NHS-Projekt: Kneift Accenture?

01.09.2006
Das britische Gesundheitsministerium droht dem Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen Strafzahlungen von bis zu 1,5 Milliarden Euro an.

Britischen Zeitungsberichten zufolge möchte sich Accenture aus dem IT-Projekt des UK National Health Service (NHS) zurückziehen. Das Vorhaben zielt auf die Modernisierung der kompletten IT-Landschaft des britischen Gesundheitssystems und sieht unter anderem die Vereinheitlichung von 900000 Desktops sowie gemeinsame Datenbanken, Buchungs- und Transaktionssysteme für Patienten, Krankenhäuser und Ärzte vor. Der Umfang wird auf mehr als 18 Milliarden Euro geschätzt. Accenture ist neben CSC, BT Group und Fujitsu Generalunternehmer für das Vorhaben.

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Das Projekt ist in der Vergangenheit mehrmals ins Stocken geraten. So musste Accenture im zweiten Geschäftsquartal 2006 aufgrund des NHS-Projekts Rückstellungen in Höhe von insgesamt 450 Millionen Dollar ausweisen. Das war offenbar Anlass genug für die IT-Consultants, den Rückzug vorzubereiten. Entsprechende Berichte britischer Zeitungen kommentierte der Anbieter nicht. Den Meldungen zufolge droht die NHS-Projektleitung nun mit einem Strafgeld von einer Milliarde Pfund (1,48 Milliarden Euro), falls Accenture das Konsortium tatsächlich verlassen wird.

Accenture macht den Anbieter iSoft für die Probleme und Verzögerungen verantwortlich, der die Branchensoftware "Lorenzo" für das Großprojekt bereitstellen soll. Als Beleg für die Versäumnisse des Softwareherstellers dient Accenture eine zusammen mit CSC betriebene Studie, die die Leistungsfähigkeit von iSoft analysiert. Die Erhebung schließt mit dem Fazit, für die in Aussicht gestellte Applikation "existiere kein definierter Funktionsumfang und daher auch kein Zeitplan für Veröffentlichungen".

Das NHS-Management beharrt dennoch auf Fortführung und zeigte sich überrascht von Accentures Kritik an iSoft. Es erinnerte die ausstiegswilligen Berater an ihre "klar definierte Verantwortung und Lieferverpflichtungen". Im Fall eines Ausstiegs von Accenture stünde zudem CSC bereit, die Aufgaben zu übernehmen. Accenture verantwortet die Einführung der IT-Landschaft im Nordosten und Norden des Landes. CSC bearbeitet die gleiche Aufgabe im Westen und Nordwesten Großbritanniens und wurde bereits in der Vergangenheit von den NHS-Verantwortlichen gelobt. Dort schreite das Projekt schneller voran, so die Projekt-Manager, obwohl CSC unter gleichen Voraussetzungen arbeite wie Accenture, also auch die iSoft-Lösung einführen müsse.

Andererseits erhält Accentures Kritik indirekt Nahrung durch einen Brief der British Computer Society (BHS), die eine technische Überprüfung des gesamten NHS-Vorhabens empfiehlt. Die BCS äußerte Zweifel daran, inwiefern eine zentrale Installation für sämtliche Patientendaten in der komplexen NHS-Organisation zuverlässig zu betreiben sei. "Eine verteilte Architektur würde mehr Flexibilität bieten", so die BHS. (jha)