"Nicht jedes Unternehmen, das Gräben zieht, ist ein Carrier"

13.11.1992

Die staatliche France Telecom - Umsatz 1991: 38 Milliarden Mark, Nettogewinn: 380 Millionen Mark - ist mit I50 Töchtern und Beteiligungen in 17 Ländern vertreten. Eine ihrer wichtigsten Neugründungen war Ende 1991 die Ausgliederung des Software- und Servicebereichs in die Geschäftseinheit FTLIS.

Diese soll in den kommenden fünf Jahren ihren Umsatz von rund 1,2 auf 2,5 Milliarden Mark verdoppeln und akquiriert besonders im Bereich Mehrwertnetze. CW-Mitarbeiter Lorenz Winter sprach mit Michel Hirsch, Directeur International von France Télécom, und : FTLIS-Geschäftsführer Michel Huet.

CW: Ende 1991 erhielt die ehemalige Fernmeldebehörde France Télécom ein unternehmensähnliches Statut. Welche strategischen Vorteile bieten sich dadurch?

Hirsch: Wir können heute ein umfangreicheres Dienstleistungsangebot als früher anbieten, direkt im Ausland investieren, und wir verfügen über einen präziseren Finanzierungsrahmen.

CW: Der Auslandsanteil am Gesamtumsatz von France Telécom macht heute 2,5 Prozent aus. Was ist Ihr Ziel auf absehbare Zukunft?

Hirsch: Unsere Planungen gehen von einem Anteil um die zehn Prozent bis zum Jahr 2000 aus. Vor allem im internationalen Geschäft haben wir noch einigen Nachholbedarf. Ein Carrier wie France Télécom kann nicht alles im Alleingang bewältigen. Dies ist auch der Grund, warum wir uns an Projekten wie Eucom, Eunetcom, Infonet und GEN beteiligen.

CW: Welche organisatorischen Reformen waren nötig, um die Möglichkeiten des neuen Status auszuschöpfen?

Hirsch: Technisch waren wir darauf vorbereitet. Schwieriger war es, die Mitarbeiter davon zu überzeugen, daß mehr Aktivitäten noch keine qualitative Verbesserung darstellen und daß über die Qualität letztlich der Markt befindet. Die Unternehmenskultur mußte also zuerst verändert werden, bevor wir uns an strukturelle Reformen wagen konnten.

CW: ... die jetzt anscheinend in Fahrt kommen.

Hirsch: Ja und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen werden wir künftig die eigentlichen Dienstleistungen und den technischen Support trennen. Zum anderen bereiten wir im kommerziellen Bereich die Segmentierung des Marktes vor. Ein Segment bilden dabei unsere rund 300 multinationalen Großkunden, die künftig sämtliche technischen Dienstleistungen von France Télécom aus einer Hand angeboten bekommen.

CW: Welche neuen Dienstleistungen bietet France Telécom heute an?

Huet: Ursprünglich installierten wir einmalige Übertragungseinrichtungen für bestimmte Kunden und spezifische Anwendungen. Inzwischen verfügen aber bereits viele Firmen über integrierte Netze, die mehrere Anwendungen des Telecom- und des DV-Bereichs zusammenfassen. Diesem Trend passen wir uns durch zunehmende technische Konvergenz von Sprech- und Datenverkehr an.

CW: Können Sie ein praktisches Beispiel nennen?

Huet: Nehmen Sie unseren kürzlich abgeschlossenen Vertrag mit dem Chemiekonzern Rhône-Poulenc. Wir verwalten künftig das gesamte Telefonnetz des Unternehmens an 24 Standorten in Frankreich und 77 in den USA, ferner ein Datenübertragungsnetz, das 19 000 Workstations an 300 Einsatzplätzen verbindet. Jedes der beiden Netze entspricht einem Jahresbudget von etwa zehn Millionen Franc.

CW: Hier treten Sie als Verwalter firmeneigener Netze auf. Wollen Sie auch Netze aufkaufen, um neue Märkte zu erschließen?

Huet: An sich wäre das ein naheliegender Weg, aber ich glaube, die Zahl geeigneter Objekte wird überschätzt. Als weltweit operierendes Mehrwertnetz würde ich heute nur das von GE Information Services bezeichnen - und das steht meines Wissens nicht zum Verkauf, ebenso natürlich nicht die auf eine einzige Anwendung spezialisierten Netze, zum Beispiel Swift oder Amadeus.

Verkauft wurden bisher hauptsächlich Paketnetze wie Tymnet oder Telenet. Dies sind jedoch Infrastrukturen, über die die öffentlichen Carrier durch Infonet bereits verfügen. So bleibt schließlich eine Reihe von Mehrwertnetzen übrig, die entweder eine nur geringe geographische Reichweite haben oder Nischenmärkte bedienen. Diese können natürlich trotzdem wirtschaftlich interessant sein, um ein solches Netz jedoch auf europäisches Niveau zu heben, bietet sich eher die Zusammenarbeit mit einem anderen Carrier an.

CW: Die Deregulierung der Fernmeldemärkte verstärkt auch die internationale Konkurrenz. Ist Ihr Unternehmen dafür gewappnet?

