Der IuK-Technik nicht angepaßte Strukturen in den Griff bekommen:

Neue Techniken erforden neue Kompetenzen

12.08.1988

Die Integration neuer Informations- und Kommunikationstechniken wird durch zahlreiche Faktoren behindert. In den Unternehmen stehen alte Organisationsstrukturen technischer Weiterentwicklung im Wege. Rainer Holthaus, Projektleiter im Bereich Kommunikationstechnik bei SCS, analysiert die Probleme und bietet Lösungsansätze.

Die technische Entwicklung in der Informationsverarbeitung stellt hohe Anforderungen an die Kooperation der beteiligten Abteilungen. Investitionen in Textsysteme hatten "früher" nichts mit der Entwicklung von DV-Anwendungen und der entsprechenden Ausstattung der Sachbearbeiter mit DV-Terminals zu tun. Ebensowenig war es erforderlich, beides mit der Aufstellung einer privaten Telex-Vermittlungsanlage zu verbinden. Bedingt durch die technische Entwicklung zur Multifunktionalität von Systemen und Integration von Funktionen sieht die Situation "heute" ganz anders aus:

Texte werden in der Regel nicht nur erstellt, sondern auch verschickt. Soll dies über die Telex-/Teletext-Vermittlungsanlage erfolgen oder ist hier eine Electronic-Mail-Lösung auf dem Zentralrechner besser? Könnte dann auch der Fernschreibbetrieb über den Zentralrechner abgewickelt werden?

Wie aber sieht es dann mit der Belastung des Zentralrechners aus? Kann die neue DV-Anwendung auch noch bewältigt werden oder wird für zukünftige Aufgaben ein neuer Rechner benötigt?

Weiter ausholend stellt sich noch eine Vielzahl weiterer Fragen. Sollen und können DV-Terminals so mit der Textverarbeitung verbunden werden, daß Autorenkorrekturen möglich werden? Ist es sinnvoll, mit allen Anwendungen den Zentralrechner zu belasten oder sollte ein Teil der Anwendungen auf dezentrale Systeme ausgelagert werden? Wie aber läßt sich ein komplexes System aus Servern, LANs, ISDN-Vermittlungssystem und Zentralrechner realisieren und überwachen?

Angemessene Problemlösungen können nur in gemeinsamer Arbeit und Abstimmung der entsprechenden Abteilungen und unter Bezug auf ein (eventuell noch zu entwickelndes) Gesamtkonzept gefunden werden.

Dabei müssen die zu erarbeitenden Lösungen nicht nur technischen, sondern auch fachlichen und wirtschaftlichen Anforderungen gerecht werden. An Planung und Einführung beteiligt sind deshalb im allgemeinen die Fachabteilungen, die einzelnen Betriebsabteilungen (DV, Organisation, Nachrichtentechnik etc.) sowie das Controlling (Betriebswirtschaft).

Bei noch nicht an die Entwicklung neuer Technologien angepaßten organisatorischen Regelungen ergeben sich in der Zusammenarbeit dieser Abteilungen zahlreiche Reibungsflächen. Diese führen nicht nur zu einem schlechten Arbeitsklima, sondern auch zu unproduktiv verwendeter Arbeitszeit sowie zu Lösungen, die eher das Verhandlungsgeschick und den politischen Einfluß der beteiligten Abteilungen widerspiegeln, also nicht fachlich, technisch und wirtschaftlich optimiert sind.

Die Zuständigkeit der einzelnen Abteilungen bezieht sich in den meisten Unternehmen auf spezifische Technik-Systeme (siehe Abbildung), so zum Beispiel auf die Telefon- oder Telex-Nebenstellenanlage, Textsysteme, den Zentralrechner mit den zugehörigen DV-Netzen etc. Diese Zuordnung war solange berechtigt und sinnvoll, wie diese Systeme nur für spezifische, voneinander getrennte Anwendungen geeignet waren. Für eine bestimmte Anwendung kann auch nur ein technisches System in Frage kommen. Zuständigkeitsprobleme zwischen den einzelnen Betriebsabteilungen konnten nach Zuordnung der technischen Systeme nicht auftauchen.

