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Nicholas Carr: IT wird zur Dienstleistung

06.05.2005
IT-Abteilungen, wie wir sie heute kennen, werden verschwinden, glaubt Nicholas Carr, weil Firmen ihre Computing-Assets zukünftig als Service von Versorgern beziehen.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach "Does IT Matter" hat der frühere Chefredakteur des "Harvard Business Review", Nicholas Carr, jetzt einen neuen Aufsatz mit dem Titel "The End of Corporate Computing" veröffentlicht. Dieser ist in der Frühjahresausgabe des "MITSloan Management Review" erschienen. Die zentrale Aussage: IT wird nicht mehr zu den Aktiva von Anwenderunternehmen gehören, sondern stattdessen von Versorgungsunternehmen als Service bezogen.

Mit unserer Kollegin Kathleen Melymuka von der US-amerikanischen "Computerworld" sprach Carr über seine neuesten Einsichten.

CW: Sie nennen Ihren Artikel "Das Ende des Unternehmens-Computings". Warum?

CARR: Bislang wurde unterstellt, Firmen müssten die grundlegenden Assets des Computing selbst besitzen. Ich denke, wir treten in ein Zeitalter ein, in dem diese Annahme überholt ist und sich diese Aktiva von den Firmen weg hin zu stärker zentralisierten Versorgungsunternehmen verlagern.

Diese Verschiebung ähnelt dem, was wir vor 100 Jahren gesehen haben, als alle Fertigungsunternehmen noch ihre eigenen Generatoren betrieben, um ihre Maschinen mit Strom zu versorgen. Im Laufe von 20 bis 30 Jahren haben sie diese Generatoren abgeschaltet und angefangen, die Elektrizität von Versorgungsunternehmen zu kaufen. Und so, wie wir heute nicht mehr über firmeneigene Stromversorgung sprechen, werden wir morgen nicht mehr über firmeneigenes Computing reden, denke ich.

CW: Es gab in den letzten Jahren viele Diskussionen um das Thema Utility Computing. Was ist bei Ihrem Ansatz anders?

CARR: Ich versuche, die Wirtschaftlichkeit des Business-Computing zu untersuchen im Gegensatz zur reinen Technologie von Utility Computing. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ging es in den Diskussion über Utility Computing oftmals um isolierte Vorkommen von gehosteten Anwendungen - so wie Salesforce.com oder Firmen, die die Websites anderer Unternehmen hosten. Man kann leicht unterstellen, dass dies ein fragmentiertes Phänomen ist, bei dem eine Menge Unternehmen eine begrenzte Anzahl ausgelagerter Dienstleistungen anbieten.

Ich glaube, dass es eine weit größere Veränderungswelle gibt, bei der das komplette heutige Modell von Business Computing auf der Fragmentierung der grundlegenden Assets beruht - jeder kauft im Grunde ähnliche Ausrüstung und Software. All dies Zeug lässt sich letztlich außerhalb der Unternehmen zentralisieren, und das wird zu erheblich größerer Effizienz führen, die sich für die Anwender in geringeren Kosten und höhere Zuverlässigkeit übersetzt.

CW: Mal angenommen, Sie haben Recht, dann ist dies eher ein gradueller Prozess als ein einmaliges Ereignis, oder?

CARR: Absolut. Wir werden nicht morgen früh aufwachen und all unsere Computing-Bedürfnisse über eine Steckdose in der Wand befriedigen. Es wird ein paar Jahrzehnte dauern, bis sich diese Entwicklung vollzogen hat. Die Utility-Dienstleister müssen erst langsam genügend Größe und ausreichendes Know-how aufbauen, damit sie die immer größer werdenden internen Rechenzentren ablösen können.

Das fängt üblicherweise mit kleineren Unternehmen an, die es schwierig finden, ihre eigenen Systeme zu kaufen und zu betreiben. Sie werden die ersten sein, die auf ein Utility-Modell umsteigen. Wenn das Angebot dann irgendwann effizienter wird, wird es Skalenvorteile gegenüber größeren Unternehmens-IT-Funktionen haben.

CW: Das Utility-Modell führt in die Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter, was IT-Verantwortlichen zu Recht Sorge bereitet.

CARR: In der Tat besteht über die Interessen der individuellen Anwender hinaus die Gefahr, dass zu viel von dieser sehr wichtigen Infrastruktur in die Hände zu weniger Anbieter fällt.

