Von Quattro-Rechnern auf RM600-Systeme

Noch eine Runde fuer Comet durch Migration auf Unix

21.05.1993

Die Carl Cloos Schweisstechnik GmbH ist seit rund 20 Jahren DV- Nutzer. Die zunaechst Batch-orientierten und individuellen Anwendersysteme waren Mitte der 80er Jahre aufgrund des rasanten Firmenwachstums den Anforderungen nicht mehr gewachsen. Deshalb entschloss sich Cloos 1987 zum Einsatz der Comet-Software auf einer Quattro-Systemplattform. Bis auf die Anwendung fuer das internationale Zahlungs-Management wurden praktisch alle Comet- Programme fuer den kaufmaennischen und den betrieblichen Bereich implementiert.

Die fertigungsbezogenen Module erfuellen sowohl die Ansprueche des Anlagenbau-Einzelfertigers als auch die des Serienfertigers Cloos. DV-Leiter Werner Stubenrauch: "Ausschlaggebend fuer die Wahl von Comet war fuer uns die hohe Integrationsfaehigkeit dieser Standardsoftware. Sie ist zudem einfach und schnell zu implementieren sowie mit vertretbarem Aufwand in der Anwendung zu handhaben."

Kapazitaetsprobleme als Ausloeser fuer die Migration

Die Hardwarebasis bildeten zwei Quattro-Rechner im Werk Haiger und einer im Werk Herborn, an die insgesamt rund 80 Bildschirme angeschlossen waren. Weitere Systeme der gleichen Rechnerfamilie wurden bei verschiedenen Tochtergesellschaften und Niederlassungen in Betrieb genommen. Werner Stubenrauch begruendet diese Entscheidung so: "Obwohl damals bereits im mittleren Leistungsbereich Unix-Systeme angeboten wurden, entschlossen wir uns zu einer proprietaeren Loesung. Mit Comet vergleichbare Applikationen fuer Unix-Rechner waren vor sechs Jahren weit und breit nicht in Sicht."

Als sich Cloos 1992 zu einem Systemwechsel entschloss, waren dafuer ausschliesslich im Hardwarebereich liegende Gruende verantwortlich. Die wachsende Nachfrage nach zusaetzlichen Bildschirm- Arbeitsplaetzen konnte mit den vorhandenen Rechnern nicht mehr abgedeckt werden. Ein spezieller Bedarf nach mehr DV-Kapazitaet bestand im PPS-Bereich.

Als schliesslich im Tagesschnitt staendig von etwa 30 Bildschirmen aus Online-Transaktionen ausgefuehrt wurden, verschlechterte sich das Antwortzeitverhalten in einem Masse, das die Anwender nicht mehr tolerierten. Das Dialogaufkommen stieg auch wegen des groesseren Anteils der Realtime-Informationen. Viele frueher in Batch ausgefuehrten Transaktionen laufen heute online, um aktuelle Daten besser liefern zu koennen.

Ein weiterer wesentlicher Grund fuer den Rechnerwechsel war die Forderung nach einer einheitlichen und offenen Plattform fuer alle im Unternehmen eingesetzten Systeme. Cloos hatte zum damaligen Zeitpunkt zusaetzlich zur Comet-Loesung noch sieben PC-Netzwerke (teils Ethernet, teils Token Ring) in Betrieb, die weder untereinander noch mit den Quattros Daten austauschen konnten. Sie wurden fuer CAD-Aufgaben, die CNC-Programmierung, die Serviceabwicklung, die Projektbearbeitung sowie die Buerokommunikation (primaer Textverarbeitung) eingesetzt.

Kuenftige Systembasis des Unternehmens sollten Unix-Rechner sein. Da die Comet-Programme weiterhin voll den Anwenderbeduerfnissen entsprachen, entschloss man sich im Westerwald zu einer Migration.

Parallel zur Umstellung der Comet-Module sollte eine neue kommunikationslogistische Infrastruktur mit einem Glasfaser- Backbone als Basis geschaffen werden.

