Nach der 8818-Förderung nochmals Mittel für ein neues PBX-System:

Nixdorf entwickelt ISDN-Anlage mit BMFT-Geld

16.08.1985

BONN - Kunden, die eine ISDN-Nebenstellenanlage von Nixdorf ordern wollen, müssen sich mindestens bis zum 1. März 1987 gedulden: Bis Ende Februar läuft nämlich ein entsprechendes Entwicklungsvorhaben der Paderborner, dessen Kosten insgesamt bei rund 16,85 Millionen Mark liegen. Die Hälfte dieser Summe kommt aus dem Fördergeldtopf des Bonner Forschungsministeriums.

Das Projekt wurde bereits - so die zuständigen Beamten im BMFT - am 1. November letzten Jahres bewilligt, also kurz nach der Verabschiedung der ISDN-Standards auf der CCITT-Vollversammlung im Oktober vergangenen Jahres. Der Nixdorf-Antrag sei vor allem deswegen positiv beschieden worden, weil die "Vermarktung von ISDN-Anwendungsmöglichkeiten" im Mittelpunkt des Vorhabens gestanden habe.

Die Höhe der Kosten wie auch die Kurzbeschreibung des Projekts - Ziele sind unter anderem die Entwicklung des digitalen Teilnehmeranschlusses von ISDN-Schnittstellen Schnittstellenadaptern sowie ISDN-Endgeräten - legen allerdings den Schluß nahe, daß es sich tatsächlich um ein ganz neues System handelt.

Der Förderantrag und vor allem die Bewilligung der Gelder erscheinen um so erstaunlicher, als Nixdorf in großformatigen Anzeigen immer wieder damit geworben hatte, der erste Anbieter eines digitalen Vermittlungssystems auf dem deutschen Markt zu sein und mit dem Slogan "ISDN - In Sachen Digitalisierung Nixdorf" den Anschein erweckte, die 8818 sei auch ISDN-fähig. Auch auf Kongressen betonten die Mannen von der Pader immer wieder, selbstverständlich sei ihre Anlage auch in absehbarer Zeit ISDN-kompatibel.

In der Tat hatten die Paderborner mit ihrem System die Nase vorn bei der Einführung digitaler Nebenstellenanlagen in der Bundesrepublik - und das wiederum mit Hilfe einer 50-Prozent-Zuwendung in Höhe von 3,798 Millionen Mark aus dem Forschungsetat des BMFT, in der Zeit von 1979 bis 1982. Die Entwicklung eines digitalen Systems paßte im Jahr 1979 gut in die Landschaft, nachdem die etablierten Amtsbaufirmen eingestehen mußten, daß sie zu lange auf die Analogtechnik gesetzt hatten. Bestes Beispiel war hier der Canossa-Gang nach Bonn, zu dem sich die Siemensianer nach ihrer EWS-Pleite in der öffentlichen Technik genötigt sahen.

Das Projekt des Nachrichtentechnik-Newcomers Nixdorf kam da wie gerufen, und die Bonner öffneten bereitwillig ihren Forschungssäckel, ungeachtet dessen, daß die Paderborner nicht ein neues System entwickeln wollten, sondern auf dem System eines kleinen US-Herstellers aufsetzten. Die dort verwendete "Pulse-Wide-Modulation" -Technik

wurde allerdings zugunsten der "Pulse-Code-Modulation"-Technik aufgegeben. Darüber hinaus bestand das Problem, daß mit Ausnahme der sich abzeichnenden ISDN-Struktur B + B + D keinerlei international gültige Standards des CCITT festgeschrieben waren. Hier einigten sich Nixdorf und die Bundespost auf vorläufige Richtlinien in puncto Protokolle und Signalisierung.

Im Zuge der allgemeinen ISDN-Euphorie waren die Paderborner seit Anfang dieses Jahres zunehmend erfolgreicher mit ihrem System 8818 nicht zuletzt deswegen, weil es außer ihnen nur noch einen weiteren Anbieter digitaler PBX gibt: die ebenfalls vom BMFT geförderte Berliner DeTeWe. Darüber hinaus - so der Mitbewerb - geht Nixdorf mit Preisnachlässen von bis zu 60 Prozent die Pfründe der Etablierten aggressiv an und "kauft sich so Marktanteile".

Bei dem erfolgreichen Produkt mochten die BMFT-Ministerialen nicht hintanstehen, ihren Teil an dem Vorhaben herauszustreichen, zumal seit Monaten ein Trend im Forschungsministerium zu beobachten ist, die Öffentlichkeit über positiv verlaufene Fördervorhaben intensiver zu unterrichten. In einer dreiseitigen Pressemitteilung stellten die Bonner die "Entwicklung eines elektronischen Sprach- und Datenvermittlungssystems" vor und lobten es in den höchsten Tönen. Die Förderung habe, so der Pressetext, folgende Ergebnisse gezeigt:

"- Bestärkung und Beschleunigung der Entwicklung digitaler Nebenstellenanlagen in der Bundesrepublik Deutschland.

- Erweiterung des Anbieterspektrums um einen DV-Hersteller, der sowohl in der technischen Konzeption als auch bei der Umsetzung in kundenspezifische Lösungen einen integrierten Ansatz bieten kann.

- Zeitlich beschleunigte Bereitstellung von ISDN-Komponenten, die schon heute im Vorfeld der ISDN-Einführung im öffentlichen Netz zu ersten Anwendungserfahrungen mit neuen Diensten und Leistungsmerkmalen führen."

Allerdings enthält die BMFT-Mitteilung einige kleine Schönheitsfehler. So heißt es beispielsweise, die Nixdorf-Anlage habe im Mai 1981 die Einzelzulassung, des Fernmeldetechnischen Zentralamts erhalten, im November des gleichen Jahres die Typenzulassung und der Vertrieb habe im April 1982 begonnen. In einer COMPUTERWOCHE-Marktübersicht über digitale Nebenstellenanlagen vom März dieses Jahres gab Nixdorf selber das für Kunden einzig relevante Datum der allgemeinen Zulassung mit Dezember 1982 an.

Schwerwiegender dürfte die Diskrepanz zwischen den BMFT-Angaben und den Marktdaten der Nixdorf-Konkurrenz bei der Zahl der installierten Systeme sein: Die Ministerialen geben für den April dieses Jahres "einen Bestand von zirka 600 installierten Systemen mit über 70 000 Nebenstellen" an, wobei sie sich nach eigenem Bekunden auf die Angaben der Paderborner verließen. Die Statistiken der Mitbewerber verzeichnen in weitestgehender Übereinstimmung für den gleichen Zeitpunkt rund 475 Anlagen und etwa 57000 Nebenstellen.

Von größerer Wichtigkeit als diese Unterschiede dürfte allerdings nach Meinung von Marktbeobachtern für heutige Nixdorf-Kunden sein, wie sich das seit November letzten Jahres laufende ISDN-Entwicklungsvorhaben mit dem System 8818 verträgt.