Nixdorf zwischen MDT und IBM

06.11.1987

Die Nixdorf Computer AG, Darling der schwachbrüstigen bundesdeutschen DV-Industrie, ist auch in der anhaltenden Branchenkrise nicht aus dem Tritt geraten - ihre Dienstleistungen und Lösungspakete sind beim Mittelstand mehr denn je gefragt. Und auch bei Banken und beim Handel finden die Paderborner immer wieder Möglichkeiten, dem amerikanischen Computer-Multi IBM Aufträge abzujagen. Zur Belastung für das Unternehmen könnte jedoch die Abhängigkeit von japanischer und amerikanischer Technologie werden: Nixdorf entwikkelt kaum noch selbst. Den Werdegang des Familienbetriebes von der Kellerwerkstatt bis an die Börse schildert CW-Redakteurin Beate Kneuse in einer mehrteiligen Serie.

Begonnen hatte alles mit einem Gelegenheitsjob. Um nämlich die letzten Semester seines Studiums, Physik und Betriebswirtschaft, finanzieren zu können, nahm der 27jährige Heinz Nixdorf, 1951 eine Stelle als Werkstudent bei der Frankfurter Tochtergesellschaft des US-Büromaschinenherstellers Remington Rand an. Das Studium blieb jedoch unbeendet. Dafür wurde das Essener Handelsregister ein Jahr später um einen Eintrag reicher: Am 30. Juni 1952 gründete Heinz Nixdorf das "Labor für Impulstechnik", ein Ein-Mann-Unternehmen in einer Kellerwerkstatt auf dem Gelände der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE). Für die Buchhaltung dieses Konzerns sollte der Jungunternehmer einen Elektronenrechner bauen. Die Anregung dazu hatte sich Nixdorf bei der Zusammenarbeit mit dem Elektroniker Walter Sprick in der Entwicklungsabteilung von Remington Rand geholt. Das Startkapital von 30 000 Mark lieh ihm die RWE.

Anfang 1954 konnte Heinz Nixdorf der RWE seine erste Rechenmaschine mit Elektronenröhren präsentieren. Es handelte sich dabei um den Elektronensaldierer ES 12 zum Anschluß an elektromagnetische Lochkartenmaschinen. Bereits ein Jahr später beschäftigte der Jungunternehmer sechs Mitarbeiter und entwickelte mit seinem Team den Elektronenmultiplizierer EM 20.

Mit Bull auf Expansionskurs

Dieses Gerät, angeschlossen an eine Tabelliermaschine des französischen Herstellers Compagnie des Machines Bull, erwies sich vor allem für Banken als eine interessante Arbeitserleichterung. An die Produkte der Franzosen war Nixdorf über die Kölner Exacta Büromaschinen GmbH in Köln geraten, die 1952 den Alleinvertrieb der Lochkartenmaschinen von Bull in Deutschland übernommen hatte.

Die elektromechanischen Lochkartengeräte der Franzosen waren für die Nixdorf-Maschinen geradezu ideal, und nach Verhandlungen mit Bull und dem Exacta-Geschäftsführer Hans Bringer hatten die Kölner den Elektronensaldierer von Nixdorf in ihr Vertriebsprogramm aufgenommen. Schon bald darauf unterstützte der Westfale nicht nur den inzwischen in Exacta Continental Büromaschinenwerk umbenannten Vertriebspartner beim Bau des elektronischen Buchungsautomaten Multitronic 6000, sondern entwickelte darüber hinaus auch für Bull einen Elektronenmultiplizierer mit der Bezeichnung Gamma 10. Dieser Rechner verwendete statt Röhren erstmals Transistoren und bescherte den Franzosen nicht wenig Erfolg. Heinz Nixdorf wiederum konnte sein Unternehmen weiter ausbauen: 1957 verzeichnete er schon einen Umsatz von 900 000 Mark und beschäftigte 27 Mitarbeiter.