Diese Situation hat sich durch die zunehmende Multifunktionalität von Systemen stark verändert: Zum Beispiel kann die Texterstellung sowohl auf PCs als auch auf Textsystemen, Mehrplatzsystemen oder dem Host erfolgen. Textkommunikation kann in Form von Telex sowohl über die alten Endgeräte und Nebenstellenanlagen als auch über den Host oder in Form des Electronic-Mail ebenfalls über den Host betrieben werden. Diese zunehmende Multifunktionalität ehemals monofunktionaler Systeme eröffnet den zuständigen Beteiligten daher die Möglichkeit, sich neue Einflußgebiete zu erschließen (siehe Abbildung).

Die zunehmende Verantwortung könnte dazu führen, mehr Stellen, finanzielle Mittel und hierarchische Rangordnung zu erhalten. Ein Vordringen in neue Einflußgebiete ist aber verbunden mit einem gleichzeitigen Zurückdrängen der Abteilungen, die hier bisher tätig waren. Der Interessenkonflikt ist also vorprogrammiert. So wird die Diskussion, welche technische Alternative die geeignetste ist, häufig nicht mehr sachorientiert geführt, sondern als Vehikel von Abteilungsegoismen benutzt.

War die technische Kompetenz der Betriebsabteilungen - zumindest der klassischen Datenverarbeitung - bis vor kurzem auch in der Fachabteilung unbestritten, so wird diese seit dem Aufkommen kleinerer, individuell anpaßbarer Systeme (vor allem PCs mit entsprechender Software) zunehmend in Frage gestellt. Durch Anwendungsstau (tatsächlichem oder nur eingebildetem) dringendem Bedarf und eine entsprechende Vertriebs-/Verkaufspolitik der Anbieter gefördert, begann die Fachabteilung sich selbst "schlau zu machen". Auf Basis dieses erworbenen technischen Know-hows bezweifelte man den technischen Sachverstand der Betriebsabteilungen und versuchte mal mehr, mal weniger erfolgreich, selbst entwickelte Vorstellungen auch gegen den Willen der Betriebsabteilungen durchzusetzen. So entstanden neue Konflikte: Nicht nur, daß sich die Fachabteilungen Kompetenzen der Betriebsabteilungen anmaßten, die Betriebsabteilung wurde auch noch mit den Folgewirkungen von Entscheidungen konfrontiert, auf die sie nur unzureichenden Einfluß hatte (zum Beispiel Support, Ausbau und Integration der eingesetzten Systeme).

Kompetenzgerangel erschwert Problemlösung

Fachabteilungen entwickeln - vor allem dann, wenn sie als Profit-Center organisiert sind - ein starkes Eigeninteresse auch in bezug auf technische Lösungen. Diese sollen in erster Linie auf ihre eigenen Bedürfnisse abgestimmt sein. Gegen ein solches Eigeninteresse ist nichts einzuwenden, es kann jedoch vor allem in Verbindung mit Technikbudget-Rechten zu unliebsamen Folgen bei abteilungsübergreifenden Lösungen führen. So ist es möglich, daß der Einsatz unterschiedlicher Abteilungsrechner oder PCs in verschiedenen Fachabteilungen von den Bedürfnissen der einzelnen Abteilung her absolut gerechtfertigt ist. Die Realisierung übergreifender Lösungen (zum Beispiel Integration von Datenbanken oder DV-Anwendungen, Electronic Mail) kann allerdings einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern oder gar übergreifende Lösungen auch ganz verhindern.

Dieser Konflikt zwischen den Fachabteilungen tritt allerdings in der Regel nur als Konflikt zwischen Fachabteilung und Betriebsabteilung in Erscheinung, da die Betriebsabteilung die übergreifenden Lösungen zu vertreten beziehungsweise durchzusetzen hat.

