Unix-OLTP - Architekturen und Technologien (Teil 2)

Noch im Aufbau: Der Markt für Online-Transaktionen unter Unix

12.06.1992

Noch ist der Markt für Online-Transaktionsverarbeitung (OLTP) unter Unix überschaubar: Wenige bieten Produkte an, und ein Marktführer konnte sich bisher nicht etablieren. Allein "Tuxedo" von den Unix System Laboratories (USL) weist bisher eine nennenswerte installierte Basis auf. Dies könnte sich schon bald ändern. Im zweiten Teil dieses Beitrags beleuchtet Joachim Hoffmann* die verfügbaren Produkte.

Die derzeit bekanntesten Unix-OLTP-Architekturen sind Tuxedo von USL, Top End von NCR, Encina von Transarc und CICS-Clone-Umgebungen von IBM.

Jede dieser Architekturen bietet spezielle Tools und Funktionsmusters für OLTP-Anwendungen. Die Architekturen unterscheiden sich in zwei Punkten: zum einen in der Verwendung der grundlegenden Technologien, zum anderen in ihrer Konformität zu Standards.

Das Tuxedo-Produkt von Unix System Laboratories

Tuxedo ist die am häufigsten implementierte Unix-TP-Technik. Kommerziell genutzt wird das System bereits mehr als zehn Jahre. Diese Sonderstellung rührt vor allem daher, daß das AT&T-Tochterunternehmen Unix System Laboratories (USL) als Unix-Hersteller am meisten Zeit und Know-how in die Entwicklung eines Transaktionsmonitors investieren konnte. Außerhalb der kommerziellen AT&T-Welt konnte Tuxedo allerdings erst vor kurzem Fuß fassen.

Für Tuxedo sprechen die großen Installationszahlen. Diese rühren von der beachtlichen Unterstützung her, die Tuxedo in der Unix-Welt von OEMs zuteil wird. Unisys, lange Zeit ein führender Anbieter von Mainframe-OLTP-Lösungen, hat mit diesem Wissen eine umfassende Plattform für Unix-OLTP geschaffen. Bislang war Unisys auch eines der wenigen Unternehmen, die mit Unix-OLTP-Lösungen gute Verkaufserfolge erzielten.

Technisch ist Tuxedo ein Produkt, das verteilte Transaktionsverarbeitung auch in PC- und Workstation-Client-Umgebungen sowie System-to-System-Operationen unterstützt. Tuxedo nutzt ein Client-Server-basiertes Transaktionsmodell, bei dem die Speicherorte der Netzwerkressourcen für eine Anwendung transparent sind.

Der derzeit gravierendste Schwachpunkt, ist, daß es keine komplexen Transaktionsumgebungen unterstützt. Auch schwindet derzeit die Unterstützung von seiten der OEM-Partner. Tuxedo bietet zwar umfassende Funktionalität, unterstützt derzeit aber keine Multistep-Transaktionen und implementiert zudem für verschachtelte Transaktionen einen Mechanismus (TP forward), der die Leistungsmöglichkeiten des Systems bei komplexen Datenoperationen einschränkt.

Bei der Verwendung von Single-Image-Query und beim Update-TP fallen diese Nachteile nicht ins Gewicht. Da jedoch die Anwender immer häufiger unter dem Stichwort Online Complex Processing (OLCP) intelligente Applikationen auf ihre Wunschlisten setzen, dürften die genannten Schwächen für Tuxedo künftig ein größeres Handikap darstellen.

1992 wollen sich einige führende OEMs nach einer fortschrittlicheren TP-Technologieplattform umsehen und womöglich auch zu dieser umschwenken. Zu nennen sind hier HP, DEC und Sequent. Dies und die Tatsache, daß im Hause NCR/ AT&T die Entscheidung für Top End gefallen ist, könnte Tuxedos Spitzenstellung bei den OEM ernsthaft gefährden.

Top End von NCR

Top End kam 1990 auf den Markt. Ursprünglich entwickelte NCR für das Produkt System-3000 TP-Anwendungen. Mittlerweile wurde es jedoch geöffnet, um es allgemein für Unix-Plattformen verfügbar zu machen. In technischer Hinsicht kann Top End seine Herkunft aus der Mainframe-Ecke nicht verbergen. Von dort stammen auch die Vorzüge: So kann es durch Unterstützung von MultistepTransaktionen komplexe Vorgänge verwalten. Zudem bietet es robuste Administrations- und Wartungs-Tools. Überdies will NCR für Unikix von Integris die Lizenz erwerben und Top-End-Produkte um CICS-ähnliche Interoperabilitäts- und Portabilitätsmuster ergänzen.

