden muß. Am Rande sei hier erwähnt, daß der europäischen Patentanmeldung das in Ziffer 18 der Entscheidung genannte Programmlisting nicht beigefügt war, wohI aber der amerikanischen Ursprungsanmeldung (US-PS 4 330 833), da - jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreichung der amerikanischen Patentanmeldung - in den USA die Auffassung vertreten wurde, daß die Anfügung des Programmlistings zur ausreichenden Offenbarung der Erfindung erforderlich sei. Diese Auffassung wird in Europa nicht vertreten und wird wohl auch in den USA bald der Vergangenheit angehören.

Die liberale Einstellung der Beschwerdekammer des EPA bezüglich des Patentschutzes von Computerprogrammen ist zu begrüßen. Sie entspricht auch der Praxis in den USA, Japan, Kanada, Frankreich und den Niederlanden. Nun bleibt abzuwarten, ob der BGH seine restriktive Auffassung, die noch auf altem Recht basiert, im Hinblick auf diesen internationalen Trend überprüft. Ansätze hierzu sind im Urteil "Antiblockiersystem" zu sehen, wonach "technische Programme" als patentfähig angesehen werden. Vielleicht kann hier auch das Deutsche Patentamt mit seinen (allerdings noch nicht verabschiedeten) Prüfungsrichtlinien (siehe CW Nr. 41 vom 10.10.1986, Seite 18) ein Signal setzen.