Das neue DV-Nutzungskonzept entstand im ersten Quartal 1992. Geprueft wurde dabei auch ein Angebot fuer die Comet-Migration auf Unix-Systeme eines anderen Herstellers. Ausschlaggebend fuer das Verbleiben beim bisherigen Rechnerlieferanten SNI war der Vorteil, weiterhin eine Loesung aus einer Hand zu haben sowie die umfangreiche Migrationsunterstuetzung. "Mit sechs Leuten haben wir eine verhaeltnismaessig kleine DV-Mannschaft und haetten die Migration allein mit Bordmitteln nicht schaffen koennen", begruendet Werner Stubenrauch.

Mit Cross Basic existierte ein spezielles Werkzeug fuer die Unix- Migration. Der Business-Basic-Sprachumfang wird dabei als Programmier- und Entwicklungsumgebung auf den Zielrechner implementiert und die portierten Anwenderprogramme auf dem Unix- System als Business-Basic-Files abgespeichert. Nach dem Einlagern baut das Zielsystem die Index-Verzeichnisse automatisch neu auf. Anschliessend sind die Dateien in gleicher Form wie auf dem Quellsystem verfuegbar.

Fuer die Unix-Portierung von Anwendersystemen der Quattro- Rechnerfamilie hat SNI Migrationszentren eingerichtet. Deren Spektrum reicht von der Beratung ueber die Planung und Durchfuehrung der Migration bis hin zur Performance-Analyse und Systemoptimierung. Das fuer die Firma Cloos regional zustaendige Migrationszentrum befindet sich in Paderborn.

Parallel zur Migration hat das Schweisstechnik-Unternehmen die Standorte Haiger und Herborn in einer sternfoermigen Struktur neu verkabelt. Die Etagenversorgung erfolgt mit Twisted-Pair- Kupferleitungen. Sie muenden fuer den Anschluss an das Glasfaser- Backbone in dezentral installierte Verteilerschraenke. Die neue Loesung basiert auf einem transparenten Netzwerk. Es wurde als Ethernet unter Einsatz von Novell-Komponenten ausgelegt.

Migration lief nach Fahrplan

Die Carl Cloos Schweisstechnik GmbH begann mit der Umstellung im August 1992. Als erster Schritt wurde die komplette Comet- Anwendung auf Baender kopiert und zum zustaendigen SNI- Migrationszentrum geschickt. Nachdem die Testmigration abgeschlossen war, fuhren DV-Chef Stubenrauch und zwei seiner Mitarbeiter nach Paderborn, um dort auf einem RM600-Rechner erste Tests und Performance-Messungen durchzufuehren. Als Ziel wurde bei Batchlaeufen ein um den Faktor fuenf und bei Dialogtransaktionen (auf Basis einer Multimoment-Aufnahme) ein um den Faktor drei hoeherer Durchsatz erwartet. Erste Geschwindigkeitsmessungen im Batch-Bereich uebertrafen die Versprechungen.

Im November 1992 wurden dann in Haiger zwei RM600-Systeme installiert, eines davon mit vier RISC-Prozessoren. Im Rahmen eines Ressourcen-Sharings sind beide Rechner mit bestimmten Anwendungen belegt. Sie koennen ueber das betriebliche LAN miteinander kommunizieren. Das Werk Herborn ist ueber eine 64-Bit-Leitung mit dem Rechenzentrum in Haiger verbunden. Deshalb konnte Cloos dort auf einen eigenen Rechner verzichten. Die Bildschirm-Arbeitsplaetze sind remote ueber Terminal-Server angeschlossen.

Mit der Comet-Testversion fuer die RM600 wurden auf der Cloos- eigenen Unix-Hardware zunaechst Anwenderschulungen durchgefuehrt. Sie bezogen sich vor allem auf die Spooler-Bedienung. Da die Programme selbst weitgehend unter der bisherigen Benutzeroberflaeche liefen, war hier eine spezielle Einweisung nicht erforderlich. Was die Benutzer sofort als Unterschied registrierten, waren die kuerzeren Antwortzeiten.

