Erwartungen an den Führungsnachwuchs

Nicht nach Schema F

16.06.2000
In der Informationsgesellschaft ist der moderne, teamfähige Manager gefragt. Ina Hönicke* wollte von Daniel Hartert, oberster IT-Verantwortlicher von Bertelsmann, wissen, wie junge IT-Profis Karriere machen.

oung professional Wer wird in Zukunft Ihrer Meinung nach im IT-Bereich eher gefragt sein - der Spezialist oder der Generalist?

Hartert In Anwenderunternehmen wird mehr der Generalist, beim Hersteller hingegen mehr der Spezialist gefragt sein. Die Gründe liegen auf der Hand: Ein Anwender benötigt einen Generalisten, der die unterschiedlichen Segmente verstehen und integrieren kann. Demgegenüber ist ein Hersteller so auf ein bestimmtes Produkt fokussiert, dass er auch Spezialisten benötigt.

young professional Wie unterscheidet sich die neue IT-Manager-Generation von der alten?

Hartert Die künftigen IT-Manager verstehen IT als Mittel zum Zweck. Sie werden auch nicht mehr die Glaubenskriege vergangener Generationen - sei es um Unix, Microsoft oder Apple - austragen. Die neue IT-Manager-Generation denkt anders als ihre Vorgänger hauptsächlich an die Lösung. Diese soll das Business voranbringen - auf welcher Basis sie stattfindet, ist eher zweitrangig. Zudem hat die neue IT-Manager-Generation wesentlich mehr Interesse an dem Geschäft, für das sie die IT bereitstellt, als für die IT selbst.

young professional Die Personaldecke im IT-Bereich wird immer dünner. Gibt es bei Bertelsmann besondere Rekrutierungsangebote, um junge Leute anzuwerben - oder haben Sie das nicht nötig?

Hartert Wir haben es sogar ziemlich nötig. Bei Bertelsmann Media Systems sind zur Zeit etwa 1300 Mitarbeiter beschäftigt - weitere 150 Leute könnten wir querbeet durch alle Bereiche sofort einstellen. Bei uns wird der Profi für klassische IT-Themen genauso wie der Internet-Fachmann gesucht. Darüber hinaus benötigen wir Fachleute für die Softwareentwicklung und die Datenbankadministration. Vor allem aber fehlen uns gute Projektleiter.

young professional Wer steht denn auf Ihrer Prioritätenliste ganz oben?

Hartert Ganz oben stehen Mitarbeiter für das E-Business. Hierfür benötigen wir Profis, die sowohl über die entsprechende technische Qualifikation verfügen als auch viel Flexibilität zeigen. Junge Leute, die im E-Business Erfolg haben wollen, müssen wissenshungrig sein und sich in dieser Welt auskennen. Schließlich müssen sie, den Entwicklern klar machen, wie beispielsweise ähnliche Sites im Internet funktionieren. Das können die E-Fachleute nur, wenn sie selbst immer wieder im Internet surfen.

young professional Passen denn die so genannten kreativen Zopfträger mit den traditionellen IT-Profis zusammen? In einigen Unternehmen ist von Eifersüchteleien zu hören.

Hartert Bei uns gibt es solche negativen Erfahrungen zum Glück nicht. Ich weiß aber, dass Eifersüchteleien in anderen Unternehmen in der Tat existieren. Eine solche Situation kann beispielsweise entstehen, wenn die Frontend-Leute über die Maßen gelobt und die Backend-Leute mehr oder weniger vergessen werden. Dabei sollte den Verantwortlichen klar sein, dass IT-Profis im Grunde eher ein Lob oder anerkennendes Schulterklopfen benötigen als andere. Schließlich schaffen sie die Stabilität für die erfolgreichen Resultate der Frontend-Kollegen. Ohne ihre Hintergrundtätigkeiten gäbe es keinen Erfolg. Ich glaube nicht, dass sich die Mitarbeiter dieser beiden Bereiche aufgrund fachlicher Unterschiede bekriegen, es liegt schlichtweg an der Wertschätzung der jeweiligen Tätigkeit.

young professional Welche Rekrutierungswege bevorzugt Ihr Unternehmen?