Das NCR-Produkt wird von vielen Datenbankherstellern unterstützt, weil es - ähnlich wie XA+ - eine verteilte TP-Funktionalität implementiert, daneben aber auch die Kommunikationdienste des TP-Monitors verfügbar macht. Diese stünden bei Verwendung der XA + -Methode nicht mehr zur Verfügung. Dabei sind es aber gerade diese Kommunikationsdienste, die den Anbietern relationaler Datenbanksysteme die Anpassung ihrer kommunikationsspezifischen Ressourcen-Manager an spezielle Umgebungen ermöglichen (zum Beispiel SQL-Net, Informix-Net, Ingres-Star).

Der Erfolg von Top End steht und fällt damit, ob NCR ausreichend viele Hersteller für die OLTP-Technologie gewinnen kann.

Frühzeitig haben sich bereits Informix und Oracle für das Produkt entschieden, bislang konnte sich aber noch kein Systemhersteller dazu durchringen. Von daher ist damit zu rechnen, daß der Erfolg von Top End künftig auf NCR-Plattformen beschränkt bleibt.

Encina-Umgebung von Transarc

Encina von Transarc bietet eine äußerst robuste, verteilte TP-Umgebung. Unterstützt wird diese Technologie von den etablierten OLTP-Anbietern IBM, HP und Stratus. Andere Hersteller, darunter Sequent und DEC, prüfen derzeit noch, ob sie sich für diese Technologie entscheiden sollen. Encina macht eine robuste Plattform sowohl für verteilte Transaktionen als auch für die Hochleistungsverarbeitung verfügbar.

Das Produkt ist nahtlos in die Distributed Computing Environment (DCE) der Open Software Foundation integriert und nutzt deren verteilte Dienste. Zusätzlich bietet Encina "TP-notwendige" Leistungsmerkmale, etwa transaktionsspezifische Möglichkeiten des Remote Procedure Calls.

Aus Gründen der Flexibilität unterstützt das Transarc-Produkt beide verteilte TP-Mechanismen der X/Open. Der Transaktionsmonitor ermöglicht - über DCE-Namensdienste und eigene verteilte Tragsaktionsverwaltungs-Merkmale - transparente Transaktionen im Netzwerk.

Über spezielle Tools, durch Zugriff auf DCE und andere Netzwerkdienste wird zudem die Peer-to-Peer-Kommunikation unterstützt.

Darüber hinaus hat Transarc auch das Structured Filesystem (SFS) in das Encina-Paket integriert. Bei SFS handelt es sich um einen datensatzorientierten, transaktionsspezifischen Daten-Manager, der - über Multithreading und hochentwickelte Sperrmechanismen - die für TP-Anwendungen erforderliche hohe Performance und Datenintegrität gewährleistet.

Derzeit entwickeln IBM, HP und Stratus - auf der Grundlage der Encina-Technologie ihre TP-Produkte der nächsten Generation. Von Transarc gibt es zudem bereits ein Toolkit für die RS/6000-Plattform.

Der künftige Markterfolg der Encina-Technik hängt von zwei Faktoren ab: Einmal muß Transarc rechtzeitig technologische Neuerungen verfügbar machen. Daneben ist der Erfolg von Encina daran gekoppelt, wie gut sich DCE künftig in OLTP-Umgebungen in Szene setzen kann.

Varianten des CICS-Monitors

Derzeit bieten zwei Third-Party-Software-Anbieter umfassende CICS-basierte Transaktionsumgebungen für Unix an. Dies sind Integris (eine Division der Groupe Bull) und VI-Systems. NCR will, wie oben erwähnt, - auf dem Wege einer Vereinbarung mit Integris - Top End um CICS-Elemente ergänzen.

Auch die IBM dürfte wohl künftig in ihren RS/6000-Produkten auf Encina-Basis die CICS-API-Portabilität offerieren.

CICS-Clones bieten TP-Kunden den besonderen Vorteil, daß sich eine vorhandene CICS-Anwendung komplett auf eine preisgünstigere Unix-Hardwareplattform migrieren beziehungsweise erweitern läßt. Besonders lukrativ erscheint eine CICS-Clone-Umgebung auch durch die möglichen Kosteneinsparungen infolge des geringeren Programmieraufwands, da hier die aufwendige Anwendungsentwicklung mit Unix-TP-Tools entfällt.

*Joachim Hoffmann ist Marketing-Leiter beim Marktforschungsunternehmen IDC in Kronberg. Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung dem von IDC publizierten "EDP Deutschland Report" vom 24. April 1992 entnommen.