Noch sind Automatisierungspotentiale kaum genutzt:EDV dringt in alle Produktionsbereiche

31.10.1986

Die Datenverarbeitung in der Produktion, gegenwärtig noch inselhaft isoliert, beginnt allenthalben zusammenzuwachsen und an Bedeutung zu gewinnen. Damit einher geht ein tiefgreifender Wandel industrieller Organisationsstrukturen und Berufsbilder. Einen Abriß der gegenwärtigen Situation gibt der folgende Beitrag.*

Aus ökonomischer Sicht nimmt die Produktion, Verarbeitung und Verteilung von Information in modernen Industriegesellschaften für viele immer mehr den Charakter eines

eigenständigen Produktionsfaktors neben Arbeit und Kapital an.

Damit geht ein Strukturwandel einher, der nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern weltweit in den Volkswirtschaften der Industrieländer gravierende Konsequenzen hat:

- Immer mehr Menschen sind nicht mehr direkt mit der Erzeugung von materiellen Gütern oder Dienstleistungen beschäftigt, sondern befassen sich im wesentlichen mit der Produktion, Verarbeitung oder Verteilung von Informationen.

- Zugleich findet aber eine rasche

Entwicklung der Informationstechnik statt, die eine Produktivitätssteigerung sowohl in der industriellen Fertigung als auch im Verwaltungs- und Dienstleistungsbereich ermöglicht.

Der Einfluß der Mikroelektronik wird weiter zunehmen. Vergleicht man den im Jahr 2000 erwarteten Ausnutzungsgrad der Mikroelektronik (gleich 100 Prozent gesetzt) mit dem heutigen Stand, so werden nach Schätzungen von Fachleuten die Möglichkeiten der Mikroelektronik heute erst zu knapp 15 Prozent ausgeschöpft. Entscheidend vorwärtsgetrieben wird diese Entwicklung von der überaus schnellen Steigerung der Komplexität und Leistungsfähigkeit elektronischer Schaltkreise. Erst dadurch werden in Zukunft neuartige Produkte und Systemlösungen möglich, die heute technisch oder wirtschaftlich noch nicht realisierbar sind. Datenverarbeitung und Nachrichtentechnik werden zu einer unlösbaren Gesamtheit und verändern nicht nur Arbeitsabläufe in der Industrie, sondern auch im Dienstleistungssektor, wie dies beispielsweise in der Geld- und Kreditwirtschaft oder in der Versicherungswirtschaft heute schon sichtbar ist.

Informationstechnik in der Produktion

Hauptziele der industriellen Automation sind höhere Flexibilität und Produktivität in der Fertigung. Diese Forderungen resultieren aus der marktbedingten Notwendigkeit, insbesondere bei kleinen Serien schneller und individueller auf Kundenwünsche einzugehen, ohne zu weit von den Kosten größerer Serien abzuweichen.

Die wichtigsten Mittel hierzu sind:

- Prozeßdatenverarbeitungsanlagen,

- Fertigungssteuerungen und rechnergestützte Entwurfs- und Konstruktionssysteme (CAD/CAM),

- NC-Maschinen,

- flexible Fertigungssysteme,

- Industrieroboter und Handhabungssysteme.

Bei Prozeßdatenverarbeitungsanlagen ist die deutsche Herstellerbasis beachtlich, und ihr ausländischer Marktanteil rangiert vor dem ausländischer Konkurrenten.

CAD/CAM dient der Effizienzsteigerung des Planungs-, Konstruktions- und Produktionsprozesses. Entsprechende Geräte und Systeme sind erst seit einigen Jahren in nennenswertem Umfang am Markt und werden bisher nur von relativ wenigen Unternehmen (zum Beispiel Großunternehmen des Automobilbaus) eingesetzt. In der mittelständisch strukturierten fertigungstechnischen Industrie, das heißt überwiegend Unternehmen des Maschinenbaus, hat CAD/CAM heute erst bei zirka 2 bis 3 Prozent der Unternehmen Eingang gefunden. In Japan sollen bereits 25 Prozent der Maschinenbauunternehmen CAD-Systeme einsetzen. Dies ist deshalb von größter Bedeutung, weil immer mehr Industriezweige bei ihren Entwicklungen auf CAD/CAM angewiesen sind. Hier können neue Abhängigkeiten vom Ausland entstehen. Das Angebot von Hardware und Grundsoftware für CAD wird heute stark bis überwiegend durch US-amerikanische Anbieter geprägt, die über moderne Technologie und einen aufgeschlossenen Heimmarkt verfügen.

Bundesrepublik hielt mit dem Trend Schritt

Die deutsche Produktion von numerisch gesteuerten Werkzeugmaschinen hat sich seit 1975 auf

etwa das Sechsfache erhöht. Damit konnte die Bundesrepublik mit dem weltweiten Produktionstrend insgesamt Schritt halten. Der Anteil der numerisch gesteuerten Aggregate an der gesamten Werkzeugmaschinenproduktion stieg von 5,6 Prozent (Stück) im Jahr 1971 auf 22,5 Prozent (Stück) im Jahr 1981. Bis zu 50 Prozent der Inlandsproduktion geht in den Export; der Importanteil bei NC-Werkzeugmaschinen beträgt allerdings ebenfalls zirka 50 Prozent. Während deutsche Unternehmen vor

allem bei Sondermaschinen und Hochleistungsmaschinen eine gute Position haben, dominieren die Japaner den Markt der Normal- und Standardmaschinen, bei denen sie durch eine rationelle Fertigung in großen Serien erhebliche Kostenvorteile erzielen können. Daher erklärt sich auch, daß Japan pro Einwohner 2,5 mal soviel NC-Maschinen produziert wie die Bundesrepublik.

