IT-Arbeitsmarkt/Jobsuchende sollen nicht nur auf Reizwörter schauen

Nicht überall, wo E-Commerce draufsteht, ist E-Commerce drin

07.07.2000
"Gegen Ende des Jahres wird die Hälfte der amerikanischen Wörter mit E beginnen" - dieses Zitat aus dem Magazin "Newsweek" lässt sich auch auf den deutschen IT-Markt übertragen. Hier dominieren vor allem zwei Begriffe: E-Business und E-Commerce. Im Sprachgebrauch selten voneinander unterschieden, meinen beide Ausdrücke sowohl den B-to-C-Handel per Internet als auch die Integration wichtiger interner und B-to-B-Geschäftsprozesse.Von Anja Klauk*

Tatsächlich setzen Unternehmen, die sich das Schild "E-Commerce" oder "E-Business" umhängen, entsprechende Konzepte mit höchst unterschiedlicher Intensität um: Das Spektrum reicht vom virtuellen Warenhaus über den Zahlungsverkehr und Online-Kundendienst bis zur Abwicklung gemeinsamer B-to-B-Wertschöpfungsprozesse über das Internet, zum Beispiel bei der Kooperation zwischen Automobilkonzernen und Zulieferern.

Auf der Seite der Konzeption und Implementierung von E-Commerce- beziehungsweise E-Business-Lösungen sind dann auch Mitarbeiter mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen gefragt: vom Java-Programmierer bis zum Konzeptioner ganzer Geschäftsprozesse, vom Firewall-Spezialisten bis zum E-Commerce-Architekten mit Branchenerfahrung. Auch sind Fachleute, die das eine oder andere Zertifikat über spezialisierte Softwarekenntnisse beibringen können, zum Beispiel im Bereich Customer-Relationship-Management (CRM), begehrte "Trophäen" auf dem Bewerbermarkt.

Auch für IT-Profis, die ein Mindestmaß an Berufserfahrung vorweisen können, stehen die Chancen gut: Unternehmen aus Handel, Industrie und Dienstleistung locken mit Stellenangeboten, die das Etikett "E-Commerce" tragen. Michael Neumann, geschäftsführender Gesellschafter von Hager & Partner Personalberatung in Frankfurt, rät allerdings zur Vorsicht: "Es gibt eine ganze Reihe von Trittbrettfahrern, die unter dem Label ,E-Commerce'' alten Wein in neuen Schläuchen servieren. Die Realisierung beschränkt sich nicht selten auf reine Kosmetik oder Insellösungen. Ein anspruchsvolles Konzept, das wichtige Teile sowohl interner als auch externer Geschäftsprozesse integriert, steckt nicht unbedingt dahinter."

Daher gilt: Wer sich auf eine Stellenanzeige bewirbt, sollte nicht nur auf das Reizwort "E-Commerce" achten, sondern kritisch hinterfragen, welchen Stellenwert die entsprechenden Aufgaben und Projekte im Unternehmen haben. "Wenn ein Unternehmen Programmierer vor allem für E-Commerce einstellt, existiert in der Regel eine Stabsstelle E-Commerce mit dem entsprechenden Team. Ein Bewerber, der einen potenziellen Arbeitgeber auf den Stellenwert von E-Commerce abklopfen will, sollte ruhig die Frage nach einem designierten E-Commerce-Manager und seinem Team stellen", empfiehlt Neumann.

"Echte" E-Commerce-Positionen zeichnen sich dabei nicht nur durch die klassischen Qualifikationen aus, sondern durch ihre unverwechselbare und überwiegende Zuordnung zu einem definierten E-Commerce-Umfeld. "Datenbankspezialisten und Anwendungsentwickler, die in C++, Perl und Java programmieren, stecken dann die meiste Zeit in E-Commerce-Projekten und bedienen nicht noch andere Felder. Das gilt jedoch nur für wenige Branchen. Hier sind vor allem IT-Unternehmensberatungen und Systemhäuser zu nennen, die ihrer Zeit naturgemäß voraus sein und früh Know-how aufbauen müssen. Aber auch Versicherungen und Finanzdienstleister bieten Bewerbern solche Chancen", fasst Neumann zusammen.

Interessante Karriereperspektiven hält auch der CRM-Markt bereit: Hersteller und ihre Partner in Beratung, Implementierung und Vertrieb veranstalten in diesem Jahr eine regelrechte Treibjagd auf qualifizierte Mitarbeiter - schließlich gilt es den Mittelstand zu erobern. Häufig genug werden ganze Vertriebs- und Consulting-Hierarchien gesucht: vom Direktor Vertrieb und Marketing Europe bis zum Account Manager, vom Leiter Consulting Mitteleuropa bis zum technisch orientierten System Engineer.

Zu den begehrten Qualifikationen zählen einschlägige Zertifikate beziehungsweise hervorragendes Spezialwissen, Projekterfahrung, fundierte Branchenkenntnisse, weit reichende Kontakte und ein klarer Hang zum Machen. Dies gilt sowohl für Vertriebs- als auch für Consulting-Positionen. "Wer hier landen will, muss eine Aufbaumentalität haben, sich selber tragen können und im Ernstfall unbegrenzt mobil sein. Da auf nationaler Ebene die Infrastruktur noch aufgebaut werden muss, sind auch Sicherheit auf internationalem Parkett und ausgezeichnete Englischkenntnisse ein Muss, denn viele europäische Zentralen liegen im Ausland. In solchen Fällen heißt es dann im Stellenprofil: Der Mitarbeiter berichtet an den CEO Europe in London", erklärt Neumann.

Für einen Einstieg in die CRM-Branche sind gründliche Kenntnisse in mindestens einer marktdominierenden Standardlösung erforderlich. "Bietet der aktuelle Arbeitgeber selbst keine entsprechenden Weiterbildungsmöglichkeiten, lohnt es sich, die CRM-Hersteller und -Partner sowie einschlägige Seminaranbieter gezielt daraufhin abzuklopfen", so Neumann. Daneben bieten auch Branchenveranstaltungen wie die Salestech in Wiesbaden oder der CRM-Kongress in Düsseldorf gute Möglichkeiten, Informationen einzuholen.

*Anja Klauk ist freie Journalistin in Frankfurt am Main.