Deutsche Datenverarbeiter ziehen Lehren aus US-Mißgriffen:

Noch kein Aus für Benutzerservice-Zentren

18.12.1987

Benutzerservice-Zentren (BSZ) werden in großen US-Unternehmen bereits wieder abgeschafft: Die Sachbearbeiter sind technisch mündig geworden. Die BSZ-Profis scheinen allerdings ihre Zelte abzubrechen, ohne ihre strategischen Aufgaben erkannt zu haben. Mit der Entwicklung in den USA konfrontiert, reagieren bundesdeutsche DV-Verantwortliche gelassen. Einhelliger Tenor: Die Kollegen jenseits des großen Teiches haben Ihren Job falsch angepackt.

Die Entwicklung in den USA beweise keineswegs, daß die Beratungszentren nicht erfolgreich gearbeitet hätten - im Gegenteil, so der Sprecher eines großen amerikanischen Unternehmens, machten sie doch ihre Benutzer innerhalb kurzer Zeit technisch mündig. Außerdem handele es sich bei der Abschaffung der Service-Zentren auch um eine Erziehungsmaßnahme. In vielen Fällen seien die Sachbearbeiter nur zu bequem gewesen, erst ins PC-Handbuch zu schauen, anstatt gleich den Support anzurufen.

Gegen die Abschaffung des Benutzerservices hierzulande, erklären bundesdeutsche DV-Profis, spricht vor allem das Tohuwabohu, das in den meisten Unternehmen in puncto PC-Einsatz und -Ausbildung nach wie vor herrscht. An dem immer noch nicht bewältigten PC-Potpourri seien vor allem die Anbieter schuld. Michael Bernecker, Geschäftsführer Bernecker & Partner GmbH & Co., prangert die Herstellerpolitik an: Zu viele neue Produkte in zu kurzer Zeit. Der Wunschtraum des Münchner Beraters: zehn Jahre lang keine neuen Systeme. "Diese Zeit bräuchten wir, um die überforderten Mitarbeiter zumindest mit den gängigen Systemen vertraut zu machen", wettert Bernecker. Allerdings gilt die Schelte des Consultants lediglich für den Hardware-Bereich. Glücklich wäre er dagegen über einen schnelleren Innovationszyklus in der Software. Bernecker hält nämlich gute PC-Lösungen nach wie vor für Mangelware.

Neben der Kritik an den Herstellern sind sich die DV-Manager darin einig, daß die Kollegen in den amerikanischen Benutzerzentren ihren Job nicht richtig anpackten. Statt strategisch vorzugehen, hätten sie sich wohl zu sehr mit technischer Betreuung verzettelt. Rationalisiert sich ein Beratungszentrum durch Fortschritte in der Technik selbst weg, hat es von vornherein die falschen Aufgaben wahrgenommen", betont Wolfgang Eckert, Gesamtverantwortlicher der Org./DV bei der Jungheinrich Maschinenfabrik in Hamburg-Norderstedt. Denn Benutzerservice bedeute nicht nur PC-Einführung, User-Support und Hotline-Unterstützung, sondern erfordere viel eher die Bewältigung strategischer Aufgaben. Hierfür benötigten die BSZ-Mitarbeiter zunehmend eine betriebswirtschaftliche Ausbildung.

Um sein BSZ von Betreuungsfragen freizuschaufeln, richtet denn auch Lutz Martiny, Leiter der KDV-Systementwicklung bei der Schering AG in Berlin, in den Fachabteilungen "Train-the-Trainer"-Funktionen ein. Für den Job will Martiny künftig Programmierer einsetzen: "Diesen Beruf wird es nämlich in den nächsten zehn Jahren nicht mehr geben." Da sein Unternehmen diese Mitarbeiter jedoch nicht entlassen wolle, würden sie entweder zu Systemanalytikern mit betriebswirtschaftlichem Know-how umgeschult, oder aber sie müßten lernen, ihren Kollegen in den Fachbereichen diese Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Parallel dazu sei es jedoch erforderlich, in den einzelnen Abteilungen Kompetenz-Zentren einzurichten. Schließlich könne ein einziges Informations-Center nicht die Anforderungen des gesamten Unternehmens abdecken - vorausgesetzt, es wäre bereits mit Arbeitsplatzrechnern durchdrungen. Von seinen BSZ-Leuten erwartet der Berliner DV-Experte, daß sie künftig Standards und Normen setzen, den Markt beobachten und neue Produkte im Unternehmen einführen. Martiny sieht in diesen komplexen Vorhaben ein weiteres Anzeichen dafür, daß der Benutzerservice hierzulande noch lange eine Existenzberechtigung haben wird. "Immerhin schieben wir ein Ausbildungsloch von rund 15 Jahren vor uns her - das muß erst einmal bewältigt werden."

