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Neue Vorwürfe gegen SER-Manager

05.07.2002
Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre will den dubiosen Verkauf des US-Geschäfts von SER rückgängig machen lassen und notfalls deren Manager auf Schadensersatz in Millionenhöhe verklagen.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Im Zusammenhang mit dem umstrittenen Verkauf des US-Geschäfts sieht sich die SER Systems AG schweren Vorwürfen ausgesetzt. Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) will die Transaktionen rückgängig machen lassen und notfalls SER-Manager auf Schadensersatz in Millionenhöhe verklagen. Gestern hat SER Systems die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt (Computerwoche online berichtete).

Zu Ex-Chef Gert Reinhardt hat Vorstand Kurt Werner Sikora nur noch "eingeschränkten Kontakt".

Wie berichtet hat der ehemalige SER-Vorstandschef Gert Reinhardt entgegen einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts Koblenz das US-Geschäft und weitere Vermögensteile an die Firma KES Acquisitions LLC verkauft. Die US-amerikanische KES gehört dem ehemaligen SER-Finanzvorstand Carl Mergele. Reinhardt, der am 28. Juni aus dem Vorstand ausgeschieden ist, hat trotz mehrmaliger Anfragen nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung genommen.

Nach Schätzungen der SdK beträgt allein der Wert der veräußerten Unternehmen mindestens 66 Millionen Euro. Dabei handelt es sich neben den US-Tochtergesellschaften SER Systems Inc. und SER Solutions Inc. auch um die SER Technology Deutschland GmbH. Hinzu kommen millionenschwere Rechte an SER-Technologien wie der Knowledge-Management-Software “SER Brainware”. Einen angemessenen Kaufpreis für die Transaktion hatte Mergeles KES dabei nicht zu bezahlen, berichtet die SdK. Das geht auch aus Unterlagen hervor, die der COMPUTERWOCHE vorliegen.

Besonders dreist ging Reinhardt offenbar bei der Veräußerung von Vermögenswerten der SER Technology Deutschland vor, die zum Zeitpunkt der Veräußerung von einer Firma HG Becker GmbH gehalten wurden. Aus einer Nachtragsurkunde des Notars Michael Wagner ergibt sich, dass der ursprünglich zur Hauptversammlung am 25. April 2002 bekannt gegebene Kaufpreis nachträglich reduziert wurde. Am 2. Mai 2002 erschienen demzufolge Reinhardt, handelnd als Geschäftsführer der SER Technology Deutschland GmbH, und Kurt Werner Sikora, heute SER-Vorstandschef, als “Vertreter ohne Vertretungsmacht” für die KES Acquisitions LLC bei dem Notar. “Bei der Bezifferung des Kaufpreises ist den Vertragsbeteiligten ein Irrtum unterlaufen”, steht in der Änderungsurkunde, die der COMPUTERWOCHE vorliegt. Zur Berichtigung desselben änderten sie den Kaufpreis: von fünf Millionen Dollar auf 50.000 Euro.

Gläubigern und Anteilseignern drohe ein Schaden in Millionenhöhe, erklärte die SdK am 1. Juli; 400 Arbeitsplätze seien in Gefahr. Die Aktionärsschützer haben Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geschlossenen Verträge und lassen derzeit unter anderem prüfen, ob diese wegen Sittenwidrigkeit unwirksam sind. Sollte die von Reinhardt vorgenommene Vermögensübertragung nicht mehr rückgängig zu machen sein, werde die SdK “die in Deutschland noch greifbaren Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der SER Systems AG” auf Schadensersatz verklagen. SER-Vorstand Sikora erklärte zwischenzeitlich gegenüber der CW, auch er hege Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verträge. Diese befänden sich in der Prüfung. Zu Reinhardt habe er derzeit nur “eingeschränkten Kontakt.”

In einer Pressemitteilung fordern die Aktionärsvertreter alle betroffenen Anteilseigner der SER Systems AG sowie alle durch die SER eventuell geschädigten Gläubiger auf, sich bei ihr zu melden. Die Aktionärsvertreter haben dazu eine Hotline eingerichtet (E-Mail: ser-systems@sdk.org, Telefon: 089/59 99 87 33). Der Fall SER ist damit noch längst nicht beendet, betont SdK-Anwalt Clemens Jobe: “Das ist nur die Spitze des Eisbergs.”

Unterdessen melden sich neben den Aktionären auch aus der Softwarebranche erste Opfer der Geschäftspraktiken Reinhardts zu Wort. “Die haben uns um unsere Forderungen betrogen”, klagt Karl Schneebauer, geschäftsführender Gesellschafter der Softwarefirma AMI-IT Consulting GmbH. Seit Ende Februar wartet er auf ausstehende Zahlungen von der SER Technology GmbH. Die Forderungen beliefen sich mittlerweile auf rund 100.000 Euro.

Schneebauers Unternehmen hatte einen Partnerschaftsvertrag mit der SER Technology Deutschland geschlossen, damals eine Tochtergesellschaft der SER Systems AG. Als er versuchte, auf gerichtlichem Weg an das Geld zu kommen, ergab sich ein Problem. “Die SER Technology Deutschland GmbH gibt es in dieser Form nicht mehr”, so Schneebauer. Reinhardt habe das Unternehmen im Rahmen der Veräußerung des US-Geschäfts an die US-Firma KES Acquisitions LLC verkauft. Damit war die deutsche SER nicht mehr zuständig. Die neue SER Technology Deutschland GmbH, agiere nun als hundertprozentige Tochter der KES. AMI-IT habe jetzt Ansprüche gegen eine de facto nicht mehr existierende Firma und sei damit in eine ausweglose Lage geraten. Schneebauer: “Das Geld ist weg. Wir sind finanziell am Ende.”

Ob Schneebauer nach der Insolvenz der SER Systems AG noch mit Zahlungen rechnen kann, ist offen. Hoffnung bestünde möglicherweise, wenn der Verkauf der alten SER Technology Deutschland GmbH tatsächlich rückabgewickelt würde. In diesem Fall wären Vermögenswerte wie besagte Softwarerechte Bestandteil der Konkursmasse.

Offiziell begründet SER den Insolvenzantrag vom 4. Juli so: Die Gläubigerbanken hätten zum 2. Juli 2002 den bestehenden Pool-Vertrag gekündigt. Gleichzeitig habe eine der Poolbanken ihre Kreditlinien mit Wirkung zum 15. Juli 2002 gekündigt. Deshalb seien die Geschäftsführungen der SER Systems AG und der SER Softtech GmbH (vormals SER Technology Deutschland GmbH) verpflichtet gewesen, für beide Gesellschaften den Insolvenzantrag zu stellen.

Am 12. Juni habe der damalige Alleinvorstand, gemeint ist Reinhardt, das US-amerikanische Geschäft der Gesellschaft veräußert, schreibt SER. Die Gesellschaft habe den Käufer - also die KES Acquisitions LLC - aufgefordert, die “vertraglich fixierten Kaufpreisfälligkeiten wenigsten zum Teil vorzuverlegen”. Inzwischen sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass der Käufer, sprich Mergeles KES, diesem Verlangen nicht entsprechen werde.

Die SER-Tochter SER Solutions Deutschland GmbH ist von der Insolvenz derzeit nicht betroffen, erklärte Sikora auf Anfrage. Man sei um die Fortsetzung der Gesellschaft, in der das operative Geschäft der SER zusammengefasst sei, bemüht. (wh)