ANSI will etablierte Sprach-Features aus der Programmier-Guideline streichen:

Neuer Fortran-Standard entzweit US-Hersteller

21.08.1987

FRAMINGHAM (CW) - Zum Zankapfel gerät in amerikanischen Herstellerkreisen der geplante Standard "Fortran 8X". In die Richtlinie würden einerseits zu viele neue Details eingebunden und andererseits bereits etablierte Features gestrichen, monieren die Kritiker.

Die Fortran-Aktivitäten des American National Standards Institute (ANSI) haben inzwischen zu einer Spaltung der Anbieter in zwei Lager geführt. Unbestritten ist nach Ansicht aller Beteiligten, daß eine Modernisierung des Standards unumgänglich ist. Darüber, wie die neue Richtlinie im Endeffekt aussehen soll, gehen die Meinungen allerdings auseinander.

Der X3J3-Ausschuß des ANSI legte den Standardentwurf mit der vorläufigen Bezeichnung "Fotran 8X" kürzlich nach einer Abstimmung mit dem Ergebnis von 26 zu 9 Stimmen dem Schirmgremium der Normungsinstitution zur weiteren Bearbeitung vor. Zu den Befürwortern gehören die Concurrent Computer Corp., Prime, Control Data, Cray Research und Alliant Computer Systems. Eine Reihe namhafter Fortran-Entwickler und -Benutzer, darunter IBM, Digital Equipment, Unisys, Harris und Boeing Computer Services, hatte sich gegen diesen Schritt ausgesprochen.

"Meiner Ansicht nach will das X3J3-Komitee des ANSI die Sprache in einer nicht zu rechtfertigenden Weise verändern", kritisiert beispielsweise Unisys-Sprecher Michael Maynard. Mehr ins Detail geht Robert Allison, Senior Engineer der Compiler-Entwicklungsgruppe bei Harris: "Zahlreiche neue Features, die in den Standard eingebunden werden sollen, befinden sich erst im Experimentierstadium."

Besonders wichtig ist die Diskussion um die neue Richtlinie für Digital Equipment, da Fortran die von DEC-Kunden am meisten verwendete Sprache ist. Nach den Worten von Gary Robinson, Manager of Corporate Standards bei dem Hersteller und DEC-Repräsentant im X3J3-Komitee, befürwortet Digital Equipment deshalb durchaus einen neuen Sprachstandard; in der momentan beabsichtigten Form sei die Guideline jedoch nicht akzeptabel.

Der ANSI-Ausschuß mache sich beispielsweise dafür stark, Fortran-Compiler um die Möglichkeit der Array-Verarbeitung zu erweitern; dabei lasse sich diese Aufgabe heute bereits wesentlich effektiver auf Hardware-Basis realisieren. Robinson: "Die Übernahme der Array-Verarbeitung in den Fortran-Standard kann sogar leicht zu einer verzögerten Entwicklung dieser neuen Technologie führen."

Ferner wendet sich der DEC-Repräsentant dagegen, daß bestehende Features aus dem Standard gestrichen werden sollen. Als logische Folge eines solchen Schritts sieht er unweigerlich Kompatibilitätsprobleme zwischen Fortran-66- und Fortran-77-Programmen einerseits und dem Fortran-8X-Standard andererseits.

Dem ANSI-Ausschuß liegen derzeit mehrere Optionen vor, die dafür sorgen sollen, daß 16-Bit-, 32-Bit- und 64-Bit-Maschinen bei der Lösung eines mathematischen Problems zum gleichen Ergebnis kommen. Das Normungskomitee habe sich für keinen dieser Vorschläge entschieden, moniert Robinson. In der künftigen Guideline müsse dieser Punkt jedoch unbedingt berücksichtigt werden um eine höhere Portabilität von Fortran-Programmen zu gewährleisten.

Als Mittler zwischen den beiden Parteien versteht sich die Concurrent Computer Corp. Man habe lediglich für den neuen Standard gestimmt, so formuliert ein Unternehmenssprecher, um guten Willen zu zeigen und innerhalb des Komitees zu einer Kompromißlösung zu kommen. Dazu Concurrent-Repräsentant Brian Thompson: "Moralisch stehen wir aber auf der Seite der Kritiker."

Amerikanische Branchenkenner vergleichen die Diskussion um den geplanten Fortran-Standard mit den Bestrebungen, die Programmiersprache Cobol um mathematische Funktionen zu erweitern (siehe CW Nr. 30 vom 25. Juli 1986, Seite 1). Auch in diesem Fall stießen die Aktivitäten des ANSI bei den Software-Experten in Amerika und Europa auf herbe Kritik. Befürchtet wurde vor allem, daß die neuen Features die Sprachstruktur von Cobol verfälschen könnten.