Nicht ohne Back-Office

10.01.2007
Von 
Bernd Seidel ist freier Journalist und Coach in München.
Wie man Customer Relationship Management (CRM) richtig macht, klären Vertreter der Firmen CAS AG, Datev, Update, SAP AG und Microsoft mit IDG-Redakteur Uwe Küll und dem freien Journalisten Bernd Seidel.

?Worin liegt der größte Nutzen von CRM?

Thomas Blahut, Head of Sales CRM, Sage Software: Nutzen gibt es auf vielen Ebenen: Die Interessentengewinnung wird effizienter, etwa durch eine klare Zielgruppenermittlung und -ansprache. Leads lassen sich durch Workflow- und Eskalations-Management langfristig bearbeiten. Und der Vertrieb kann sich auf die Vermarktung konzentrieren, da alle Informationen zum Kunden und zum Wettbewerb schnell verfügbar sind. Darüber hinaus bietet CRM der Vertriebsleitung die Möglichkeit, auf Knopfdruck Forecasts und Reports zu erstellen. Das Produkt-Management sieht den Produktverkauf und den Produktlebenszylus, das Marketing ist in der Lage, kundenspezifische Kampagnen zu planen und umzusetzen. Auch dem Servicemitarbeiter stehen alle kunden- und produktrelevanten Informationen zur Verfügung.

Karin Schlag, CRM Service und Vertrieb, Datev: Unsere Kunden erlebten den Nutzen ihres Systems vielfach emotional - etwa in schnelleren und einfacheren Abläufen. Gut messbar sind die deutlich gestiegenen Response-Quoten auf Mailings oder ein um zehn Prozent gestiegener Ergebnisbeitrag pro Kunde.

?Wie lässt sich der Nutzen von CRM ohne großen Aufwand messen - daran zweifeln wohl immer noch viele?

Martin Hubschneider, Vorstandsvorsitzender der CAS Software AG, Karlsruhe: Der einfachste Nachweis ist bei den Kosteneinsparungen durch effizientere Prozesse möglich. Hierzu sollten in einer Ist-Aufnahme die Zeiten von ganzen Prozessen vor und nach der Einführung gemessen werden. Ein solcher Prozess kann beispielsweise das Versenden eines Mailings sein. Entscheidend ist jedoch die Ergebnisentwicklung je Unternehmen.

?Wo drückt Unternehmen der Schuh in Sachen CRM am stärksten - speziell kleinere und mittlere Firmen?

Thomas Blahut: Der kleine oder mittelständische Unternehmer hat nach wie vor den Wunsch, Kunden aus allen Richtungen betrachten zu können - den klassischen 360-Grad-Blick. Dazu gehört es unter anderem, Forecasting, Lead-Management, Marketing-Maßnahmen sowie Servicemitarbeiter effizienter zu steuern. Und auch Antworten auf bestimmte Fragen zu finden, etwa: Wie ist das Kunden-Kaufverhalten? Beschäftigt sich unser Vertrieb mit den richtigen Kunden (Stichwort ABC-Analyse)? Hier stehen die Unternehmen oft noch am Anfang. Und natürlich soll auch der Geschäftsprozessfluss vom und zum Kunden verbessert werden.

Schlag: Auch wir spüren ganz deutlich die Forderung nach mehr Integration. Die Nachfrage nach ganzheitlichen Lösungen steigt, also nach Paketen, beispielsweise Finanzbuchhaltung, Warenwirtschaft und CRM, die zu einer vollständigen Unternehmensanwendung zusammengebaut werden.

?Der Kunde steht also endlich im Mittelpunkt, und alle haben sich daran auszurichten. Das ist nicht Neues ...

Siegfried Leiner, Vice President CRM Solution Management, SAP: Viele Interessenten sind durch die Konsolidierung im Anbietermarkt verunsichert: Welches Produkt von welchem Hersteller sollen sie heute kaufen? Gibt es den morgen noch? Gleichzeitig wächst der Druck, die selbst gebastelten Lösungen auszutauschen.

?Ist CRM-on-Demand - also der Bezug von CRM-Lösungen über das Netz - die richtige Antwort auf diese Anforderungen?

Hubschneider: CRM-on-Demand ist die richtige Antwort für bestimmte Fragestellungen: Wer in CRM einsteigen möchte oder ein Unternehmen mit mehreren Standorten oder Heimarbeitsplätzen hat, für den bietet diese Alternative eine gute Lösung.