Weihnachten 1992 nutzte man die Betriebsferien fuer den Uebergang von der alten zur neuen Systemwelt. Am 18. Dezember wurden Baender mit den Comet-Programmen und dem aktuellen Datenbestand nach Paderborn in das Migrationszentrum transportiert. Am 20. Dezember 1992 nachmittags konnten die migrierten Anwendungen auf den RM600- Rechnern in Haiger implementiert und Abnahmetests unter den Bedingungen des Echtbetriebs durchgefuehrt werden. Wenn es erforderlich gewesen waere, haette bereits am uebernaechsten Tag mit den Programmen weitergearbeitet werden koennen. Die Freigabetests waren problemfrei ueber die Buehne gegangen. Die Zeit bis zum tatsaechlichen Start zu Arbeitsbeginn des laufenden Jahres wurde jedoch dringend benoetigt, um die vorhandene Peripherie an das neue LAN anzuschliessen.

Die Anwendungen laufen in der neuen Umgebung einwandfrei.

Voruebergehende Probleme gab es nur beim Barcode-Druck der Lohnscheine. Dort waren Anpassungen der Druckersteuerung erforderlich.

Performance-Gewinn hoeher als erwartet

Messungen in den ersten Monaten ergaben bei den Batch-Laeufen je nach Anwendung Durchsatzverbesserungen mit einem zwischen 15 und 25 liegenden Faktor. Erstmals konnte auch das Rechnerverhalten im Dialogbetrieb ueberprueft werden. Die Auswertung des Performance- Tests wies eine Verbesserung um den Faktor acht aus.

Derzeit ist Cloos dabei, die PC-Netze aus ihrem jeweiligen Inseldasein herauszuloesen und in das Gesamtsystem zu integrieren. Kuenftig sollen nur noch PCs als Endgeraete angeschafft werden, die dann sowohl fuer die RM600-Anwendungen als auch fuer eigenstaendige Aufgaben eingesetzt werden koennen.

Die Applikationen entsprechen in der neuen Systemumgebung auf absehbare Zeit auch komplexen Anforderungen der Fertigung. Durch den Uebergang wurden auch bisherige Konfigurationslimits beseitigt.

DV-Chef Stubenrauch blickt voraus: "Natuerlich machen wir uns auch Gedanken ueber die DV-Zukunft. So wollen wir in naechster Zeit erste Erfahrungen mit dem Datenbankeinsatz sammeln. Wenn eines Tages die Abloesung der Comet-Anwendungen ansteht, so werden wir sicher eine Datenbankloesung waehlen."

*Ulf Bauernfeind ist freier DV-Fachautor in Leinsweiler

Das Unternehmen

Die Carl Cloos Schweisstechnik GmbH, ein 1919 gegruendetes Familienunternehmen, hat 1992 einen Umsatz von rund 130 Millionen Mark erzielt. Das Produktprogramm umfasst Schweissgeraete und Zubehoer, Schweissanlagen sowie Roboter-Schweisssysteme. Im Bereich des Lichtbogenbahn-Schweissens ist Cloos in Deutschland marktfuehrend. Der starke Anstieg des Exportanteils im letzten Jahrzehnt ist wesentlich auf das Engagement des Unternehmens in der Robotertechnologie zurueckzufuehren.

Cloos ist ein Unternehmensverbund mit zahlreichen Vertriebs- und Produktionsgesellschaften im In- und Ausland. Unmittelbar zur Cloos-Gruppe gehoeren in den letzten Jahren gegruendete Tochterunternehmen in Oesterreich, der Schweiz, den USA, Grossbritannien, Belgien, Spanien und den Niederlanden. Weltweit sind rund tausend Mitarbeiter beschaeftigt, davon mehr als die Haelfte in den Stammwerken Haiger und Herborn. Hier werden Schweissgeraete, Plasmaschneid-Anlagen, Schweisspistolen, Sonder- Schweissvorrichtungen sowie Robotersysteme gefertigt.

Abb: Konfiguration nach der Migration auf Unix bei der Carl Cloos Schweißtechnik GmbH. Quelle: SNI