Hartert Wir mussten feststellen, dass Print-Anzeigen immer weniger zum Erfolg führen. Deshalb sind wir bei einer ganzen Reihe von Jobbörsen im Internet vertreten. Alles in allem nutzen wir genau wie die Mitbewerber alle bekannten Rekrutierungsmöglichkeiten. Darüber hinaus machen wir uns derzeit Gedanken darüber, ob das Haus Bertelsmann die Gründung einerIT-Akademie unterstützen soll. Dann könnten wir potenzielle Mitarbeiter schnell für den IT- oder Multimedia-Bereich umschulen. Das ist doch genau die Crux: Wir haben schlichtweg keine Zeit für lange Ausbildungen, wir müssen schnell ausbilden. Warum sollte es nicht möglich sein, zum Beispiel Abiturienten in einem einjährigen Crash-Kurs und danach on-the-job auszubilden?

young professional Personalberater beklagen häufig, dass viele Newcomer zwar technisch versiert sind, es aber bei den sozialen Kompetenzen hapert. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?

Hartert Hin und wieder ja. Den allgemeinen Eindruck, dass die Hochschulabsolventen hier große Defizite aufweisen, kann ich allerdings nicht bestätigen. Die Bewerber verfügen heute über bessere kommunikative Fähigkeiten, als dies noch vor fünf Jahren der Fall war.

young professional Wie wird man in Ihrem Unternehmen Führungskraft?

Hartert Wir legen keinen Wert auf übertriebene Ellenbogenmentalität. Wir benötigen Mitarbeiter, die kompetent sind, Initiative zeigen und verstehen, wie die heutige Welt funktioniert. "Führungskraft" ist ein etwas überholter Begriff. Ich spreche lieber vom "Manager" - man managt ein Team, ein Projekt oder einen Kunden. In allen drei Fällen benötigt man soziale Kompetenz und Leadership-Fähigkeiten. Durchsetzen wird sich derjenige, der Initiative zeigt, kreativ ist und eine Topleistung liefert.

young professional Wenn Sie ein solches Talent entdeckt haben, was passiert dann?

Hartert Dann wird dieser Mitarbeiter in einen unserer Zirkel für den Management-Nachwuchs aufgenommen und erhält ein besonderes Training. Danach werden ihm mehr Verantwortung und komplexere Aufgaben übertragen. In unserem Haus gibt es eine Menge solcher komplexen Aufgaben, so dass wir froh über jedes entdeckte Talent sind.

young professional Welche Eigenschaften muss denneine Führungskraft besitzen?

Hartert Sie muss kommunizieren und motivieren können. Es ist schwer, das anzutrainieren. Wenn ein Mitarbeiter sehr introvertiert ist und nicht gern kommuniziert, wird er aller Voraussicht nach keine gute Führungskraft werden. Eine Führungsposition ist allerdings keine Grundvoraussetzung, um motivieren zu können. Wir haben Hochschulabgänger, die aufgrund ihrer eigenen Begeisterungsfähigkeit sehr motivierend auf ihre Umgebung wirken.

young professional Manche jungen Leute legen auch heute noch großen Wert auf Titel. Wie reagieren Sie darauf?

Hartert Das mögen wir überhaupt nicht. Die Titel kommen automatisch, wenn die entsprechende Leistung erbracht wurde. Zum Schluss noch ein Appell an die jungen Leute: Richten Sie sich international aus, schauen Sie sich in der Welt um. Uns jedenfalls sind junge Menschen, die fremde Länder und Kulturen kennen gelernt haben, lieber als die, die nach Schema F durchs Leben gehen.

*Ina Hönicke arbeitet als freie Journalistin in München.