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Ausweg verzweifelt gesucht

"Neverland": Google wehrt sich gegen die Normalität

16.04.2008
Von Handelsblatt 

Für Mattos haben die Billardtische, der Wellness-Bereich, der Ruheraum samt Aquarien und die Videospielkonsolen nur einen Zweck: Innovationen zu fördern und so die Dominanz von Google zu sichern. Dafür arbeiten die "Zoogler", die Züricher Googler, von morgens früh bis spät in der Nacht. Sie feilen an Web-Technologien, die bald Millionen weltweit nutzen sollen. Im Hürlimann Areal, wo früher Bier gebraut wurde, entstehen nun Algorithmen für die beliebteste Suchmaschine der Welt, neue Kniffe für Google-Maps oder Googlemail - auf dass die "Googleware" wachse und gedeihe.

So nennen Ralf Kaumanns und Veit Siegenheim in ihrem Buch "Die Google-Ökonomie" den Mix aus Hard- und Software, die es Google ermöglicht, aus acht Milliarden Webseiten in 0,2 Sekunden eine Trefferliste zu erstellen. In 0,05 Sekunden werden bis zu 700 von weltweit über 400.000 Google-Servern abgefragt. Hinzu kommt ein ausgefeiltes System für Platzierung und Auswertung von Online-Suchwortwerbung. Google-Produktchefin Marissa Mayer nennt das alles die "geheime Soße", die Google so erfolgreich macht.

Jürgen Galler ist einer der Köche, die an dieser Soße mitkochen. "Du musst dir hier deinen Job in großen Teilen schon selbst erarbeiten", sagt der 41-Jährige aus Südtirol. Er hat in Tokio gelebt, in Spanien und in Gütersloh. Als Google ihn ansprach, war er gerade selbstständig. Er flog ins "Googleplex", die Zentrale in Mountain View, Kalifornien - und ließ sich von der Unternehmenskultur gefangen nehmen. Ihn fasziniere die Freiheit, sagt Galler, die er bei allem Leistungsdruck trotzdem habe. 20 Prozent der Arbeitszeit darf ein Googler für eigene Projekte nutzen. So entstand etwa der Nachrichtendienst "Google News". Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 fand es ein Googler zu mühsam, alle Nachrichten im Web manuell zusammenzusuchen. Für sich selbst schuf er eine Software, die heute Tag für Tag weltweit Millionen nutzen.

Vom ersten Tag an hat jeder Ingenieur Zugriff auf alle Geheimzutaten der "Google-Soße": jede Zeile Programmcode, jedes Dokument, jedes Projekt. Sieht jemand ein Problem, wird von ihm erwartet, dass er es anpackt und löst, ohne dass er auf eine Anweisung wartet. Neun Kernregeln managen Google, sagt Nelson Mattos. Etwa: "Stelle nur die Besten ein." Oder: "Ideen kommen von überall her." Oder: "Teile alle Informationen mit allen." Oder: "Kille keine Idee - mache sie einfach besser." Die Ansage an die Neulinge, sagt Mattos bei Pasta und Bionade in der Kantine, sei simpel: "Hit the ground and run" - leg mit voller Kraft los, sofort.

Doch diffuse Kraft ohne klare Richtung verpufft leicht. Bei Regel Nummer fünf etwa müssen Google-Aktionäre schlucken: "Der Nutzer kommt zuerst - danach das Geldverdienen." Und Mattos bestätigt auch frank und frei, was Investoren das Blut in den Adern gefrieren lässt: "Kosten spielen hier keine Rolle." Aber der Manager weiß auch, dass sich Google wandeln muss. Zürich ist dafür ein Anfang. Über 50 Prozent aller Google-Nutzer leben heute außerhalb der USA, sagt Mattos. Sie verlangen nach Angeboten, die auf sie zugeschnitten sind. Dafür müssen lokale Talente her. Und weil "noch lange nicht jeder in Kalifornien leben will", können die Googler arbeiten, wo sie leben möchten. In St. Petersburg, in Haifa oder eben in Zürich.