1958 schließlich beschloß der Jungunternehmer, den Firmensitz seines Labors für Impulstechnik, das inzwischen 40 Mitarbeiter zählte, von Essen in seine Heimatstadt Paderborn zu verlegen. Auch in den folgenden Jahren konnte Nixdorfs Labor mit Hilfe seiner beiden einzigen Großkunden Exacta und Bull stetig wachsen. Doch gerade diese beiden Unternehmen brachten Heinz Nixdorf Anfang der sechziger Jahre in arge Bedrängnis. Denn 1963 geriet die französische Compagnie des Machines Bull in große finanzielle Schwierigkeiten und stand am Rande des Bankrotts. Nur der Einstieg der amerikanischen General Electric konnte die Franzosen 1964 retten. Als Kunde für Nixdorf gingen sie dadurch jedoch verloren und entzogen dem Labor für Impulstechnik noch dazu fast die gesamte Vertriebsbasis. Das Geschäft mit Bull hatte zu jener Zeit immerhin 90 Prozent ausgemacht.

Die Kölner Exacta hingegen war zwischenzeitlich von der Münchener Wanderer Werke AG übernommen und in Wanderer Büromaschinen GmbH umbenannt worden. Der neue Geschäftsführer geriet mit der Auftragserteilung an die Paderborner jedoch schnell in Verzug und rief immer weniger Maschinen ab. Dagegen konnten die Paderborner nichts unternehmen, da es Heinz Nixdorf bei Festlegung der Lieferverträge versäumt hatte, konkrete Mindestabnahmemengen zu vereinbaren. Auch finanziell ging es dem Kölner Kunden immer schlechter. Zwar schaffte es das Labor für Impulstechnik 1962 erstmals einen elektronischen Tischrechner zu entwickeln, der die Ergebnisse auch ausdrucken konnte - eine Weltneuheit, die Wanderer unter dem Namen Conti Ende 1964 auf den Markt brachte und dem Kölner Unternehmen noch einmal einen kurzfristigen Umsatzanstieg bescherte. Doch immer mehr mußte Wanderer dem sich verändernden Markt Tribut zollen. Wegen des verstärkten Einzugs der Großrechner in die Unternehmen begann die Ära der Lochkartenmaschinen wie auch der elektronischen Buchungs- und Abrechnungsmaschinen von Nixdorf sich ihrem Ende zuzuneigen.

Auch der Mittelstand will Daten verarbeiten

Dies alles bedeutete für Heinz Nixdorf, nicht nur neue Kunden gewinnen, sondern vor allem ein neues zugkräftiges Produkt entwickeln zu müssen. Tatsächlich schaffte es das Paderborner Team, wiederum eine Weltneuheit zu bauen. Dabei handelte es sich um einen im Baukastenprinzip konzipierten Universalrechner, der erstmals auf Halbleitern basierte. Mit diesem kompakten System aber stellte Heinz Nixdorf auch endgültig die Weichen für seine künftige Produktstrategie: nicht der zentralisierten Datenverarbeitung den Vorzug zu geben, sondern die Rechnerkapazitäten direkt am Arbeitsplatz im Büro zur Verfügung zu stellen. Ins Visier nahm der Unternehmer dabei vor allem Klein- und Mittelbetriebe, die, so die Rechnung von Heinz Nixdorf, auch irgendwann Daten verarbeiten wollen. Bei den Großunternehmen hingegen sah er die Tendenz voraus, mit kleinen Rechnern die Organisation zu dezentralisieren.

Auf der Hannover-Messe 1965 präsentierte Heinz Nixdorf auf dem Wanderer-Stand seine ersten vier mikroprogrammgesteuerten Universalrechner, die "Nixdorf 820", die Wanderer unter der Bezeichnung "Logatronic" in sein Vertriebsprogramm aufnahm. Wesentlich entscheidender für Nixdorf war jedoch, daß die Firma Ruf gleich 2000 Stück dieser kompakten Kleinrechner orderte (Auftragswert rund 40 Millionen Mark); und auch Kienzle konnte als neuer Kunde gewonnen werden. Mit diesem neuen Produkt gelang es Heinz Nixdorf nicht nur, die erste Talsohle seines Unternehmens zu überwinden. Immerhin wies das Labor für Impulstechnik für das Jahr 1966 einen Umsatz von 28 Millionen Mark aus, einen stolzen Betrag, der sich 1967 gar auf 48,4 Millionen Mark steigerte. Vor allem aber sicherte sich der Westfale mit der 820 einen technischen Vorsprung sowie einen Kostenvorteil gegenüber anderen Wettbewerbern im Bereich der Bürocomputer, nachdem der Rechner 1967 zu einem Magnetkonten-Computer weiterentwickelt worden war. Bei dieser Technik handelte es sich um eine klassische Kontokarte, die Buchungsinformationen gedruckt zeigte und in einem auf der Rückseite angebrachten Magnetstreifen computerlesbar bereithielt.

