Neue Techniken erfordern neue Schulungskonzepte Projekterfahrene DV-Referenten muessen Loesungsansaetze aufzeigen

25.06.1993

Projektgebundene Ausbildungen - also Qualifizierungsmassnahmen, die sehr eng mit dem einzusetzenden System verflochten sind und nicht so recht zu den schulungsueblichen Standardthemen passen - stellen neue Anforderungen an die Bildungsplaner, Seminarentwickler und Referenten. Sie nehmen nach Auffassung von Peter Horstmann* schon jetzt eine nicht zu vernachlaessigende und immer wichtigere Position im Schulungsmarkt ein.

Der Erfolg unseres Wirtschaftssystems basiert wesentlich auf der Qualifikation seiner Beschaeftigten. Es ist daher ein riskantes Unterfangen, an der Aufrechterhaltung eben dieser Qualifikationen Abstriche vorzunehmen. In Frankreich zum Beispiel schreibt der Gesetzgeber aus diesem Grunde vor, dass ein bestimmter Prozentsatz der Lohnkosten eines Unternehmens in die Qualifizierung der Mitarbeiter investiert werden muss.

Aller Theorie zum Trotz ist das Einfrieren oder Kuerzen des Ausbildungsbudgets eine der ersten Massnahmen, die Unternehmen ergreifen, wenn sie kurzfristig Kosten senken wollen. Dabei wird in der Regel nicht die Notwendigkeit der Weiterqualifizierung an sich, sondern eher das Wann und das Wie zur Disposition gestellt. Viele Unternehmen gehen mittlerweile dazu ueber, fuer ihre Mitarbeiter gezielt Seminare an Orten auszuwaehlen, bei denen sich Reisezeiten und -kosten relativ gering halten lassen.

Personal-Manager aus dem Rhein-Ruhr-Raum wissen genau, dass die Seminargebuehr fuer ein Dreitageseminar in Muenchen eher sekundaere Bedeutung hat, da die Reisekosten in der Regel mindestens genauso hoch sind. Durch die Entscheidung fuer naeher gelegene Anbieter ist eine nicht unbetraechtliche Streckung eines knapperen Budgets moeglich.

Zu beobachten ist auch, dass sich die Fluktuation in den DV- Abteilungen der Unternehmen deutlich verringert. Die bei vielen DV-Spezialisten latent vorhandene Empfaenglichkeit fuer den Reiz des Neuen - sprich die neue Systemumgebung, das neue Konzept etc. wird jetzt eher dem Verlangen nach sozialer Sicherheit untergeordnet. Also bleibt man bis auf weiteres in der vertrauten Umgebung.

Beides zusammen fuehrt dazu, dass der Aus- und Weiterbildungssektor, der in den vergangenen Jahren auf Wachstumsraten von 20 Prozent und mehr ausgerichtet war, jetzt - nach den gaengigen Studien und Indikatoren - mit nur noch einstelligen Steigerungsraten rechnen muss.

Bisher lag stets ein Aufgabenschwerpunkt darin, fuer fast alle Bereiche immer mehr gute neue Referenten zu gewinnen; jetzt schieben sich mehr und mehr die betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweisen in den Vordergrund, die in normalen Organisationen seit eh und je zu finden sind. Mit anderen Worten: Kostendenken ist gefragt, und das bei gleichbleibender oder verbesserter Qualitaet, die ja bekanntlich ihren Preis hat. Eines jedoch wird zwangslaeufig die Folge sein: Das Seminarspektrum wird an Artenvielfalt verlieren, und der DV- Profi, der sich seit Jahren nicht entscheiden konnte, ob er ein Spezialseminar nun besuchen soll oder nicht, tut gut daran, sich bald zu entschliessen, denn es ist zu erwarten, dass die Kataloge der Seminaranbieter kuenftig duenner sein werden.

Neben den konjunkturellen Widrigkeiten aber stellt die aktuelle Entwicklung in der Informationstechnologie die Schulungsinstitute vor eine weitere Herausforderung: Die Tage der grossen Ausbildungsreihen fuer Anwendungsentwickler in klassischen Mainframe-Umgebungen scheinen gezaehlt; die Themen aus dem Client- Server-Umfeld haben etwa bei der Integrata AG schon einen groesseren Umsatzanteil als die Themen aus dem herkoemmlichen IT-Bereich.

Unternehmen vollziehen in ihrer DV-Landschaft natuerlich nicht permanent jeden Trend der Informationstechnologie mit und gehen auch mehr als frueher dazu ueber, die DV-Neuerungen nach ihrem konkreten Nutzen fuer das Unternehmensgeschaeft zu beurteilen. Trotzdem werden die Moeglichkeiten, die verteilte Systeme und Vernetzung heute bieten, die IT-Landschaft entscheidend veraendern. Die eigentliche Herausforderung fuer die Aus- und Weiterbilder besteht darin, diese Themen praxisorientiert in Seminare umzusetzen und von projekterfahrenen Referenten behandeln zu lassen.

Seminare muessen, um ihre Existenzberechtigung zu behalten, noch weiter ueber das reine Vermitteln von technischen Fakten hinausgehen. Gefragt ist nach wie vor das Herausarbeiten der Problemstellungen und das Aufzeigen von Loesungsansaetzen. Zu den Aufgaben der Referenten gehoert es aber auch, bei vielen Teilnehmern erst noch die Akzeptanz fuer die neuen Plattformen und fuer eine andere Denkweise zu schaffen.

Neben der Faehigkeit, dies zu leisten, muessen Dozenten ein hohes Mass an Flexibilitaet mitbringen, nicht nur im Umgang mit den neuen Techniken, sondern auch in der zielgerichteten projektbegleitenden Schulung.

Oft fuehren Unternehmen neue Systeme ein, und wenn man sie nach einem Jahr kritisch betrachtet, zeigt sich, dass die zur Verfuegung stehenden Moeglichkeiten nicht einmal zur Haelfte genutzt werden. Hier muss eine situationsbedingt abgestimmte Ausbildung und Motivierung der Beteiligten, insbesondere der Anwender, ansetzen, damit die Vorteile eines neuen Systems auch zu Vorteilen fuer das Unternehmen werden. Multiplikatorenschulungen wie auch der gezielte Einsatz von CBTs sind hier keineswegs tabu, sondern integraler Bestandteil eines Gesamtkonzepts.

Nachdenken ueber Seminar-Outsourcing

Die Faehigkeit, im technischen Wandel Kompetenz unter Beweis zu stellen und ein weiterer Zuwachs an Flexibilitaet fuer individuell konzipiertes Training werden also kuenftig die ausschlaggebenden Kriterien fuer ein erfolgreiches Qualifizierungs-Management sind.

Daneben gibt es allerdings in vielen Unternehmen noch die Ueberlegung, ob es weiterhin Sinn macht, fast alles selbst zu erledigen. Die DV-Weiterbildungsabteilungen sind oft noch auf grosse Anzahlen auszubildender Anwendungsentwickler ausgerichtet. Es stellt sich die Frage, ob hier Outsourcing eine Alternative sein kann.

Sicherlich muss dies in jedem Fall einzeln betrachtet und entschieden werden, aber der derzeitige Trend von Betrieben, sich auf das Kerngeschaeft zu konzentrieren, ist nicht zu uebersehen.

*Peter Horstmann ist Leiter ProduktManagement bei der Integrata AG in Tuebingen.