Hauptziel des Einsatzes flexibler Fertigungssysteme ist die Produktivitätssteigerung bei kleinen und mittleren Losgrößen. Während noch Anfang der 70er Jahre den flexiblen Fertigungssystemen eine große Zukunft vorhergesagt wurde, ist die Entwicklung tatsächlich deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, daß die Probleme bei der Entwicklung und beim Betrieb eines Fertigungssystems erheblich größer sind als ursprünglich angenommen. 1981 waren in Deutschland zirka 15 Anlagen im Betrieb, in den USA etwa 20 Anlagen und in Japan mehr als 35 Anlagen. Während bei den in der Bundesrepublik installierten Systemen hochkomplexe Anlagen vorherrschen, die durchaus auch im internationalen Vergleich Spitzenleistungen darstellen, begnügen sich die bisher realisierten amerikanischen und auch japanischen Systeme meistens mit kleineren Lösungen, die nicht so viele verschiedene Subsysteme enthalten.

Zur Zeit noch auf schwacher Basis

Industrieroboter und automatische Handhabungssysteme gehören heute zu den wichtigsten Elementen moderner Handhabungstechnik. Bei der Eigenfertigung solcher Anlagen stehen wir zur Zeit noch auf einer relativ schwachen Basis. Von den Ende 1982 in der Bundesrepublik Deutschland existierenden Unternehmen gibt es zur Zeit nur etwa 20, die Roboter in nennenswerten Stückzahlen fertigen (Produktionsvolumen zirka 220 Millionen Mark). Die Volkswagenwerk AG, der größte deutsche RoboterherstelIer mit einem Volumen von etwa 100 Millionen Mark, produziert bisher ausschließlich für den eigenen Bedarf.

In Japan ist die Zahl der Industrieroboter-Installationen mindestens um das Dreifache höher als in der Bundesrepublik. 1981 gab es dort etwa 250 Hersteller mit einem Produktionsvolumen von zirka 1,2 Milliarden Mark, wovon etwa 840 Millionen auf Industrieroboter im engeren Sinne entfallen, die von zirka 50 Unternehmen produziert werden. Die weltweit größten und leistungsfähigsten Roboterhersteller sind in den USA angesiedelt.

Während heute Roboter im wesentlichen für das Schweißen eingesetzt werden, wird in Zukunft dem Einsatz im Montagebereich zunehmend Bedeutung beigemessen, da dort noch die größten Produktivitätsreserven liegen.

Seit einigen Jahren setzt sich in der Fachwelt neben CA-Bezeichnungen ein neues Kürzel durch: CIM (Computer Integrated Manufacturing). Solche CIM-Konzepte streben an, die produktionstechnischen Informationen vom Entwurf bis zum Vertrieb der Produkte systemtechnisch zusammenzuführen. Das eigentlich Neue daran ist die gesamtheitliche, also integrierte Betrachtungsweise und durchgängige Rechnerunterstützung des betrieblichen Informationsflusses. Realisiert werden bisher Insellösungen, in denen der Computer die Arbeit in einzelnen Betriebsbereichen unterstützt. Geläufig sind inzwischen Begriffe wie

- CAD (Computer-Aided Design),

- CAPP (Computer-Aided Process Planning),

- CAE (Computer-Aided Engineering),

- PPS (Produktionsplanung und -steuerung),

- CNC (Computerized Numerical Control),

- FFS (Flexible Fertigungssysteme),

- CAM (Computer-Aided Manufacturing),

- AMHS (Automated Material Handling Systems) oder

- CAI (Computer-Aided Inspection).

Das Konzept des Computer Integrated Manufacturing (CIM) fordert Verknüpfungen zwischen den Automatisierungsinseln der Produktion, die vor allem durch eine Integration der Datenbestände erreicht werden sollen (Bild 1).

Durch die Integration der Informationsverarbeitung sind folgende Nutzeffekte zu erwarten:

- Verkürzung der Produktionsentwicklungs- und Durchlaufzeit,

- marktnahe Produktion (Just-in-time-Produktion),

- zeitliche Verlagerung von Produkt- und Produktionsentscheidungen,

- zeitliche Entkopplung zwischen Mensch und Maschine

- ereignisnahe Produktionsplanung und -steuerung.

Bei der Verwirklichung des CIM-Konzeptes wachsen technische und kaufmännische Informationsverarbeitung zusammen. Eine Integration erfordert die Vernetzung unterschiedlicher Rechnertypen, die derzeit unter anderem wegen mangelnder Standardisierung der Schnittstellen noch erhebliche Probleme bereiten. Die Integration der Rechnersysteme in den Produktionsprozeß verlangt höchste Qualität der Konzepte, der Hard- und Software-Komponenten - ebenso wie die funktions- und termingerechte Realisierung umfassendes Know-how verlangt; Know-how in der Planung, Programmierung, Einführung und im Service.