Nixdorf kauft sich aus der Anonymität

Das Jahr 1968 wurde zu einem Meilenstein für Heinz Nixdorf und sein Unternehmen. Nicht nur, daß die Paderborner über die 100-Millionen-Mark-Umsatzgrenze sprangen und mit seit 1967 etwa 4000 installierten 820-Rechnern im Inland in der Systemklasse zwischen 25 000 und 100 000 Mark einen Marktanteil von 60 Prozent erobern konnten. Das Labor für Impulstechnik, mittlerweile immerhin 16 Jahre alt, erhielt einen neuen Namen. Heinz Nixdorf selbst kaufte im April 1968 alle Aktien der Wanderer Werke AG Büromaschinenwerk in Köln auf, die trotz finanzieller Sanierungsmaßnahmen immer mehr Verluste gemacht und schließlich kaum mehr eine Überlebenschance hatte. Das Kapital der übernommenen Kölner Aktiengesellschaft wurde auf 30 Millionen Mark aufgesteckt, und die neue Gesellschaft erhielt den Namen "Nixdorf Computer AG".

Die gesamte Transaktion fand schließlich 1969 ihren Abschluß darin, daß Heinz Nixdorf sein Labor für Impulstechnik an die neue Gesellschaft verkaufte. Danach präsentierte sich als Vorstand der Nixdorf Computer AG: Heinz Nixdorf als Vorstandvorsitzender und Produktionschef, Helmut Rausch, zuständig für Unternehmensverbindungen, Kooperation sowie Aus- und Weiterbildung, Klaus Luft als Vertriebschef für den Inlandsvertrieb sowie Österreich und Ewald Keysers als Finanzchef. Ende 1969 erweiterte sich der Vorstand um Wilhelm Peter Ehrlich, der für das Auslandsgeschäft verantwortlich zeichnete. In jenem Jahr schaffte die Nixdorf Computer AG einen Umsatzsprung von 69,8 Prozent auf 178,7 Millionen Mark. An Mitarbeitern zählte das Unternehmen weltweit inzwischen 3232 bei 24 Geschäftsstellen und 22 Generalvertretungen im Inland sowie acht ausländischen Töchtern und Generalvertretungen in 13 Ländern.

Dieser Schachzug hob Heinz Nixdorf nicht nur aus der Anonymität des Zulieferanten. Vielmehr verschaffte ihm die Übernahme von Wanderer neben einem leistungsfähigen Entwicklungs- und Produktionsbetrieb auch einen eigenen umfangreichen Vertriebsapparat, der 41 Vertragshändler in Form von Büroorganisationsgesellschaften in Deutschland und etwa zehn ausländische Generalvertretungen umfaßte. Gerade die Vertriebsaktivitäten des Paderborner Unternehmens waren bis zu diesem Zeitpunkt mehr als bescheiden gewesen, obwohl sich Nixdorf schon vor dem Erwerb der Kölner Wanderer-Werke bemüht hatte, einen eigenen Vertrieb aufzubauen. Dazu hatte Nixdorf die Vertriebsprofis Helmut Rausch (1966 von Bull) und Klaus Luft (1967 von Kienzle) geholt. Luft ging gleich 1968 verstärkt daran, das gewonnene Wanderer-Vertriebsnetz umzustrukturieren und auszubauen. Ab Ende 19 69 kümmerte sich dann der neu zu Nixdorf gekommene Wilhelm Peter Ehrlich intensiv um den Vertrieb im Ausland.

Die Bemühungen der beiden Vertriebsexperten blieben nicht ohne Erfolg: Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die Nixdorf Computer AG von einem reinen Entwicklungs- und Produktionsunternehmen zu einer überwiegend vertriebsorientierten Gesellschaft. Schon 1970 arbeiteten von weltweit 4464 Mitarbeitern allein 2629, rund 42 Prozent des gesamten Personalbestandes, im Vertriebs- und Dienstleistungsbereich; 1876 arbeiteten in der Fertigung. Drei Jahre zuvor waren noch 90 Prozent des Personals in der Fertigung tätig gewesen, während gerade 45 Mitarbeiter Vertriebsaufgaben erfüllt hatten.