Hirsch: Bedenken müßten wir nur haben, wenn bei der Deregulierung Wettbewerbsverzerrungen geschaffen würden. In allen Ländern Europas hilft der Ertrag aus Fern und Auslandsverbindungen, den defizitären Ortsverkehr zu subventionieren. Dieses Mißverhältnis versuchen die nationalen Carrier zwar zu beseitigen, aber das braucht Zeit.

Wir halten es deshalb - genau wie unsere Kollegen bei der deutschen Telekom - für ein unausgegorenes Konzept, mehr EG-weiten Wettbewerb dadurch herstellen zu wollen, daß von heute auf morgen nichteuropäische Anbieter zugelassen werden, die nicht die finanzielle Bürde des Ortsverkehrs zu tragen haben. Langfristig fürchten wir diesen Wettbewerb gleichwohl nicht, denn wir sind technisch dafür gerüstet und finden uns auch durchaus mit der Gefahr ab, zehn Prozent vom Inlandsmarkt zu verlieren, wenn wir dafür mehr Auslandsumsatz erzielen.

Huet: Beachten Sie außerdem daß im Bereich der neuen Telecom-Dienste zumindest in Frankreich die Märkte heute schon ohne Einschränkung dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Das gilt für Mehrwert- und Paketnetze, aber auch für die Bereiche Mobil-und Satellitenfunk.

CW: Wie sieht es mit branchenfremden Rivalen aus?

Hirsch: Nicht jedes Unternehmen, das Leitungen zieht, Gräben aushebt oder Röhren verlegt, ist ein Carrier. In Japan zum Beispiel haben verschiedene Stromversorger versucht, NTT das Feld streitig zu machen - bisher blieb ihr Marktanteil verschwindend gering. Auch in Großbritannien, wo die Deregulierung ja schon weiter fortgeschritten ist als auf dem Kontinent, klappt es mit dem Transfer von TK-Know-how an branchenfremde Firmen offenbar doch nicht so, wie man sich das vorgestellt hat.

CW: Das Interesse branchenfremder Unternehmen am TK-Markt wird häufig mit den angeblich immensen Umsatzzuwächsen und Gewinnmargen begründet, die dort zu erwarten seien. Ist dieses Geschäft wirklich die vielgerühmte Industrie mit Zukunft?

Hirsch: Zunächst einmal ist der Betrieb von Netzen kein Industriezweig im üblichen Sinn. Es gibt keine High-flyer wie in der Informationstechnologie, wo eine gute Idee sich in ein Gerät oder Programm verwandelt, das dann 100 000mal verkauft wird. Umsatz- und Ertragsvergleiche zwischen unserem Markt und anderen auf diesem Niveau gingen deshalb total in die Irre. Unsere Aufgabe ist es, Produktivitätsgewinne zu erzielen, von denen unsere Aufsichtsbehörden zudem verlangen, daß wir einen Teil davon in Form von Tarifsenkungen an unsere Kunden weitergeben .

CW: Zumindest in Frankreich diversifiziert France Télécom über den TK-Markt hinaus. Ihr Unternehmen ist Minderheitsgesellschafter bei Bull und Thomson, soll zu einem der Hauptaktionäre von SGS-Thomson werden, strebt Partnerschaften mit Softwarehäusern wie Cap Gemini und Cisi an. Bei der Sema Group sind sie gerade eingestiegen, und zuletzt wurde ein Vertriebsabkommen mit Lotus unterschrieben.

Hirsch: Wir haben keine Ambitionen, uns als umfassender Hardware-Anbieter zu profilieren - weder in der Informationstechnologie noch beim Fernmeldegerät. Anders sieht die Sache bei Software und Services aus. Nachdem wir ursprünglich keine eigene Software entwickelten, sondern Applikationen von Dritten fertigen ließen, ist es heute wichtig, die Kontrolle über- das Software-Know-how nicht zu verlieren. Wir wollen durch Kapitalverflechtungen Einfluß auf ehemalige Lieferanten behalten.

Huet: Gleichzeitig wollen wir beispielsweise mit Lotus, deren Programm Notes gut zu unserem digitalen Diensteintegrations-Netz Numeris paßt, in neue TK-Märkte vorstoßen.

CW: Wie hoch schätzen Sie den Bedarf der Firmenkunden an Outsourcing-Services wie Diensteintegration und Systemverwaltung ein?

Huet: Amerikanische Untersuchungen besagen, daß heute etwa zehn Prozent der US-Firmen Outsourcing betreiben, im Jahr 2000 sollen es 70 Prozent sein. Nehmen wir einmal recht konservativ an, daß die entsprechenden Werte für Europa drei und 30 Prozent lauten, dann wäre das immer noch ein enormes Potential.

CW: Rechnerisch natürlich schon, aber viele Firmen lehnen Outsourcing doch wegen des damit verbundenen Verzichts auf strategische Unternehmensfunktionen ab.

Huet: Das sehe ich anders. Informations- und TK-Technik entwickeln sich so rasch, daß ein Unternehmen nicht gleichzeitig einen hohen Aufwand für sein Kern-Business und die wachsenden Support-Kosten tragen kann. Diese Erkenntnis setzt sich meiner Auffassung nach vor allem bei mittelständischen, aber technisch innovativen Firmen immer mehr durch. Im Gegensatz zur allgemeinen Einschätzung sind dagegen Großunternehmen noch eher in der Lage, den teuren IT- und TK-Support im eigenen Haus zu betreiben.