MÜNCHEN/PADERBORN - Nicht gerade vom Glück verfolgt scheint die Nixdorf Computer AG, Paderborn, jetzt auch mit ihrem im Februar dieses Jahres für den Vertrieb freigegebenen fehlertoleranten Informations-Systems 8832 zu sein: Der Kooperationspartner der Paderborner in den USA, die Auragen System Corp., Fort Lee, bat in einem dringenden Hilferuf ihre bisherigen Financiers um weitere Gelder und die Zustimmung für ein Sanierungskonzept, andernfalls sei man "mit größter Wahrscheinlichkeit" gezwungen, unmittelbar nach der nächsten Versammlung der Anteilseigner sämtliche Aktivitäten einzustellen. Dazu die Paderborner: "Nixdorf ist inzwischen völlig unabhängig vom Know-how des amerikanischen Kooperationspartners" (siehe Kasten, Seite 2).
In dem Schreiben vom 14. August 1984 an die Stockholder, das von dem derzeitigen Auragen-Chairman Rick Martin unterschrieben ist, heißt unter anderem, die Möglichkeit, neue Investitionsgelder am Markt locker zu machen, sei erheblich eingeschränkt. Zur Begründung wird einerseits die verschlechterte Lage für High-Tech-Unternehmen bei der Nachfolgefinanzierung angeführt, zum anderen aber auch ein Auragenspezifischer Grund: Nachdem die Corp. ihre Zieldaten für die Fertigstellung der Produktentwicklung - eben jenes fehlertoleranten Systems, das Nixdorf hierzulande als 8832 vermarkten will - "verfehlt habe", sei auch die Kreditwürdigkeit des Unternehmens verschlechtert.
Noch im Vorfeld der Hannover-Messe hatte Nixdorf vor der Fachpresse bekanntgegeben, daß das System 8832 ab sofort, also ab Februar, vertriebsreif sei. Die ersten Auslieferungen wurden für das dritte Quartal 1984 angekündigt. Das fehlertolerante System, eine Gemeinschaftsentwicklung zwischen Fort Lee und Paderborn, sollte von Nixdorf exklusiv in Europa vertrieben werden, in Kanada, Japan und den USA dagegen würde man konkurrierend gegeneinander antreten. Außerdem wollte Nixdorf das System in Lizenz in Paderborn fertigen.
Was den amerikanischen und japanischen Markt angeht, wird Nixdorf wohl bei der Vermarktung des Systems konkurrenzlos sein, auf Anfrage teilte Auragen jedenfalls der COMPUTERWORLD mit, daß man sich künftig nur noch auf den OEM-Markt konzentriere und sich ganz aus dem Enduser-Bereich zurückziehe. Weiterhin wurde bekannt, daß das Unternehmen 30 Leute entlassen habe.
Nach eigenem Bekunden von Nixdorf sollte die 8832 den Einstieg in neue Märkte bringen, auf denen sich bisher Unternehmen wie Digital Equipment, Hewlett-Packard, Data General, Prime und Tandem tummeln. Als Einsatzgebiete faßte man ins Auge: Fertigungsindustrie, Öffentliche Verwaltung und Hochschulen, Btx-Anwendungen, Softwareentwicklung sowie den Bereich Vermittlungsrechner.
Die derzeitige Situation von Auragen beschreibt Noch-Chairman Martin so: Die Erträge des Unternehmens aus dem letzten Jahr waren im wesentlichen im Mai 1984 verbraucht, seither operiere man auf der Basis eines Übergangskredits, den "bestimmte Venture Capital Fonds sowie Investoren einschließlich Nixdorf bereitgestellt hätten, in Höhe von 1,965 Millionen US-Dollar".