Von unseren Kunden nutzen bisher jedoch insgesamt weniger als zehn Prozent das Angebot. Wir rechnen mit einem langsamen, aber kontinuierlichen Wachstum. Bei der Diskussion vor einem Jahr herrschte noch Unsicherheit über die Bedeutung von On-Demand - heute bieten auch bisherige Skeptiker wie SAP eine On-Demand-Lösung an.

Peter Brehm, Solution Sales Microsoft CRM, Microsoft: Es gibt einen Markt für On-Demand-Angebote, der sicher nicht so ist, wie Analysten und Hersteller ihn gerne hätten. Wir haben unser Produkt beispielsweise dahingehend erweitert, dass der Kunde wählen kann zwischen einer eigenen Installation in seinem Unternehmen und dem Bezug über das Netz. Aber der deutsche Markt ist sehr konservativ.

Speziell Mittelständler haben erstens Probleme damit, ihre Daten außer Haus zu geben, und zweitens sind die Kundendaten grundsätzlich wenig sauber. Wir sehen On-Demand daher eher als eine Möglichkeit, in CRM einzusteigen, oder als Instrument für Start-up-Firmen sowie für Unternehmen, die auf Abteilungsebene punktuell Lösungen ergänzen.

Wolfgang Stein, Update Software Germany: On-Demand ist aus unserer Erfahrung nur sinnvoll, um Spitzen damit abzudecken, hat aber letztendlich mit dem Thema CRM, so wie wir es verstehen, relativ wenig zu tun.

?Können Sie das bitte genauer erklä- ren?

Leiner: Wenn ein Vertriebsmitarbeiter beispielsweise nur ein Forecast- oder Pipeline-Management braucht, ist das auch ein Teil von CRM.

Stein: Das ist Sales Force Automation (SFA). Und das machen wir seit Jahrzehnten. Das hat mit dem integrativen Gedanken von CRM - Vertrieb, Service und Marketing, salopp gesagt, unter einen Hut zu bringen - nichts zu tun.

Leiner: Es macht doch keiner CRM um des CRM willen. Es muss sich immer rechnen, es muss nachweislich Erfolge bringen, und ein Vertriebsmann braucht eine SFA-Lösung, weil er genau das will.

?Da ist schon ein gewisser Widerspruch: Auf der einen Seite ist die zentrale Kenngröße bei CRM die Integration - erst dann kommt es zur vollen Geltung. Auf der anderen Seite sagen Sie, dass mit On-Demand jeder mal schnell beginnen und ein System bekommen kann.

Leiner: Pauschal kann man das nicht beantworten. Nehmen wir an, ein Unternehmer will kurzfristig erfolgreich sein. Dazu braucht er schnell ein System, das seine Anforderungen erfüllt. Grundsätzlich ist CRM eine Reise. Es lässt sich nicht von der Stange kaufen und ist nicht innerhalb eines Jahres im Unternehmen umgesetzt. Es ist ein Teil der Firmenstrategie, es wächst und ändert sich. Vielleicht haben wir Hersteller in der Vergangenheit suggeriert, dass man einfach eine Standardsoftware kauft, und fertig. Das ist es nicht.

?Der Widerspruch bleibt: Auf der einen Seite brauche ich integrierte Systeme, um Prozesse durchgängig abbilden zu können. Und nun schaffen Sie auf der anderen Seite durch On-Demand Inseln der Glückseligen ...

Stein: Mir gefällt diese kurzfristige Ad-hoc-Denke nicht. Wenn ein Unternehmen beispielsweise ein neues Produkt einführen möchte und dazu eine Kampagne plant, dann kann es diese Anforderung durch eine gemietete Lösung schnell in die Tat umsetzen. Aber das ist nicht der Ansatz, den man insgesamt fährt, wenn man CRM machen möchte.

?Jüngsten Berichten von Analysten zufolge haben Unternehmen durch die CRM-Investitionen ihre kundennahen Prozesse (Front-Office) mittlerweile ganz gut im Griff. Sie bemängeln aber, dass die Integration mit den nachgelagerten Aufgaben im Back-Office, etwa dem Finanzwesen, dem Controlling, der Logistik und auch der Produktentwicklung, noch in den Kinderschuhen steckt. Was sagen Sie dazu?

Leiner: CRM-Systeme, also die klassischen Front-Office-Systeme, haben Daten aus dem Back-End hochgeladen. Im Endeffekt war es eine Anzeigefunktion für Back-End-Informationen, etwa für eine Auftragshistorie. Und leider werden CRM-Systeme auch heute noch sehr stark als Informationssysteme verstanden und nicht als eine Möglichkeit, Prozesse damit durchgängig zu unterstützen.