Dieser Trend - wachsende Mitarbeiterzahl im Vertrieb und stagnierender Personalbestand in der Fertigung - setzte sich in den folgenden Jahren weiter fort. Konsequent bauten die Paderborner das inländische wie auch das ausländische Vertriebsnetz aus. Neben der ständig wachsenden Zahl von Geschäftsstellen beziehungsweise Dienstleistungszentren in der Bundesrepublik Deutschland und von ausländischen Tochtergesellschaften sowie Werksvertretungen in immer mehr Ländern stieg die weltweite Zahl der Mitarbeiter und die des Vertriebspersonals kontinuierlich. So verfügte Nixdorf 1973 über 80 Geschäftsstellen, Werksvertretungen und Service-Stützpunkte im Inland und 17 Tochtergesellschaften im Ausland zuzüglich sechs Werksvertretungen in sechs Ländern. Das Auslandsgeschäft machte 1973 vom Gesamtumsatz in Höhe von 497 Millionen Mark mit 272,8 Millionen Mark rund 50 Prozent aus. Vor allem die Verkaufserfolge in den Ländern England, Frankreich, Spanien, Italien und Schweden trugen zu diesem Ergebnis bei. Selbst nach Amerika und nach Japan hatten die westfälischen Computerbauer den Sprung geschafft.

Noch 1968 war das amerikanische Familienunternehmen Victor Comptometer Corporation, Chicago, für den Vertrieb des Tischrechners Conti, 1969 schließlich für die Vermarktung der 820 gewonnen worden. Doch die "dezentralen" Nixdorf-Produkte kamen bei den zentralistisch eingestellten amerikanischen Unternehmen nicht an. 1972 schließlich warf der amerikanische Vertriebspartner von Nixdorf das Handtuch: Die Computerdivision von Victor sollte verkauft werden. Im November des gleichen Jahres erwarb Heinz Nixdorf alle Computer-Aktivitäten von Victor und gründete in Chicago die Nixdorf Computer Inc. Der Kaufpreis wurde mit zehn Millionen Dollar angegeben. Schon wenige Monate später erhielt "Nixdorf-USA" von der Commercial Credit Corporation einen Großauftrag über die Lieferung von 1000 Anlagen. Davon erhofften sich die Paderborner die Sanierung des bis dahin verlustträchtigen US-Geschäftes.

Langfristiges Abkommen mit Kanematsu-Gosho

Selbst die Japaner waren inzwischen auf die Computerbauer aus Westfalen aufmerksam geworden: Im März 1971 hatte die Nixdorf Computer AG ein langfristiges Lieferabkommen mit einem der größten japanischen Handelshäuser, der Kanematsu-Gosho Limited, an Land ziehen können. Im ersten Abschnitt sollten 5000 Computer in das "Land der aufgehenden Sonne' geliefert werden. Schon wenige Monate später begann die Werksvertretung Kanematsu-Nixdorf Computer Ltd. in Tokio mit dem Aufbau einer japanischen Service-Organisation. 1973 verfügte Nixdorf in Japan über acht Geschäftsstellen, die rund 19,7 Millionen Mark zum Gesamtumsatz beisteuerten.

Diese Phase der Expansion war in erster Linie auf die Absatzerfolge des Nixdorf-Rechners 820 zurückzuführen. Seit Heinz Nixdorf das System 1967 als Universalrechner auf den Markt gebracht hatte, war die Maschine konsequent weiterentwickelt und schließlich bis 1973 eine ganze Rechner-Familie 800 geworden. Dazu zählten neben dem Basisgerät 820/15 und zahlreichen 820-Terminalsystemen vor allem der Verkaufsschlager 820/35, der Magnetkonten-Computer, für den die Nixdorfer Vertriebsmannschaft auch immer neue Absatzgebiete erschloß, so unter anderem das Bankgeschäft. An geschlossen an die Rechnerfamilie 1401 des amerikanischen Computerriesen IBM ließ sich die 820 als Bankenterminal einsetzen. Großaufträge der Skandinaviska Enskilda AB, Stockholm, 1971 und ein Jahr später von der Pariser Großbank Société Générale waren die Folge.

