Personalentwicklung im Mittelstand:

Nicht immer die Großen imitieren

05.06.1992

Professor Dr. Christian Scholz Saarbrücken

Systematische Personalentwicklung im Mittelstand? Diese harmlose Frage läuft bei näherer Betrachtung hinaus auf die prinzipielle Existenzperspektive auch und gerade von kleineren Unternehmen, speziell auch in der DV-Branche. Denn eines wird bald deutlich werden; ob mit 80 oder 800 Mitarbeitern - letztlich entscheidet vor allem die jeweils praktizierte Form der Personalentwicklung über das langfristige Überleben im Markt.

Warum ist Personalentwicklung derartig wichtig? Da ist zunächst das wichtige und richtige Qualifikationsargument; Mitarbeiter werden geschult, um mit veränderten Aufgabenstellungen und ganz neuen Anforderungen fertig zu werden (Anpassungsentwicklung). Oder aber sie werden gezielt auf zukünftige. Aufgaben in ihrer geplanten Karriere vorbereitet (Aufstiegsentwicklung). Gerade im DV-Bereich besteht permanenter Bildungsbedarf, will man mit allen Neuerungen Schritt halten.

Personalentwicklung hat aber zudem eine immer bedeutsamer werdende Motivationsfunktion. Denn: Durch entsprechende Maßnahmen im Bereich der Personalentwicklung können sich Mitarbeiter immer mehr mit dem Unternehmen identifizieren, merken, daß das Unternehmen einiges in sie investiert und sehen (im glücklichen Fall) Schulung als Belohnung, nicht als Strafe.

Was ist aber nun eigentlich so problematisch an Personalentwicklung?

Vor allem kleinere Unternehmen sehen sich als erstes vor die Entscheidung gestellt, Personalentwicklung selbst vorzunehmen oder aber entsprechend ausgebildete Mitarbeiter "einzukaufen". Bei diesem "Make oder Buy" tendieren sie dann aber zum scheinbar sicheren Fremdbezug, entscheiden sich somit oft gegen eigene Personalentwicklung und unbemerkt für den ersten Schritt in den Abstieg: Diese Unternehmen versuchen dann nicht mehr, direkt Hochschulabsolventen für ihr Unternehmen zu begeistern, sondern wollen Absolventen mit einigen Jahren Berufserfahrung "einkaufen".

Falls wirklich entwickelt werden soll, muß dann der spezifische Entwicklungsbedarf lokalisiert werden. Gerade kleinere Unternehmen überlassen hier viel dem Zufall, verzichten somit auf eine systematische Personalentwicklung und sind schon wieder in Schwierigkeiten. Sicherlich: Für ein Unternehmen mit weniger als 300 Mitarbeiter ist es äußerst schwierig, ein sinnvolles und konzeptionell durchdachtes Personalentwicklungsprogramm zu realisieren. Auch sind Laufbahnplanung und Karriereperspektiven in kleineren und mittleren Unternehmen oft nur schwer zu realisieren und zu kommunizieren.

Und schließlich geht es um Inhalte: Von OOP bis ODT sind es zur Zeit gerade die technischen Inhalte, die Informatiker mit Recht faszinieren. Das ist sicherlich nötig, genügt aber alleine noch nicht und führt ebenfalls in die Sackgasse. Denn erst Schulung im Bereich Motivation, Teamentwicklung und Firmenkultur schafft den nötigen positiven Konkurrenzabstand. Der spezielle Arbeitsstil, der spezifische Umgangston der Mitarbeiter und die spezifische Firmenkultur erlauben dann eine entsprechende Profilierung auf dem Markt, die ihrerseits Einfluß auf den Erfolg des Unternehmens hat.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Natürlich ist der Verfasser - gerade auch aufgrund entsprechender Erfahrungen in der Praxis - durchaus der Meinung, daß es selbstverständlich auch in Unternehmen mit 5Ö bis 500 Mitarbeitern möglich ist, entsprechende Konzeptionen der Personalentwicklung zu realisieren.

Dies erfordert aber vor allem eine prinzipielle Denkhaltung, die - und dies belegen entsprechende Studien - nicht in jedem Fall vorhanden ist.

Vor kurzem wurde in einer entsprechenden Untersuchung belegt, daß kleinere Unternehmen diverse kleine, aber wirksame Handikaps haben: So tun sie sich oft etwas schwer, ein entsprechendes positives Image beim akademischen Nachwuchs aufzubauen. Auch sind sie nicht immer in der Lage, sich nach innen und außen so überzeugend und positiv wie Großunternehmen darzustellen. Gerade eine solche Unternehmenskultur ist es aber, die potentielle Mitarbeiter im Unternehmen stabilisiert.

