GMD-Studie ermittelte den Branchen-Status-quo in der Bundesrepublik, doch

Nicht alle Software-Anbieter müssen Europa '92 fürchten

13.04.1990

MÜNCHEN - Im November schockte eine Studie der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) die hiesige Softwarebranche: "Höchst ungenügend", so hieß es da, seien die bundesdeutschen Hersteller von Computerprogrammen auf Europa '92 vorbereitet. Für viele Software-Anbieter mag diese Analyse zutreffen. Doch manch mittelständisches Software- und Systemhaus hat einiges in petto, um dem Druck am EG-Binnenmarkt gewachsen zu sein. CW-Mitarbeiterin Heidrun Haug* hat sich umgesehen.

Hart klingen die Schlagzeilen und Kommentare, die sich mit dem Thema deutsche Softwarebranche und internationaler Wettbewerb befassen. Besonders drastisch hob dies eine Studie hervor, die im vergangenen November von der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) in Zusammenarbeit mit der Münchner Infratest veröffentlicht wurde: Von den Produktionsmethoden als auch der Verkaufsstrategie her seien bundesdeutsche Hersteller von Computerprogrammen "höchst ungenügend auf Europa und die damit verbundene verstärkte Internationalisierung des weiter rapide wachsenden Softwaremarktes vorbereitet".

Ausland macht deutschen SW-Häusern Avancen,...

Nur nach Bewältigung eines "gewaltigen Strukturwandels" könnten die heimischen Anbieter überhaupt gegen die starke internationale Konkurrenz bestehen. Diesen Wandel aber würden letztendlich nur die großen Häuser überstehen können.

Wie massiv die mächtigen Software- und Services-Unternehmen aus dem Ausland in Märkte dringen, konnten einige Anbieter hierzulande bereits im eigenen Haus erfahren. Zwei namhafte deutsche Softwarehersteller sind seit diesem Jahr in ausländischem Besitz. Die seit langem kriselnde, aber dennoch weiter unter den Top Twenty der deutschen Software-Stars rangierende ADV/Orga gehört jetzt zu fünfzig Prozent der britisch-französischen Sema Group, mit 800 Millionen Mark Jahresumsatz einer der größten europäischen Anbieter von Informationstechnologie.

... aber auch hiesige HW-Hersteller locken

Ein anderer Großanbieter, die französische Sligos-Gruppe, schluckte die Stuttgarter Actis, die mit einem Umsatz von 27 Millionen Mark im vergangenen Jahr auch nicht gerade eine Programmierkritsche ist.

Solche Ereignisse drücken auf die Stimmung der deutschen Software-Manager, zumal Diebold-Geschäftsführer Gerhard Adler erklärte, er kenne mindestens drei deutsche Softwarehäuser, die derzeit französische Avancen erwiderten.

Der Chef des Frankfurter Beratungshauses sieht aber auch Chancen. Der Bereich Software und Dienstleistungen hat im Gesamtmarkt für Informations- und Kommunikationstechniken noch immer die höchsten Zuwachsraten.

Auch in diesem Jahr dürfen sich diese Anbieter auf ein Plus bis zu 25 Prozent freuen, während das traditionelle Computergeschäft mit Hardwaresystemen zunehmend die Sättigungsgrenze erreicht. Dies bringt für die Softwareanbieter freilich auch Gefahren.

Die Rechnerhersteller nämlich, die allesamt ihr Geschäft auf Programmerstellung und Dienstleistungen ausrichten wollen, würden dafür gerne ein kompetentes Softwarehaus unter ihre Fittiche nehmen.

In der Bundesrepublik gab es Anfang 1989 rund 2500 Software-Unternehmen, Ein-Mann-Büros nicht mitgerechnet. Das Volumen des Software-Marktes wuchs von rund 500 Millionen Mark 1979 auf mehr als 12 Milliarden Mark 1988. Laut GMD-Studie war dieses Wachstum vor allem das Ergebnis der Tätigkeit kleiner und mittlerer Firmen. Nur 70 bundesdeutsche Software-Unternehmen mit einem Marktanteil von knapp 20 Prozent beschäftigen mehr als hundert Mitarbeiter. Im Vergleich zu den französischen und britischen Häusern - Platzhirsch Cap Gemini Sesa macht rund eine Milliarde Mark Umsatz - sind diese Unternehmen noch immer "Zwerge" mit geringer internationaler Marktbedeutung. Zusätzlich operierten viele Unternehmen an der Grenze der Profitabilität.