Diese Kreditgeber hätten auch ein "Commitment" abgegeben, 2,665 Millionen Dollar zu investieren. Damit solle dann der Kredit getilgt und in neue Vorzugsaktien umgewandelt werden, die anderen 700 000 Dollar stünden als neue Barmittel dem Unternehmen zur Verfügung. Martin deutete auch an, daß die gegenwärtigen Investoren und Nixdorf möglicherweise bereit sind, weitere 500 000 bis 1,5 Millionen Dollar zusätzlich zu investieren.
Voraussetzung für die jetzt zugesagte Finanzierung seien allerdings neben der Zustimmung der Gesellschafter auch personelle Veränderungen. Hierzu gehören laut Martin die Berufung eines neuen Präsidenten mit "strong operational experience" sowie die Ablösung des bisher für die Softwareentwicklung verantwortlichen Sam Glazer - ebenfalls durch einen Manager mit "strong operational experience". Glazer werde sich stattdessen auf neue Systemarchitekturen, Produktplanung sowie auf zukünftige Entwicklungen konzentrieren.
Weiterhin sieht der Sanierungsplan vor, daß die gegenwärtigen Vorzugsaktien in Stammaktien umgewandelt werden, "um die Kapitalstruktur zu vereinfachen und das Unternehmen für die derzeitigen und auch für neue Investoren attraktiver zu machen". Die Konditionen der Vorzugsaktien wie Verwässerungsschutz (anti-dilution protection), Rückkaufverpflichtung (mandatory redemption) sowie bestimmte Präferenzen im Konkursfall (liquidation preferences) schlössen neue Finanzierungsmöglichkeiten aus.
Die neuen Vorzugsaktien - insgesamt eine Million - sollen für mindestens 2,665 Millionen US-Dollar und für maximal 9 Millionen US-Dollar plaziert werden, je nach dem, wie die Investoren sich beteiligen. Diese neuen Aktien stellen dann 78 Prozent der Gesellschaftseinlagen dar, das heißt, durch die Kapitalerhöhung verringert sich der Wert der bisherigen Einlagen auf 22 Prozent. Martin bedauert, daß mit der Neuemission die bisherigen Anteilseigner nur noch 22 Prozent halten, doch "ist dies leider die einzige Option des Unternehmens, um zu überleben". Sollten die vorgeschlagenen Maßnahmen von der Aktionärsversammlung nicht gebilligt werden, so "wird die Gesellschaft mit großer Wahrscheinlichkeit gezwungen sein, ihre Aktivitäten unmittelbar nach dem Beschluß der Stockholder am 29. August 1984 einzustellen".
Bis Redaktionsschluß gingen keine Informationen über Verlauf und Ergebnis der Versammlung ein.
Stellungnahme von Nixdorf
Die Produktion des Systems 8832 wird in den nächsten Wochen im Werk Paderborn beginnen. Die ersten 15 Maschinen sollen noch im 4. Quartal ausgeliefert werden, wobei neben dem eigenen Bedarf vor allem Softwarepartner sowie Pilotkunden bedient werden. Die frühzeitige Belieferung von Softwarepartnern, erfolgt vor allem mit dem Ziel, für die unter Unix-PPS laufende Produktfamilie Softwareprogramme zu entwickeln. Mit der Installation von Maschinen bei Pilotkunden folgt Nixdorf seiner Strategie, neue Produkte im Praxiseinsatz gemeinsam mit Anwendern zu testen und die Ergebnisse in die weitere Systementwicklung einzubringen.
Mit Hardware- und Systemsoftware-Entwicklung sind gegenwärtig in den Nixdorf-Entwicklungszentren 135 Mitarbeiter betraut.
Durch die Bereitstellung erheblicher eigener Entwicklungskapazitäten ist Nixdorf inzwischen völlig unabhängig vom Know-how des amerikanischen Kooperationspartners Auragen Systems Corp. geworden. Die weitere Entwicklung des Systems erfolgt damit parallel, wobei Nixdorf und Auragen im Rahmen ihrer Kooperation einen kontinuierlichen Know-how-Austausch realisieren.