Großunternehmen können durch eine Vielzahl von hierarchischen Ebenen Aufstiegsperspektiven suggerieren und zudem durch eine Fülle von Entwicklungsprogrammen permanent für "Bildung" sorgen. Auch verfügen viele über imposante Veranstaltungsräume und phantastische Lehrprogramme mit teilweise expliziten Standards, nach denen die Qualität von Vorträgen an der Größe der Schrifttypen und der strikten Einhaltung der Pausen gemessen wird. Kreativität, Vielfalt und Spontaneität fallen dabei zwangsläufig unter den Tisch: Der scheinbare Wettbewerbsvorteil der Großen verkehrt sich also bei näherem Hinsehen ins Gegenteil.

Vor allem Großunternehmen im Bereich der Hochtechnologie haben oft schon fast pathologische Unternehmenskulturen, gegen jede Änderung immunisiert und aufgrund ihrer Großartigkeitsvermutung gegen externe Änderungsimpulse abgeschottet. Anders als die Kleinen können diese Riesen sich nicht weiterentwickeln, da sie sich wegen ihrer Größe schwer tun, von erlerntem, aber veralteten Wissensschatz wegzukommen. "Entlernen" als Teil der kollektiven Personalentwicklung ist gerade bei Großunternehmen kaum möglich, was zur Verkrustung beiträgt.

Genau das Umgekehrte könnte aber bei kleineren und mittleren Unternehmen der Fall sein: Hier ist es wesentlich leichter, ein Seminar über Teamentwicklung zu entwerfen (und im Terminplan zu Positionieren) oder Führungskräfteseminare speziell auf das Unternehmen abzustimmen. Auch wäre es wichtig, Teamentwicklungsseminare für Techniker zu entwerfen, die plötzlich in Führungsverantwortung aufgestiegen sind und jetzt neben dem Ausleben ihrer innovativen Kreativität auch noch Mitarbeiter motivieren und koordinieren sollen.

Proaktive Ausrichtung auf die Umwelt und flexible Gestaltungsformen sind im Prinzip bei kleineren Einheiten leichter möglich, setzen aber entsprechende Lernbereitschaft voraus. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß gerade der Verzicht auf die starren Ablaufschemata der Großunternehmen dazu führen daß die Veranstaltung auch für die Teilnehmer mehr als eine langweilige Routine wird.

Trotzdem: Kleinere und mittlere Unternehmen haben offenbar im Hinblick auf systematische Personalentwicklung zur Zeit noch einen immensen Nachholbedarf: Auf der einen Seite fühlen sie sich mit Recht leistungsmäßig den größeren Unternehmen durchaus ebenbürtig. Auf der anderen Seite haben sie dann aber Komplexe wegen ihrer fehlenden Größe und treten auch im Bereich der Personalentwicklung wenig emanzipiert aufs trauen sich wenig zu und vermeiden es, entsprechende Maßnahmen einzuleiten - mit programmierter Konsequenz.

Bemerkenswert und von den Großen kopiert ist der oft unkritische Umgang mit sich selbst und vor allem mit der eigenen Führungskultur: Dabei ist es gerade in kleineren Unternehmen relativ leicht, in einem relativ kurzen Zeitraum Mitarbeiterbefragungen durchfuhren zu lassen, Schulungsmaßnahmen zu entwickeln und über entsprechende Workshop-Maßnahmen das gesamte Unternehmen zu integrieren.

Kleinere und mittlere Unternehmen, die auf Personalentwicklung verzichten, weil sie sich in diesem Punkt auf verlorenem Posten gegenüber Großunternehmen sehen, werden dazu beitragen, die These von der scheinbaren Überlegenheit der Großunternehmen zu stützen. Denn ein Verzicht auf Personalentwicklungsmaßnahmen macht gerade Unternehmen in der DV Branche zu äußerst wackeligen Kandidaten auf dem Schachbrett der DV-Märkte.

Genauso wie ein Computerprogramm nur in den seltensten Fällen zufällig entsteht, entwickelt sich kaum automatisch eine Personalentwicklungsstrategie im Unternehmen. Kleinere und mittlere (DV-) Unternehmen haben eine langfristige Überlebenschance, wenn sie ihre individuelle Entwicklungskonzeption formulieren und konsequent implementieren. Sie können leichter als Subkultur-geplagte Großunternehmen starke und prägnante Kulturen entwickeln. Vor allen Dingen ist es ihnen jedoch möglich, leichter die Probleme einer Kombination aus Technologieorientierung und Kundenorientierung in den Griff zu bekommen. Hier erleben bei sinnvoller Organisation fast alle Mitarbeiter die Marktnähe unmittelbar, anders als in den futuristischen Forschungsstätten der Großunternehmen, wo jeder Kontakt zur Realität verschwindet.

Die Annahme, daß kleinere Unternehmen wegen ihrer Defizite im Bereich der Personalentwicklung zwangsläufig in Schwierigkeiten geraten werden, ist durchaus realistisch. Die Gegen-Vision besteht aus einer bewußten eigenen Strategie der Personalentwicklung. Dabei sollten sich kleinere Unternehmen am PC orientieren: Er kam zum Durchbruch, gerade weil er nicht die Großrechner imitierte, sondern sich auf seine eigenen Stärken konzentrierte!