Darüber hinaus hatten sich die Paderborner auch recht früh mit der Magnetplattentechnik befaßt und 1971 die Magnetplattensysteme 880/55 und 880/65 auf den Markt gebracht. Komplettiert wurde die 800-Familie durch das Datenerfassungs- und Terminalsystem 840 sowie die Datenübertragungs-Steuereinheiten 820/50-54 und die Datenstation 820/55. Ferner boten die Paderborner eine umfassende Peripherie für ihre Paradeserie an. Ohne großen Erfolg lief hingegen die Rechneranlage 900 im Produktprogramm mit.

Bereits 1968 als Nachfolgemodell der 820 entwickelt, konnte sich Heinz Nixdorf lange Zeit nicht entschließen, das System zu produzieren. Zu groß und zu früh erschien ihm der Schritt zwischen dem bewährten System und der Anlage der "mittleren Datenverarbeitung". 1971 schließlich brachte der Produktionschef die Rechnerserie 900 doch auf den Markt - sie konnte jedoch nie an die Verkaufserfolge der 820 anknüpfen. Wesentlich besser lief da schon die Systemfamilie 700, bestehend aus dem numerischen Datenerfassungssystem 705, dem autonomen Kassen-System 710 und dem intelligenten Terminal-System 720. Gerade mit den Kassensystemen, die bereits mit hochmoderner MOS/LSI-Technik arbeiteten und 1973 in Serienproduktion gingen, konnte Heinz Nixdorf einen weiteren Markt erschließen: den Handel. Neben den mittelständischen Unternehmen und dem Bankensektor wurde dieser Bereich schnell zu einem Hausmarkt der Paderborner.

Darüber hinaus schafften die Westfalen nur kurze Zeit später den Sprung zu "einem der fahrenden Anbieter von Datensammelsystemen in der Bundesrepublik Deutschland". Einziger Wermutstropfen dabei für Heinz Nixdorf: Bei dem erfolgreichen Datensammelsystem 620 handelte es sich nicht um ein Erzeugnis seiner Computerschmiede. Vielmehr hatte der Westfale erstmals in der Geschichte seines Unternehmens ein Produkt "eingekauft". 1972 war Heinz Nixdorf, auf der Suche nach neuen Produkten, in Kontakt mit dem amerikanischen Computerhersteller Entrex Corporation getreten, der gerade ein neuartiges Datensammelsystem entwickelt hatte. Die Paderborner schlossen mit den Amerikanern einen Liefervertrag ab und brachten das System unter der Bezeichnung 620 ein Jahr später auf den Markt. Im Inland wie auch im europäischen Ausland hatte die 620 schnell den Markt erobert. Darüber hinaus eröffnete es den Nixdorfern eine neue Dimension bei der Erweiterung der eigenen Software-Palette. Gerade im Software-Bereich hatte sich in der Zwischenzeit bei den Paderbornern viel getan. Wenn, so die Rechnung von Heinz Nixdorf, schon seine Rechner einfach und handlich konzipiert seien, so müsse dies auch für die Programme gelten. Früh entschied er sich deshalb für die Entwicklung von modularer Standardsoftware, die ohne zusätzlichen Programmieraufwand die Lösung von kommerziellen Organisationsproblemen ermöglichen sollte. Bestes Beispiel dafür war das Programm Firm (Führungsdaten durch integriertes Rechnungswesen mit Modularprogrammen), das die Paderborner 1972 auf den Markt brachten. Dabei handelte es sich um ein komplettes Programmpaket auf Basis des Systems 820/15, das von der Materialwirtschaft über die Lohn- sowie Gehaltsbuchhaltung, Fakturierung und Finanzbuchhaltung bis hin zu statistischen Auswertungen für die Unternehmensführung alle Abrechnungs- und Buchhaltungsarbeiten eines mittleren Betriebes umfaßte. Mit dieser Philosophie, den Unternehmen schlüsselfertige Hard- und Software-Komplettsysteme an die Hand zu geben, beschnitt Nixdorf nicht nur völlig neue Wege, die sich gerade für Klein- und Mittelbetriebe bei der Umstellung auf EDV schnell bewährten. Sie wurde auch das Markenzeichen der Firma Nixdorf.