Unter den zwanzig Großen der bundesdeutschen Software-Branche machen die meisten einen Strich, wenn sie nach ihrem Exportanteil gefragt werden. Nur zehn Prozent der größeren Software-Unternehmen erzielen ein Fünftel oder sogar mehr ihres Umsatzes im Ausland. Insgesamt haben nur elf Prozent der deutschen Unternehmen Niederlassungen oder Tochterfirmen in anderen Ländern. Umgekehrt dagegen, so die GMD-Studie, gehören 34 Prozent der hierzulande tätigen Software-Unternehmen zu ausländischen Mutterfirmen.

Einsame Spitzenstars unter den international agierenden bundesdeutschen Softwarehäusern sind typischerweise die Unternehmen, die in der Rangordnung der Umsatzstärksten ohnehin die Positionen Eins und Zwei besetzen: die Software AG in Darmstadt mit mehr als 70 Prozent Auslandsumsatz und die SAP in Walldorf, die ihre Standard-Anwendungspakete zu gut einem Drittel außerhalb der deutschen Landesgrenzen verkauft.

Mächtig aufgeholt hat in den vergangenen Jahren zudem die Softlab GmbH in München, die - obwohl umsatzschwächer - ebenfalls ein Drittel ihres Geschäfts im Ausland tätigt.

Sowohl die Software AG als auch die SAP setzten frühzeitig auf einen Trend, den die meisten bundesdeutschen Anbieter regelrecht verschlafen haben: Standardprodukte. Dabei betätigen sich die Darmstädter im Bereich Datenbanken, während die Walldorfer ihren Schwerpunkt bei Anwendungsprogrammen haben. Beide Unternehmen sind die einzigen deutschen Anbieter, die in diesen Marktsegmenten eine bedeutsame Rolle spielen. Dabei sprechen alle Anzeichen in der Computerindustrie dafür, daß dieser Trend in den nächsten Jahren nicht nur weitergehen, sondern sich erheblich verstärken wird (siehe auch Bericht über die Software AG im Anschluß).

Nischenanbieter brauchen Partner

Die Ausgangsposition der anderen Softwarehäuser, die ihr Geld im wesentlichen mit Projekten oder mit Nischenprodukten verdienen, ist schlechter. Ihre Ertragskraft erlaubt es ihnen kaum, große Sprünge zu machen. Auch sind diese Häuser bei grenzüberschreitenden Projekten zur konzernweiten Software-Integration zumeist überfordert. Wollen sie nicht in Nischen abgeschoben oder von ausländischen Anbietern aufgekauft werden, gibt es für die meisten der Branche deshalb nur einen Ausweg: Kooperationen, strategische Partnerschaften, Beteiligungen.

Beste Voraussetzungen haben indes jene Softwarehäuser, die Teil eines größeren Konzerns sind, so etwa mbp, Tochter des Stahlriesen Hoesch, GEI mit Daimler -Benz im Rücken oder Ikoss, an der Thyssen zu einem Drittel beteiligt ist. Im Schatten dieser Mutterschiffe läßt sich auch in unbekannten Gewässern ganz gut segeln. Außerdem haben diese internationalen Konzerne überall ihre Niederlassungen und Fertigungsstandorte, die in die Informationsstrategie des deutschen Mutterhauses eingepaßt werden müssen.

Neben diesen Unternehmen, die es entweder mit Standardprodukten zu internationalem Ansehen gebracht haben oder nun im Schatten ihrer Mutterkonzerne den Sprung ins Ausland wagen, gibt es noch eine dritte Kategorie.

Das sind die heimlichen Aufsteiger, die ohne ersichtlichen Grund und vor allem ohne große Ankündigung plötzlich da sind und sich ausbreiten. Einer dieser Überraschungskandidaten ist die Integrata AG.

Insgesamt ist in der bundesdeutschen Software-Branche einiges in Bewegung geraten. Von einer allgemeinen Aufbruchstimmung gen internationale Märkte zu reden, wäre aber dennoch sicherlich übertrieben und verfrüht.

Denn gemessen an Frankreich oder England macht die hiesige Software-Industrie derzeit noch einen eher unterentwickelten Eindruck.