?An jedem Front-Office-Prozess hängen, so die Analysten weiter, zwei bis drei Arbeitsschritte zum Teil mit den unterschiedlichsten Personen im Back-Office. Wie soll ein Kundenservice oder ein Vertriebsprozess - nehmen Sie Cross- oder Up-Selling - funktionieren, wenn die Beteiligten nichts voneinander wissen?

Brehm: Das Thema Back-Office-Integration ist bei vielen Unternehmen noch schlecht gelöst - da herrscht Chaos. Das ist für uns als Hersteller eine Herausforderung, den integrativen Aspekt stärker herauszuarbeiten. Insbesondere sind hierbei nicht die technische Integration, sondern die Verbindung von Organisationen und die Arbeitsteilung zu verstehen. Workflow-Systeme können hier eine gute Hilfestellung bieten.

Blahut: Wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, dem Kunden, der die Produkte einführt, ein vernünftiges Einführungskonzept anzubieten. Für viele Mittelständler ist die gesamtheitliche Einführung eine große Herausforderung. Es existieren in den seltensten Fällen Pläne, wie und in welchen Phasen was eingesetzt werden soll. Wann integriert man Vertrieb, wann Marketing und wann den Service? Auf diese Fragen gibt es keine Standardantworten. Im Vorfeld des Ganzen müssen der Prozess und der Workflow definiert werden. Das heißt: Wie möchte ich meinen Belegfluss und den Kommunikationsfluss durch das Unternehmen laufen lassen? Das schließt Front- und Back-Office mit ein. Eine solche CRM-Einführung macht man nicht jeden Tag, sondern einmal, über mehrere Monate - und das ist eine Herausforderung.

?Existieren spezielle Einführungskonzepte für CRM im Mittelstand?

Stein: Eine Lösung für die CRM-Einführung im Mittelstand wäre zu pauschal: Ein ganz wesentlicher Aspekt ist, dass sich die Anbieter branchenbezogen aufstellen. Das heißt, je mehr sie von der Branche wissen, je besser sie die Prozesse kennen - nicht nur CRM-, sondern auch ERP-Funktionen - , desto größer ist der Erfolg.

Schlag: Wir konnten in unseren CRM-Projekten die Akzeptanz im Unternehmen über eine kompetente Beratung und Begleitung unserer Kunden sicherstellen. Alle Betroffenen kamen an einem Tisch zusammen, wurden gehört und emotional einbezogen. Ein ganz wichtiger Baustein ist die Schulung der Nutzer.

Auch hier gilt: Am Ball bleiben - vierteljährliche Nachtreffen bieten wir immer an. Hier werden Fragen oder Probleme besprochen und Optimierungen erarbeitet, damit die Akzeptanz bleibt und weiter wächst.

?Mit wem sprechen Sie in den Unternehmen, wenn Sie so vorgehen?

Brehm: Entscheidend für den Erfolg ist es, die Fachabteilung rechtzeitig mit ins Boot zu holen. Wenn ein starker IT-Leiter da ist, kann man den auch nicht übergehen, sonst wird das nichts.

Blahut: Eine Einführung ist immer dann von Erfolg gekrönt, wenn wir mit allen Fachbereichsleitern im Dialog stehen und deren Interessen berücksichtigt werden und der Vertrieb gemeinsam mit dem Marketing das Projekt vorantreibt. Ganz entscheidend ist die Unterstützung des Vorhabens durch die Geschäftsführung; sie muss hinter der CRM-Einführung stehen.

?Wenn Sie mit den Bereichen Service, Vertrieb und Marketing sprechen, sagen Sie denen dann auch, dass CRM nur funktioniert, wenn er die erwähnten zwei oder drei Personen aus dem Back-Office mit integriert?

Blahut: Ja, selbstverständlich bei einer soliden Beratung. Wir sagen unseren Kunden, dass in der Beratungsphase und während der Implementierung die Fachabteilung ihre Mitarbeiter und ihr Wissen beisteuern muss. Es ist wichtig, die Ideen und Wünsche der Mitarbeiter zu kennen und, wenn möglich und sinnvoll, sie zu berücksichtigen.

?Das klingt jetzt nicht sonderlich überzeugend: "Wenn solide beraten wird" ...

Blahut: Ich kann nur für Sage-Projekte sprechen. Da wir einen indirekten Vertriebskanal zur Vermarktung unserer Produkte haben, sind wir sehr bedacht darauf, unsere Business-Partner mit einer sehr umfangreichen Schulung im Bereich Produkte und Projektvertrieb auszubilden.