Die zum Teil explosionsartigen Umsatzanstiege der frühen siebziger Jahre konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß bei den Paderbornern längst nicht alles zum besten bestellt war. Allein der Umstand, daß das Nixdorfer Entwicklungsteam erstmals ein Produkt nicht selbst entwickelt hatte, deutete darauf hin, daß sich das Unternehmen nicht gerade in seiner innovativsten Phase befand. Zu lange schien man sich auf dem Erfolg der 820 ausgeruht zu haben. Doch diese Rechner konnten trotz permanenter Weiterentwicklung den ständig wachsenden neuen technischen Ansprüchen der Anwender nicht mehr genügen. Ein entsprechend angepaßtes Nachfolgeprodukt jedoch war nicht in Sicht.

Darüber hinaus verschlechterte sich zusehends die wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland wie auch weltweit. Nixdorf wurde davon erstmals 1973

nachdrücklich in Mitleidenschaft gezogen: Vor allem durch Verluste infolge Währungsparitäts-Änderungen mußten die Paderborner beim Jahresergebnis einige Einbußen hinnehmen. Hatte der Gewinn ein Jahr zuvor noch bei 22,7 Millionen Mark gelegen, so wies man 1973 nur noch 18,7 Millionen Mark aus. Außerdem bereiteten inflationäre Steigerungsraten im Kosten- und Preissektor dem Unternehmen arges Kopfzerbrechen. Die Investitionsbereitschaft von Industrie und Wirtschaft sank deutlich. Davon betroffen war auch die DV-Industrie. Immer weniger Computer wurden gekauft. Noch dazu herrschten auf dem Markt der mittleren Datentechnik längst Überkapazitäten, da inzwischen auch andere Hersteller, wie Olivetti, Philips, Kienzle oder Triumph-Adler, an dem anhaltenden Aufschwung der Bürocomputer partizipieren wollten. Selbst die IBM mischte ab 1975 in diesem Sektor mit, indem sie das System /32 auf den Markt brachte.

Schlimme Situation in den Jahren 1974 und 1975

Schlimm wurde die Situation für den Computerhersteller jedoch 1974 und 1975. Heinz Nixdorf selbst beschrieb 1986 in der "Welt" die damalige Lage folgendermaßen: "1974 trafen uns die weltweit spürbaren Folgen der Ölkrise, in Deutschland verstärkt durch eine Phase hoher Lohnsteigerungen seit dem Antritt der Regierung Brandt. Das Unglück braute sich aus drei Zutaten zusammen: erstens Lohnsteigerungen in mehreren Jahren um die zehn Prozent, in der Spitze bis zu zwölf Prozent, zweitens Verdoppelung des Zinssatzes und Drittens Aufwertung der Mark. Das mußte ein junges, in der Expansion befindliches Unternehmen empfindlich treffen. In dieser schlimmen Situation mußte ich jeden achten Mitarbeiter entlassen." In der Tat: 1974 verringerte sich der Personalbestand bei Nixdorf von 8506 auf 7954 Mitarbeiter. Ein Jahr später beschäftigte das Unternehmen weltweit nur noch 7238 Mitarbeiter.

Mit Großkredit über die Durststrecke

Doch als hätte Heinz Nixdorf schwere Zeiten vorausgesehen, hatte er seinem Unternehmen schon Anfang der siebziger Jahre ein neues, zusätzliches Standbein geschaffen: das Mietgeschäft. Im Juli 1970 war die Gründung der Gesellschaft "Nixdorf Computer Miete KG" in Paderborn bekanntgegeben worden. An diesem neuen Unternehmen war Nixdorf zu 55 Prozent und die Westdeutsche Landesbank in Düsseldorf zu 45 Prozent beteiligt. Die eigenständige Miete KG sollte nicht nur dem Trend der stetig wachsenden Vermietung von Computern Rechnung tragen, sondern darüber hinaus die stark expandierende Nixdorf Computer AG zusätzlich absichern. Auch erhofften sich die Paderborner von diesem Schritt, einem noch breiteren Kundenkreis die Nutzung der Datenverarbeitung zu ermöglichen, also neue Kunden speziell aus der mittelständischen Wirtschaft zu gewinnen.

