CSE-Kongreß: Integrations-Mentalität der Hersteller unter Beschuß

Noch ist Büro-Automation der größte DV-Flaschenhals

12.10.1990

MÜNCHEN (CW) - Mit benutzerfreundlicherer Technik und mehr Kreativität kann sich Office Automation rentieren: DV-Anwender zogen auf dem 5. Europäischen Kongreß über Informations-Management und Büro-Systeme in München Zwischenbilanz über Konzepte und Lösungen moderner Bürotechnik. Veranstalter war die Kongreßgruppe der IDG Communications Verlag AG in München.

Der Einsatz neuer Bürotechnik verändert im Büro alles: Produktivitätssteigerung bei Kostensenkung versprechen zumindest vollmundig die Hersteller. Doch technikassistierte Arbeitsabläufe, so klagen indes die Anwender, kranken bislang an dem Mangel an Integration.

"Hersteller sind Ignoranten", zog deshalb auch Uwe Pilgram vom Leder. Sie interessierten sich nicht dafür, was der User statt eines des integrierten Arbeitsplatzes wünsche: nämlich die benutzerfreundliche, möglichst einfache Rundum-DV-Applikation.

Der Entwurf zur Integration ist für den Leiter Informatik-Beratung und -Unterstützung der BASF aus Ludwigshafen daher simpel. Eine zentrale Steuerung übernimmt die Verteilung der Daten, die dezentrale Verarbeitung läuft auf PC und Server, alles verbindet ein Netzwerk. Pilgram liquidierte die Mittlere Datentechnik: "Die Zeit der AS/400 ist vorbei."

Gründe dafür scheinen ausreichend vorhanden zu sein. Ein Desaster auf den unternehmensweiten, historisch gewachsenen Informationskanälen ist meist vorprogrammiert, wenn EDV und Bürokommunikationstechnik zusammenwachsen sollen. An den Schnittstellen funkt es noch nicht, Anwender zahlen hohes Lehrgeld, so lautete der Konsens auf dem Münchner CSE-Kongreß. Ein Beispiel: Die Hürde der physikalischen Datenübernahme zu überwinden gelingt oft nur auf Kosten des Bedienkomforts und mit Informationsverlusten.

Training ist teurer als Equipment

Um so bedeutsamer sind für Anwender eine minutiös geplante Strategie und Vorgehensweise bei der Einführung moderner Office-Systeme. Schlüsselkomponente, stellte Klaus Heinrich, Geschäftsführer der Butler & Cox GmbH in München, heraus, ist die Bereitschaft der Mitarbeiter, das Technik-Programm mitzutragen. Beteiligungsonzepte müßten daher entwickelt werden, die etwa den "gläsernen Schreibtisch" verhinderten. DV-gestützte Bürotechnik im Einsatz wirkt sich auf Arbeitsplatz, Arbeitsbeziehungen und Klima im Unternehmen aus. Neue Aufgaben verändern Status, Privilegien und Gehälter.

Notwendig ist deshalb, weiß Top-Berater Heinrich, die langfristig angelegte Qualifikation von Mitarbeitern und Führungskräften, um Prozesse nachzuvollziehen, aber auch beeinflussen zu können. Der Wissenserwerb beginnt bei der Bedienerqualifikation von Technik, reicht über die Fachqualifikation für veränderte Arbeitsinhalte und umfaßt auch die innovatorische Qualifikation. Mit ihr können neue Methoden und Lösungen für die Aufgabenbewältigung mitentwickelt werden.

Trainig ist ein beträchtlicher Kostenfaktor und weitaus teurer als Equipment. Für die BMW AG bringt "Qualifizierung" indes nicht horrende Investitionen, sondern fußt auf einem "Beraternetz". In jeder Abteilung oder Projektgruppe gibt es erfahrungsgemäß Mitarbeiter, die bereits eine informelle Beraterfunktion ausüben. "Die Netzknoten sind also da, wir müssen sie nur noch vernetzen", beschrieb Patricia von Papstein, Bildungsplanerin im Münchner Autokonzern, diese Führungsaufgabe.

Bürokommunikation umfaßt das ganze Unternehmen. Diese Offenheit macht die Gestaltung ihres Einsatzes zu einem Dauerprozeß. Daher sind die Voraussetzungen, ihre Anwendungen ständig weiterentwickeln zu können, schon frühzeitig zu schaffen. Im Freiraum des Benutzers wächst nämlich wertvolle Kreativität: "Damit läßt sich Investitionsschutz vorbeugend betreiben", kommentierte Butler-&-Cox-Geschäftsführer Heinrich.

Was Geld kostet, soll auch Geld bringen: Der Wunsch nach dem Return on Investment bei der Büro-Automation verbindet sich bislang zumeist mit naiven Vorstellungen, weiß Arnold Picot. "Es ist weder eine Buchhaltungs- noch eine Glaubensfrage", korrigiert hier der Vorstand des Instituts für Organisation der Universität München "die Wirtschaftlichkeit der Bürokommunikation zu planen und zu kontrollieren. Dazu bedürfe es nur unternehmerisch ausgerichteter Fach- und Führungskräfte. Um den nachhaltigen Effekt von Office Automation zu sichern, gilt es zudem, stärker als bisher direkte sowie indirekte Auswirkungen auf die wettbewerbsstrategische Situation des Unternehmens zu betrachten. Der Nutzen schließlich hängt schlicht davon ab, wie motiviert und qualifiziert der Anwender ist.

Doch der Gewinn läßt sich auch schwarz auf weiß belegen. Electronic Data Management (EDM) spart vor allem in Dienstleistungsbranchen überzähliges Personal ein, senkt die hohe Fluktuationsrate und verringert kostspieliege Datenredundanz. Bereits ab dem zweiten Jahr amortisiert sich EDM, zeigt die Statistik einer Butler-&-Cox-Untersuchung.

Im Idealfall nämlich übernehmen "billigere" Assistenzkräfte auch höherwertige Aufgaben und entlasten die geschlossenen Techniksysteme. Freie Kapazität kann dann wiederum für neue Aufgaben genutzt werden. Das jüngste Konzept dazu stammt von Günter Popp von der Bayerischen Vereinsbank. Seine Erfahrungen dabei belegen bislang: Informatik-Unterstützung bejahen Mitarbeiter zwar, doch nur dann, wenn auch die erforderliche Integration spezialisierter DV-Anwendungen mit den Instrumenten des Computer Integrated Office gegeben ist. "Noch ist das Büro als größter Datenproduzent auch größter Flaschenhals", mußte der Münchner Büroleiter daher stellvertretend für die Referenten des Münchner CSE-Kongresses resümieren.

Informationen: CSE Conferences, Seminars, Education, IDG Communications Verlag AG, Rheinstraße 28, 8000 München 40, Telefon 0 89/3 60 86-1 69