Corporate Social Responsibility (CSR)

Nicht nur zur Weihnachtszeit

19.12.2012
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.

Autisten als Softwaretester

Software-Testing und technische Dokumentation bieten verschiedene Firmen an. Doch das Berliner IT-Beratungsunternehmen Auticon beschäftigt für diese Aufgaben nur Autisten.

"Wir sind ein ganz normales Beratungsunternehmen", betont Dirk Müller-Remus, Geschäftsführer von Auticon und ergänzt: "allerdings mit speziellen Mitarbeitern". Von den elf Angestellten sind sechs als Asperger-Autisten diagnostiziert. Manche Gesprächspartner denken dann an berühmte Filmfiguren, die Telefonbücher auswendig lernen, wie der von Dustin Hoffman dargestellte Charakter in Rain Man. Doch dieses Hollywood-Klischee umschreibt die Realität nur ungenau. Müller-Remus erklärt seinen Gesprächspartnern sachlich und routiniert das Besondere seiner Mitarbeiter.

Der Vater von vier Kindern weiß von seinem Sohn, über welche besonderen Begabungen Asperger-Autisten verfügen. "Diese ungeheueren Detailkenntnisse und hohe Konzentration auf ein Thema sind ungewöhnlich. Selbst kleine Fehler fallen ihnen sofort auf", weiß Müller-Remus. Oft sei das besondere Steckenpferd von Asperger-Autisten Informatik, Mathematik und Logik. Außerdem bringen viele genau die Fähigkeiten mit, die Arbeitgeber schätzen, nämlich eine hohe Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer und Loyalität. Die außerordentliche Beobachtungsgabe und ein fotografisches Gedächtnis runden das Profil ab.

Aber der Familienvater kennt auch ihre Probleme. Oftmals überfordern Autisten Gesprächspartner mit direktem Augenkontakt, Redewendungen nehmen sie wörtlich und unvorhergesehene Abweichungen von ihrer Routine lösen großen Stress aus. "Nur rund 15 Prozent aller Menschen mit Asperger-Syndrom finden einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt", gibt er zu Bedenken. Vor einem Jahr gründete der Softwareentwickler Auticon. Sozialromantik zählt ganz sicher nicht zu seinen Motiven, denn Auticon will mit dem intellektuellem Potenzial seiner Mitarbeiter punkten und auf diese Weise Umsätze generieren: "Wir sind kein Sozialunternehmen."

Trotzdem gibt es einige Unterschiede, etwa das aufwändige, dreistufige Recruiting der zukünftigen Mitarbeiter. In der ersten Gesprächsrunde geht es um persönliche Stärken und Motivation der Bewerber, im zweiten Gespräch steht die fachliche Qualifikation, Lernfähigkeit sowie logisches Denken im Mittelpunkt. An einem weiteren Nachmittag sprechen Autismus-Experten der Freien Universität Berlin mit den Interessenten. Am Ende des umfangreichen Auswahlverfahrens werden die Kandidaten in mehrmonatigen Trainings auf ihren neuen Job vorbereitet. "Viele haben einen langen Leidensweg hinter sich und unterschätzen ihre Fähigkeiten", weiß Müller-Remus. Manche bringen sogar ein abgeschlossenes Informatikstudium mit.

Arbeitsplatzspezifische Fertigkeiten wie Umgang mit Stress, Kommunikation und Teamfähigkeit trainieren die Mitarbeiter drei Wochen lang intensiv mit den Job-Coaches, die sie auch später im Berufsalltag um Hilfe bitten können. Ein zweimonatiges IT-Fachtraining zu den Methoden des Softwaretestens sowie eine Prüfung schließen sich an.

"Alle unsere Erwartungen haben sich erfüllt", schwärmt Müller-Remus von seinen Mitarbeitern. Das umfangreiche Training hilft den Bewerbern, neues Selbstvertrauen zu gewinnen und ihre IT-Fertigkeiten auszubauen. Bevor die Teams zum Kunden gehen, bereiten die Job-Coaches die Auftraggeber auf ihre künftigen IT-Berater vor. Eine klare Sprache, die auf Redewendungen und Sprichwörter verzichtet, ein fester Ansprechpartner im Team sowie klare Arbeitsanweisungen sind die einzigen Unterschiede. Und der Hinweis, dass die Auticon-Mitarbeiter entwaffnend ehrlich sind.

Müller-Remus baut gerade weitere Standorte in Düsseldorf und München auf, 2013 sollen Niederlassungen in Frankfurt und Hamburg hinzukommen. Denn eine Eigenschaft teilen die Mitarbeiter von Auticon mit anderen Softwarespezialisten: Sie ziehen nur sehr ungern um und lieben Routine.