Es war jedoch weniger die Mietgesellschaft, die den Paderborner Computerbauern half, die Krisenjahre 1973 bis 1975 einigermaßen unbeschadet zu überstehen; auch wenn sie zu jener Zeit überwiegend von dem Mietgeschäft lebten und durch die hohen Abschreibungen auf die vermieteten Anlagen in Verbindung mit den dabei stark reduzierten Einnahmen wesentliche Steuerentlastungen anfielen. Vielmehr hatte die Westdeutsche Landesbank in Düsseldorf dem Unternehmen zur Gründung der neuen Gesellschaft einen Kredit von 300 Millionen Dollar gewährt, der nicht in der Bilanz ausgewiesen werden mußte. Dieser Kredit ermöglichte den Paderborner einen breiten finanziellen Spielraum, so daß sie zumindest von Geldsorgen weitgehend verschont blieben.

In jenen Jahren schienen die Paderborner Computerbauer wirklich nicht vom Glück verfolgt und schrieben ein dunkles Kapitel nach dem anderen. Denn Heinz Nixdorf scheiterte auch noch mit seinen innerdeutschen Kooperationsversuchen.

Das Debakel der Inlandskooperationen

Der Unternehmer hatte schon Anfang der siebziger Jahre erkannt, daß man den übermächtigen Amerikanern nur eine gefestigte deutsche "Computer-Union", eine gut funktionierende Vereinigung mehrerer Computer-Hersteller, entgegensetzen konnte. So stieg die Nixdorf Computer AG im April 1970 mit 20 Prozent in den Kreis der "Datel", der "Deutschen Daten-Gesellschaft für Datenfernverarbeitung mbH", ein. Gegründet hatten diese Vereinigung AEG-Telefunken, Siemens und die Deutsche Bundespost mit dein Ziel, der Datenfernverarbeitung auf breiter Basis zum Durchbruch im Anwendungsbereich zu verhelfen.

Von der inländischen Branche wurde die Datel mit vielen Vorschußlorbeeren bedacht. Denn die Zusammenarbeit von AEG, Siemens und Nixdorf, so die einhellige Meinung der Experten, könnte darüber hinaus endlich zur Entwicklung eines deutschen linearkompatiblen Rechnersystems, also einer durchgängigen Palette vom Kleincomputer bis zur Großanlage mit entsprechender Software, führen.

Auf einen Blick

1952 Heinz Nixdorf gründet in Essen das Labor für Impulstechnik

1954 Heinz Nixdorf liefert der RWE seine erste Rechenmaschine mit Elektronenröhren, den Elektronensaldierer ES 12

1953 Die Kunden Exacta Büromaschinen GmbH und Compagnie des Maschines Bull werden gewonnen.

1958 Das Labor für Impulstechnik zieht nach Paderborn UM.

1962 Das Labor für Impulstechnik entwickelt mit dem Conti den ersten elektronischen Tischrechner, der die Ergebnisse auch ausdrucken kann.

1965 Auf der Hannover-Messe präsentiert Heinz Nixdorf erstmals den Universalrechner 820, ein im Baukastenprinzip kompaktes System auf Basis von Halbleitern.

1968 Heinz Nixdorf übernimmt die Wanderer-Werke und gründet die Nixdorf Computer AG.

1970 Heinz Nixdorf gründet die Nixdorf Computer Miete KG.

1970 Die Nixdorf Computer AG beteiligt sich mit 20 Prozent an der Deutschen Daten- Gesellschaft für Datenfernverarbeitung "Datel".

1972 Mit AEG-Telefunken ruft Nixdorf die Telefunken Computer GmbH in Konstanz ins Leben.

1972 Nixdorf übernimmt die Computerdivision des US-Unternehmens Victor Comptometer Corporation in Chicago und gründet die Nixdorf Computer Inc.

1973 Nixdorf steigt aus der Datel aus.

1973 Unter der Bezeichnung 620 bringt Nixdorf ein von dem US-Hersteller Entrex Corporation entwickelte Datensammelsystem auf den deutschen Markt. Zum ersten Mal hatte das Paderborner Unternehmen ein Produkt eingekauft.

1974 Nixdorf steigt aus der Telefunken Computer GmbH aus.

1975 Neue Rechnerserie von Nixdorf Als erstes Modell kommt der Plattenrechner 8870 auf den deutschen Markt.