Hubschneider: Es sollte allen Beteiligten klar sein, dass CRM kein Projekt ist, sondern eine Unternehmensstrategie. Die CRM-Einführung ist ein Projekt, aber die Unternehmen benötigen keinen CRM-Projektleiter, sondern einen CRM-Verantwortlichen, der direkt der Unternehmensleitung unterstellt ist und die Prozesse rund um CRM laufend verbessert. Die CRM-Einführung sollte stufenweise erfolgen, und die Mitarbeiter sollten von Anfang an in das Projekt eingebunden sein und durch die CRM-Lösung effektiv unterstützt werden.

Brehm: Unternehmen möchten auf jeden Fall vermeiden, dass ein Projekt ein Fehltritt wird und mangels Akzeptanz an die Wand gefahren wird. Dem Gros der Unternehmen ist auch bewusst, dass es ohne Integration - technisch und organisatorisch - nicht geht. Aber dazu alle Beteiligten in Projekt-Workshops einzuladen und zu diskutieren, das führt nach unseren Erfahrungen zu nichts.

Man bekommt natürlich einen guten Überblick über die Erwartungshaltung der Menschen, die im weitesten Sinne mit dem Kunden zu tun haben. Doch es besteht die Gefahr, dass man zu groß startet. Ein CRM-Projekt sollte man klein beginnen und nicht als die Lösung hinstellen, die alle im Unternehmen glücklich macht.

?Besteht nicht die Gefahr, dass die typischen CRM-Aufgaben künftig auf der operativen Seite durch ERP-Software und auf der Analyseseite durch BI-Tools erledigt werden?

Hubschneider: Eine ERP (Enterprise Resource Planning)-Software hat ihre Stärken in der Warenwirtschaft, im Rechnungs- und Mahnwesen und manchmal noch in der Lagerverwaltung, Produktionssteuerung sowie in der Einkaufslogistik. BI wiederum analysiert die Vergangenheit und prognostiziert die Zukunft, ist aber vollständig dispositiv und kann die kundengerichteten Geschäftsprozesse nicht abbilden. CRM bietet einen Zugriff auf die wichtigsten Informationen aus den ERP- und BI-Systemen.

?Die CRM-Spezialisten geraten aber zunehmend unter Druck ...

Hubschneider: Nach der aktuellen Entwicklung lässt sich diese These nicht halten. CRM-Spezialisten wachsen zurzeit weit schneller als die ERP-Anbieter. Je nach Studie liegt das Marktwachstum zwischen neun und 13 Prozent. CAS wächst seit bereits drei Jahren mit jährlich 25 Prozent. 2006 konnten wir sogar ein Wachstum von über 30 Prozent verzeichnen. Auch andere CRM-Spezialisten wachsen kräftig.

?Welche CRM-Trends zeichnen sich in diesem Jahr ab?

Blahut: Im Wesentlichen sehen wir vier Trends für das Jahr 2007: Erstens das Thema ERP-Integration. Neben der Back-Office-Integration ist ein zweiter Fokus die Integration von Web-Services, um die Geschäftsprozesse zum Kunden effektiver zu gestalten. Wichtig ist drittens CRM Mobility. Der vierte Trend sind BI-Funktionen. Das analytische CRM rückt mehr in den Vordergrund.

Brehm: Dominierend ist weiterhin das Thema Integration. Darunter sind Web-Anwendungen zu verstehen und die Frage, wie sich Transaktionen im Internet für Partner und Kunden abbilden lassen.

Schlag: Mobile Funktionen sind ein heißes Thema. Im Unternehmensmarkt haben 50 Prozent unserer Kunden Mobilitätszusatzmodule im Einsatz - Tendenz steigend.

Stein: Grundsätzlich sind die Trends von Branche zu Branche verschieden. Wir sehen, dass das ganze Thema Integration von CRM-Anwendungen in grafische Informationssysteme heiß ist. Es geht darum, soziodemografische Daten und Konsumenteninformationen zu erhalten.

Leiner: Ein Schwerpunkt ist aus unserer Sicht das Service-Management. Hierbei setzen sich Self-Services weiter durch, und zwar integriert mit Callcenter-Service-Prozessen.

Hubschneider: Wir haben für dieses Jahr fünf Megatrends ausgemacht:

1. CRM wird noch intelligenter.

2. Referenzdatenbanken revolutionieren die Adresspflege.

3. CRM jederzeit und überall: Attraktive Flat-Fee-Tarife und -Endgeräte machen die mobile Nutzung für jedermann attraktiv.

4. Unternehmen kennen ihren CRM-Index: Kundenorientierung kann gemessen und optimiert werden.

5. 2007 wird ein CRM-Jahr.

Meine Dame, meine Herren, wir danken Ihnen für das Gespräch.