Für den Einsatz dieser neuen Technologien werden heute Mitarbeiter mit neuen Qualifikationen benötigt.

Neue Technologien - neue Qualifikation

Bis Ende der 70er Jahre war der Computereinsatz weitgehend Großunternehmen vorbehalten und gleichbedeutend mit dem zentralen Einsatz von Großrechnern in Rechenzentren. Heute hören wir täglich von neuen Hardware-Entwicklungen, wie zum Beispiel Mikrocomputern, Personalcomputern, Arbeitsplatzrechnern und in der Fertigung von Robotern und Prozeßrechnern. Das sind Systeme, die sich Mittelbetriebe finanziell leisten könnten. Weiter lesen wir von neuen Software-Entwicklungen, wie zum Beispiel Bürografik, Btx und in der Produktion von CAD bis CIM. Die Angebote preiswerter, leistungsfähiger Kleincomputer eröffnen somit Teilbereichen großer Unternehmen und auch mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit, eigene Rechner mit Fremdsoftware einzusetzen.

Trotz erheblich verbesserter Anwendungsbedingungen nutzen die Betriebe die Daten- und Informationsverarbeitung jedoch nur in unzureichendem Maße. Ursache dafür sind weniger ökonomische Überlegungen, sondern vor allem das fehlende Know-how über Möglichkeiten und Grenzen der sinnvollen Computernutzung .

Gerade in der Produktion können durch den Einsatz von Rechnern in der Konstruktion und der Fertigungsorganisation mehr und mehr PPS-Tätigkeitsfelder, wie zum Beispiel Stücklisten- und Arbeitsplanerstellung, Bedarfs- und Terminermittlung für Fertigungsaufträge und Bestellungen sowie Vor- und Nachkalkulation von Aufträgen und Erzeugnissen beschnitten werden, wenn sich sachkundige Organisatoren beim Einsatz der EDV für betriebliche Problemlösungen verantwortlich beteiligen.

Die Gestaltung von DV-gestützten Informationssystemen, in denen neben den DV-Anlagen auch Menschen als Benutzer und Weiterverarbeiter von Informationen auftreten, macht eine Informatik notwendig, die nicht nur über die technischen Probleme der Anlagen, sondern auch über die organisatorischen, ökonomischen und soziotechnischen Fragen derartiger Mensch-Maschine-Systeme Aussagen trifft. Dazu muß geklärt werden, wie die Leistungsfähigkeit der verfügbaren Hard- und Software auszuschöpfen und die Wirtschaftlichkeit des DV-Einsatzes zu steigern und die zukünftigen Anwendungssysteme auf die Aufgabenstruktur des Gesamtbetriebs abzustimmen sind.

Für die Gestaltung der Anwendungssysteme scheinen zunächst (so war es bisher) die DV-Fachleute zuständig zu sein.

Die Durchleuchtung der komplexen betrieblichen Zusammenhänge, die der Systemgestaltung vorausgehen muß, übersteigt jedoch die Fähigkeit von "Nur"-DV-Fachleuten. Deshalb ist die Einschaltung von Fachspezialisten der einzelnen Fachbereiche notwendig. Diesen Fachspezialisten fehlen jedoch oft die zur Systementwicklung notwendigen Kenntnisse der Organisation und Datenverarbeitung.

Die mangelnden fachspezifischen Grundkenntnisse aus dem Bereich der Planung und Steuerung und den unternehmensspezifischen Gegebenheiten auf seiten des DV-Fachpersonals einerseits und andererseits der fehlenden DV-Grundkenntnisse auf seiten der Fachabteilungen, die mit der Planung und Steuerung befaßt sind, führen in der Regel dazu, daß sich beide Seiten nicht verstehen, weil jeder eine andere Sprache spricht: Der Fachmann der DV weiß nicht, welche betriebstechnischen Probleme bei der Planung vorliegen, der Fachmann der Planung weiß nicht, welche Hilfen ihm die DV bieten könnte. Diese Isolierung führt zu erheblichen Schwierigkeiten, dadurch ist bei der Lösung dieser Probleme eine Zusammenarbeit unbedingt erforderlich. Denn die Probleme liegen nicht bei der Realisierung irgendwelcher technischer DV-Konzepte, sondern bei der Realisierung bestimmter betrieblicher Problemlösungen mit Hilfe der Datenverarbeitung. Und hierzu bedarf es in der nächsten Zeit - mehr noch als heute - der Bereitschaft und Fähigkeit der Mitarbeiter im Betrieb, für komplexe betriebliche Aufgaben den Computer sinnvoll als Hilfsmittel einzusetzen.

* Der vorstehende Artikel ist dem Referat "Veränderungen der Betriebsorganisation durch neue Techniken" entnommen, der auf der 11. Deutschen Industrial Engineering Fachtagung im November 1985 in Darmstadt gehalten wurde.