Die Begeisterung in den DV-Abteilungen läßt noch zu wünschen übrig, aber:

Nicht nur die Portabilität spricht für Unix

01.04.1988

Mainframe-Leistung zu Mikro-Preisen - unter diesem Wahlspruch ist die derzeitige Generation von Arbeitsplatzrechnern angetreten . Diese "Kraftpakete" laufen zumeist unter einem Unix-Derivat. Schon deshalb werden die Abteilungen für Informationsverarbeitung (IV) langfristig nicht an Unix vorbeikönnen.

Jüngste Untersuchungen lassen den Schluß zu, daß die Unix-Begeisterung auf seiten der IV-Leiter in den Anwenderunternehmen noch unterhalb des Interesses rangiert, das die Sowjetunion freien Wahlen in Ost-Europa entgegenbringt. "Wer braucht es?" läßt sich die Einstellung in den meisten IV-Abteilungen beschreiben.

Der typische Großanwender hat sich daran gewöhnt, mit einer Vielzahl von Proprietary-Umgebungen zu arbeiten. Der Datenaustausch zwischen diesen Umgebungen mag durchaus kompliziert sein. Doch im Gegensatz zur weitverbreiteten Hysterie wegen fehlender Konnektivitätsoptionen sind für solche Probleme zumeist praktische Lösungen verfügbar.

Erst kommt der Aufwand

Der Haken an der Sache ist nicht so sehr der Mangel an Verbindungsmöglichkeiten, sondern der Aufwand an Zeit und Arbeitskraft, um die entsprechenden Features zu implementieren.

Unix einsetzen bedeutet da lediglich, noch eine Umgebung hinzufügen - und obendrein eine ungewohnte. Folglich wird die ganze Angelegenheit durch den Unix-Einsatzzunächst komplizierter statt einfacher. Dem IV-Leiter, der damit zu tun hat, den Anwendungsstau zu beseitigen, wird also nicht viel geholfen. Nichtsdestoweniger nimmt Unix mit einiger Sicherheit schon in den nächsten Jahren eine Schlüsselstellung in den meisten Unternehmen ein.

Der wichtigste Grund hierfür hat weniger mit Unix selber als mit der Marktsituation bei der Hardware-Technik zu tun. Immer mehr Mikroprozessor-Systeme bieten Mini- oder sogar Mainframe-Leistung zu Mikro-Preisen an. Ohne jeden Zweifel ist Unix das Betriebssystem der Wahl für die immer leistungsfähigeren Mikroprozessor-basierten Multiuser-Systeme. Nicht, daß Unix vollkommen wäre! Vielmehr ist Unix gut genug, um das überragende Preis/Leistungs-Verhältnis der Mikroprozessor-Technik auf die Mini- und Mainframe-Ebene hochzuziehen.

Arbeitsplatzrechner unter DOS und OS/2 sind für vieles einsetzbar, was bis vor kurzem den größeren Systemen vorbehalten war; in Verbindung mit Netz-Servern können sie sogar noch mehr. Vielseitige Mikroprozessor-Systeme unter Unix offerieren leistungsstarke Alternativen zu den ungleich teureren Minicomputern und Großrechenanlagen.

Während die Workstation/Server-Architekturen immer noch recht ungewohnt anmuten und Schulungszeit erfordern, sind Multiuser-Systeme unter Unix den Anwendern schon geläufig - auch wenn die IV-Profis von einem Mainframe- oder Minicomputer-Hintergrund herkommen. Es ist viel leichter, Anwendungen unter Unix zu entwickeln und zu implementieren, als die heuen Architekturen zu beherrschen.

Wer braucht Unix? - die Leute, die für die Entwicklung und Wartung umfangreicher Anwendungssysteme in großen Betrieben verantwortlich sind. Unix mag zwar nicht jedes der ihm angedichteten Versprechen einlösen. Aber das Betriebssystem ist wahrscheinlich der wichtigste Einzelfaktor, wenn es darum geht, möglichst viel Anwendungsleistung zu einem Mikroprozessor-Preis zu bekommen. Deshalb wird Unix für die IV-Abteilungen wichtig werden - ganz gleich, ob dort nun Interesse herrscht oder nicht.