Es ist daher wichtig, dass es weiterhin Wettbewerb sowohl auf der Ebene der Versorger als auch unter deren Zulieferern gibt. Glauben Sie nicht, dass die Hard- und Softwarefirmen verschwinden werden - sie beliefern künftig nur nicht mehr den Endanwender, sondern das Utility-Unternehmen. Es ist also auf höchster Ebene kritisch, starken Wettbewerb zwischen diesen Parteien sicherzustellen. So wie auch bei der Elektrizität könnte dies erforderlich machen, dass die Regierung eine allzu starke Konsolidierung verhindert.

Auf der Ebene der einzelnen Firma gibt es bestimmte Risiken, wenn man seine Assets bei einem Lieferanten konsolidiert, aber auch beträchtliche Vorteile. Schlussendlich werden diese Vorteile, dass man die Verantwortung für teure, heikle Gerätschaften los wird, dazu führen, dass man seine Ängste überwindet, deren Betrieb jemand anderem zu überlassen.

CW: Wenn man die Elektrizitäts-Analogie betrachtet, dann gibt es dort nicht die Art von Sicherheitsrisiken, die bei der Datenübertragung vorhanden sind. Wie passt die Security hier ins Bild?

CARR: Ich denke, dass letztlich die zentralisierte Kontrolle über einen Großteil der grundlegenden IT-Infrastruktur das Sicherheitsniveau über das aktuell stark fragmentierte und verteilte Modell hinaus heben wird. Wo IT stärker verteilt ist, da ist sie auch in vielfältiger Weise verletzlicher. Einer der Vorteile des Utility-Modells ist, dass der gesamte Erfolg und das Schicksal des Versorgers von seiner Fähigkeit abhängt, Sicherheit zu gewährleisten.

Das vorausgesetzt, gibt es sicher eine Reihe von Sicherheitsproblemen, wenn es um die Konsolidierung von Daten geht. Auf der Ebene von Technik und Policy brauchen wir noch einige Innovationen und Verbesserungen, um den Grad von Sicherheit zu erreichen, der das Aufkommen wirklich großer Utilities ermöglicht. Aber mit der Zeit wird die Wirtschaft diese vorantreiben und es wird sie geben.

CW: Sie sagen, dass ein externer Versorger die Verantwortung für alle IT-Anforderungen eines Unternehmens übernehmen wird. Wäre das nicht so, als würde man erwarten, dass das E-Werk auch Ihre Glühbirnen, Ihren Fernseher und Ihren Staubsauger liefert?

CARR: Nicht wirklich. Ein wichtiger Unterschied zwischen Elektrizität und IT ist die Anzahl der Anwendungsschichten, und damit meine ich nicht bloß Anwendungssoftware. Bei der Elektrizität hatte man die Erzeugung und Nutzung, die lokal stattfinden musste - zum Beispiel beim Staubsauger. In der IT gibt es die grundlegende Infrastruktur und dann eine Schicht Applikationen, die man zunehmend remote betreiben kann. Wie dann allerdings der Output dieser Anwendungen von den Firmen verwendet wird - das ist die "Staubsauger-Schicht", die lokal bleiben wird.

Firmen werden weiterhin herausfinden müssen, wie sie die Informationen in Software am besten nutzen, wie sie ihre Prozesse anpassen, und was sie heute sonst noch so alles tun. Der Unterschied ist, dass sich jemand anderes um diesen ganzen Unterbau sorgen darf.

CW: Existiert in Ihrer Vision noch irgendetwas, das man als IT erkennen kann?

CARR: Bei diesem Modell wird das, was wir heute IT-Abteilung nennen, wohl kaum in seiner heutigen Form weiter bestehen. Ich glaube, man wird aber auch zukünftig Leute brauchen, die tiefgehendes technisches Wissen mit starkem Wissen über Geschäft und Prozesse kombinieren. Es wird weiter diese Person benötigt, die all das übersetzen kann, was man von externen Lieferanten bezieht, und dies an die eigenen Prozesse anflanscht.

Wenn man unterstellt, dass IT-Abteilungen seit einiger Zeit ihren Fokus stärker auf Prozesse und Business richten, dann ist dies in gewisser Weise eine Fortsetzung dieser Verschiebung.

Nicholas Carrs Artikel ist nur als Exzerpt online verfügbar. Das PDF mit dem Volltext kann man für 6,50 Dollar kaufen. (tc)