Warum der Medienkonzern auf Outsourcing verzichten kann

Neuer CIO räumt die Bertelsmann-IT auf

18.10.2002
MÜNCHEN (qua) - Outsourcing als Ultima Ratio? Nicht für Ragnar Nilsson, seit drei Monaten Konzern-CIO der Bertelsmann-Gruppe. Während andere Großunternehmen ihre Informationstechnik auslagern, will er die IT-Infrastruktur intern straffen und damit pro Jahr mindestens 60 Millionen Euro sparen.

Als Berater des Bertelsmann-Vorstands hatte Nilsson seit April dieses Jahres gedankliche Vorarbeit für die Umgestaltung geleistet: Schrumpfende Werbeeinnahmen zwangen den in Gütersloh beheimateten Medienkonzern, auch im IT-Umfeld nach Sparpotenzialen zu fahnden. Darüber hinaus sollte eine Plattform geschaffen werden, auf deren Basis sich künftige Geschäftsmodelle, beispielsweise im Bereich Wireless-Technik, möglichst rasch umsetzen lassen.

Das "Ignition" getaufte Vorhaben verfolgt drei Ziele, von denen "Kosten senken" das wichtigste ist. Konkret will Nilsson die stark fragmentierte IT-Infrastruktur mit derzeit "Hunderten" von Server-Standorten an einigen wenigen Lokationen, den "Shared Service Centers", zusammenziehen. Auch die Zahl der Lieferanten soll sich verringern; das betrifft vor allem die Beschaffung von Endanwender-Equipment und weltweiten Netzservices. Geld sparen wollen die IT-Verantwortlichen beispielsweise auch, indem sie laufende Verträge neu aushandeln und den Zeitpunkt für Ersatzinvestitionen intelligent wählen.

Ohne Entlassungen wird die Neuorganisation sicher nicht vonstatten gehen: "Kostenreduzierung bedeutet immer auch Personalreduzierung", so Nilsson. Derzeit sind 1300 Bertelsmann-Mitarbeiter mit der IT-Infrastruktur befasst. Darauf, wie viele es nach der Neustrukturierung sein werden, will sich Nilsson nicht festlegen.

Mit Hilfe der angestrebten Konsolidierung hofft der Konzern-CIO, ab dem kommenden Jahr die IT-Kosten deutlich senken zu können. Für 2004 hat er Einsparungen von 60 bis 90 Millionen Euro im Visier. Diese Summe dürfte etwa 15 bis 20 Prozent des IT-Infrastruktur-Budgets entsprechen.

Ähnliche Einsparungen ließen sich auch durch die komplette Auslagerung des IT-Betriebs erzielen. Doch das steht für Nilsson nicht zur Debatte. Er werde zwar "vom Grundsatz her denselben Weg gehen wie ein Outsourcer" - aber mit dem Unterschied, dass die IT-Aufgaben innerhalb des Konzerns und "so weit wie möglich mit eigenen Leuten" gelöst werden. Die Entscheidung für eine Auslagerung laufe der historischen Entwicklung des Konzerns zuwider und sei deshalb nicht vermittelbar: "Bertelsmann ist aus Hunderten von Gesellschaften mit eigener IT-Hoheit zusammengewachsen", erläutert der Chefinformatiker.

Die CIOs bleiben im Amt

Deshalb bleiben die CIOs der sieben Bertelsmann-Gesellschaften - Gruner + Jahr, RTL, Direct Group, Corporate Center, Arvato, Random House und BMG - nicht nur im Amt, sondern arbeiten im Rahmen des "CIO-Council" an der Entwicklung der neuen Infrastruktur mit - übrigens ohne dass sie Nilsson formal unterstellt wären. Dort, wo es die Vernunft erfordert, wird der Konzern allerdings IT-Aufträge nach außen vergeben.

Die beiden anderen Ignition-Ziele heißen: "Zusammenarbeit verbessern" und "Servicequalität steigern". Um sie erreichen zu können, mussten Nilsson und das CIO-Council zunächst einige Hindernisse aus dem Weg räumen: Bis dato hatte der Konzern weder über seine IT-Ausgaben noch über die vorhandenen IT-Assets einen Überblick. IT-Services wurden meist ohne formale Verträge erbracht, weshalb sich ihre Qualität kaum messen ließ. Aufgrund der zerrissenen Infrastruktur gab es zudem wenig bereichsübergreifende Zusammenarbeit, und das Thema Sicherheit handhabte jede Gesellschaft nach eigenem Gusto. Heute, nach dem Abschluss der ersten Ignition-Phase, existieren finanzielle und technische Benchmarks, verbindliche Service-Level-Agreements, ein erster Entwurf der künftigen Infrastruktur sowie ein Notfallplan und eine Sicherheitsstrategie.

Wie sich diese Standards in die Praxis umsetzen lassen, will Bertelsmann nun anhand eines Pilotprojekts untersuchen. Als geeignete Versuchskaninchen erschienen dem CIO-Council die vier US-Niederlassungen, die zusammen etwa ein Drittel der gesamten IT-Infrastrukturkosten verursachen. In den nächsten Monaten wird dort an einem Modell gefeilt, das sich anschließend auf die weit komplexeren europäischen Strukturen und die asiatischen Niederlassungen übertragen lässt. Laut Nilsson soll die neue Organisation spätestens Ende 2004 konzernweit eingeführt sein.