Noch keine Entwarnung für die IT-Industrie

30.10.2002
Von 
Riem Sarsam war Redakteurin des CIO-Magazins.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Berichtssaison für das dritte Quartal neigt sich dem Ende zu. Viele Firmen haben zwar ihre Kosten mittlerweile unter Kontrolle, doch die Einnahmen zeigen noch keine Anzeichen für einen Aufschwung.

„Durchwachsen“ ist der Eindruck, den Mirko Maier, Finanzanalyst bei der Landesbank Baden-Württemberg, von dem nun abgeschlossenen Quartal hat. Unter den mehr als 60 IT-Firmen, die ihre Bilanzen vorlegten, sind sowohl positive Überraschungen wie Microsoft, IBM oder SAP als auch Enttäuschungen wie Siebel oder Lucent. Insgesamt ist die Zitterpartie noch längst nicht beendet. Da sich der erwartete Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte nicht einstellte, verlagern sich die Hoffnungen der Unternehmen nun auf die zweite Hälfte des kommenden Jahres. Zwar nehmen sich die jetzt vorgelegten Quartalsergebnisse - bis auf wenige Ausnahmen - längst nicht mehr so dramatisch aus, wie noch vor einem Jahr. Doch schließlich waren bereits im dritten Quartal 2001 die Ergebnisse schwach ausgefallen - und das nicht nur wegen der Ereignisse vom 11. September. Die statistische Vergleichsbasis ist also entsprechend niedrig.

Für Entwarnung ist es demnach zu früh, obwohl eine Reihe von Unternehmen - unter anderem der Medienriese AOL Time Warner, Texas Instruments (TI), Cray oder Veritas - die Rückkehr in die schwarzen Zahlen melden konnten. Vor allem in der Chipindustrie, dem vermeintlichen Frühindikator der IT-Branche, hatte die leichte Erholung in der ersten Hälfte des Jahres Hoffnungen genährt, die nun wieder zerstört wurden. Nahezu sämtliche Hersteller warnen vor zu hohen Erwartungen für das letzte Jahresviertel. Beispiel: Der Chiphersteller Texas Instruments konnte seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 1,4 Milliarden Dollar auf nun 1,6 Milliarden Dollar steigern. Auch der Nettogewinn stieg im selben Zeitraum von knapp 36 Millionen auf rund 131 Millionen Dollar nahezu um das Vierfache.

Dennoch sank der Aktienkurs des Unternehmens nach Bekanntgabe des Ergebnisses. Grund: Der alles andere als optimistische Ausblick von TI-Finanzchef Bill Aylesworth: „Außer im Mobilfunkbereich hat sich die Situation gegen Ende des dritten Quartals mit Sicherheit verschlechtert.“ Diese Entwicklung werde anhalten, der Umsatz bleibe im laufenden Quartal um zehn Prozent hinter den Erlösen des dritten Jahresviertels zurück. Einzig der europäische Marktführer ST Microelectronics (STM) überraschte mit einem optimistischen Ausblick für das vierte Geschäftsquartal. STM-Chef Pasquale Pistorio geht davon aus, den Umsatz gegenüber dem dritten Quartal „im mittleren einstelligen Bereich“ zu steigern. Da sich die Angebote von TI und STM allerdings in einigen Bereichen überschneiden, bleiben Marktbeobachter skeptisch.

Nach wie vor am ärgsten gebeutelt sind die Telecom-Ausrüster. Marktführer Lucent ist es selbst nach massiven Kürzungen und Entlassungen (insgesamt wurden vier Milliarden Dollar eingespart) nicht gelungen, die Kosten dem reduzierten Umsatz anzupasssen. Auch für das dritte Quartal musste die Company einen Verlust von mehr als 2,8 Milliarden Dollar ausweisen. Der Umsatz brach im Vergleich zum Vorjahresquartal von 5,1 Milliarden auf 2,28 Milliarden Dollar ein.

Warten auf Weihnachten

Dennoch versprach Lucent-Chefin Patricia Russo, mit einem Umsatz von 2,5 Milliarden Dollar zum Ende des laufenden Geschäftsjahres (September 2003) den Breakeven zu schaffen. Dafür müssen allerdings bis März rund 10000 weitere Stellen gekürzt werden. Laut Russo werde der Umsatz bis Dezember dieses Jahres noch einmal zurückgehen, im besten Falle stagnieren, doch ab Anfang nächsten Jahres rechnet sie wieder mit einer deutlichen Belebung der Nachfrage.

Auch im Hardwaresektor hapert es nach wie vor. Das Geschäft mit PCs und Servern will einfach nicht anziehen. Da das dritte Quartal zumindest in Europa als traditionell schwach gilt, ist die Aussagekraft der Bilanzen relativ gering. Entscheidend wird nun das letzte Jahresviertel sein. Die Hoffnung richtet sich jetzt auf das Weihnachtsgeschäft und den so genannten Budget-Flush, das Aufbrauchen der Reste aus den Jahresetats der Unternehmen. Mit anderen Worten: Erst wenn die Zahlen für das vierte Quartal vorliegen, lässt sich wohl mit Gewissheit sagen, ob der viel zitierte Boden tatsächlich erreicht ist.

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