"Sandwich" zwischen RZ und Fachabteilung

Wie das ideale Anforderungsprofil eines Info-Centers aussehen sollte, das beschäftigte DV-Chef Wolfgang Eckert schon vor drei Jahren, als er sein PC-Beratungszentrum im Unternehmen einführte. Für ihn war wichtig, daß die Mitarbeiter über betriebswirtschaftliche Zusammenhänge Bescheid wußten, Erfahrung in der Großanlagen- sowie PC-Programmierung besaßen und sich ein Wissen in der PC-Hardware sowie der Standardsoftware angeeignet hatten. Nur so sei es möglich, die richtigen Abgrenzungsfragen zu "PC oder nicht" zu stellen und zu beantworten. Um der "Sandwich-Situation" zwischen Rechenzentrum und Fachabteilung gerecht werden zu können, sind für die BSZ-Mitarbeiter pädagogische Fähigkeiten und psychologisches, Einfühlungsvermögen unerläßlich.

Billigfragen auf ein Minimum zurückschrauben

In jedem Fall gehört nach Meinung der DV-Profis die Soforthilfe in Form einer ständig erreichbaren Hotline zum Benutzerservice. Die Erfahrung zeigt, daß einfache Bedienungssprobleme telefonisch behoben werden können. Der Klage ihrer amerikanischen Kollegen, die Hotline werde in vielen Fällen von bequemen Benutzern ausgenutzt, schließen sich die hiesigen DV-Chefs an. Als Wolfgang Eckert seinen Benutzerservice installierte, hatte er zunächst große Schwierigkeiten mit dem "heißen Draht". Er stellte fest, daß bei den Sachbearbeitern die rein technischen Probleme den Löwenanteil ausmachten. Diesem Mißstand rückte der Hamburger DV-Leiter mit einem verstärkten Ausbildungsangebot zu Leibe: "Erst nach einiger Zeit begriffen wir nämlich, wie groß der Schulungsbedarf der Mitarbeiter wirklich war". Erste Erfolge konnte Eckert bereits verbuchen: Der Anteil der "Billig-Fragen" bei der Hotline ist auf ein Minimum zurückgegangen.

Sachbearbeiter nicht "zum Jagen" tragen

"Letztendlich hängt die Lebensdauer und Wichtigkeit eines Beratungs-Zentrums vor allem von den Benutzern ab", kommentiert Klaus E. Barth, Hauptabteilungsleiter zentrale Vertriebsaufgaben bei der Firma Stihl, Ludwigsburg, die Situation des Benutzerservices. In seinem Unternehmen sei das BSZ immens wichtig, da es eine große Anzahl "unmündiger" Sachbearbeiter zu betreuen habe. Demgegenüber gäbe es aber auch eine Reihe Mitarbeiter, die von der Aufgabenstellung her so motiviert seien, daß man sie "nicht zum Jagen tragen" müsse. Sie wollten ihre Tätigkeit mit Hilfe der neuen Technik optimieren und seien so aufgeschlossen, daß sie keinen Benutzerservice benötigten. "Aber", betont DV-Profi Barth, "da diese Mitarbeiter bisher die Ausnahmen sind, wird das BSZ noch lange seine Existenzberechtigung behalten."

Kommentar

Ex- und-hopp-Mentalität

Quick-and-dirty-Lösungen erfreuen sich, so spricht die Branche, in den USA großer Beliebtheit. So erfolgte auch die Anschaffung der Mikros in den meisten amerikanischen Unternehmen im Eilverfahren - das Motto hieß "It's nice to have them". Mit genau derselben Schnelligkeit wurden jenseits des großen Teiches Benutzerservice-Zentren installiert und drei Jahre später - wieder aufgelöst. Technisch sind die Sachbearbeiter mündig geworden.

Und damit hat denn auch das BSZ seine Schuldigkeit getan. Strategische Aufgaben nämlich scheinen keine große Rolle gespielt zu haben. Dieser Ex-und-hopp-Mentalität ihrer US-Kollegen können bundesdeutsche DV-Verantwortliche allerdings wenig abgewinnen. Mit sprichwörtlicher deutscher Gründlichkeit schreiben sie sich die Intensive Ausbildung der Benutzer, sorgfältige Produktauswahl und strategische Planungen aufs Panier. Wenn auch die amerikanischen DV-Chefs ihren deutschen Kollegen in der Technik immer ein paar Schritte voraus sind - in diesem Fall ist die gründlichere letztendlich wohl doch die bessere Lösung.