In vielen Unternehmen ist für eine technische Investition die Zustimmung eines eigenständigen Controllings erforderlich, wodurch die Wirtschaftlichkeit der Investition sichergestellt werden soll. Ein Controller läßt sich von einer Lösung im Regelfall nur dann überzeugen, wenn sie sich "rechnet".

Doch selbst bei sachlich richtig angesetzten Personaleinsparungen wird sich nicht jede Investition "rechnen" lassen, sondern zusätzlich qualitativ begründet werden müssen. Das Controlling kennt aber häufig die Aufgabe der Fachabteilungen nicht gut genug, um die Bedeutung eines qualitativen Effekts angemessen einschätzen zu können. Der Streit hierüber ist vorprogrammiert, der Ausgang für die Fachabteilung nicht vorhersehbar. So verlegt sie sich häufig lieber auf das "Rechnen", schönt die Zahlen zu ihren Gunsten und hofft, die auf dem Papier eingesetzte Personalkapazität bei den Personalplanungen durch "Aufgabenzuwachs" gegenrechnen zu können.

Ein weiterer Konflikt entsteht dann, wenn das Controlling die Betriebsabteilung auffordert, nachzuweisen, daß die mit dem Technikeinsatz verfolgten Ziele nicht auch mit einer preisgünstigeren Alternative erreicht werden können. Wenn der Controller nicht über ein relativ umfangreiches Wissen auf dem Technikgebiet verfügt, wird der Betriebsabteilung dieser Nachweis sehr leicht fallen - ob dies nun der Realität entspricht oder nicht.

Das Controlling kann somit seiner Aufgabe nur dann gerecht werden, wenn es sich sowohl fachlich kompetent macht (um das Gewicht qualitativer Effekte einschätzen zu können) als auch technisches Know-how erwirbt (um wenigstens rudimentär Angaben der Betriebsabteilungen beurteilen zu können). Technikbedingt entstehen also auch an den Schnittstellen des Controllings zu den Fach- und Betriebsabteilungen Konflikte neuer Art, die einer Regelung bedürfen.

Relativ verbreitet sind Regelungen, die die Zusammenarbeit von Fach- und Betriebsabteilung betreffen (zum Beispiel Benutzer-Service-Zentren, spezifische individuelle Lösungen unter bestimmten Auflagen, Verlegung bestimmter technikbezogener Kompetenzen in die Fachabteilung bei gleichzeitigem Vetorecht der Betriebsabteilung für Technik-Investitionen).

Im Controlling gehen Unternehmen zunehmend dazu über, ein spezielles EDV-Controlling aufzubauen. Hierdurch soll das Controlling in die Lage versetzt werden, Investitionen in neue IuK-Techniken beurteilen und steuern zu können. Überwinden will man hierbei die unangemessene "reine Rechnerei" ebenso wie die Schwächen bei der Einschätzung der von Fach- und Betriebsabteilungen vorgetragenen "qualitativen" Argumente für die Gerätebeschaffung.

Bei der Neuregelung der Zusammenarbeit der Betriebsabteilungen kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, daß hier das Unternehmensmanagement übervorsichtig verfährt. So will man das Problem der Zusammenarbeit und der Neuordnung der Kompetenzen zwar lösen, aber gleichzeitig größere Konflikte vermeiden. Ausdruck eines solchen Führungsverhaltens ist die Einrichtung von Arbeitskreisen mit dem Auftrag, mehr oder minder übergreifende Lösungen zu erarbeiten.

In diesen Arbeitskreisen sind zwar einerseits alle relevanten Betriebsabteilungen vertreten. Da aber von seiten der Führung die häufig unausgesprochene Erwartung besteht, daß alle Beteiligten dem Papier zustimmen, wird dieses kaum Vorschläge enthalten, die den Status quo bestehender Einflußgebiete verändern. Solche Papiere enthalten entweder nur den kleinsten gemeinsamen Nenner oder sind so allgemein gehalten, daß sie keinerlei Konsequenzen für anstehende Aufgaben haben.

Eingriff von oben sichert Investitionen ab

Die Betriebsabteilungen werden also kaum in der Lage sein, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Dies muß die Unternehmensführung durch aktives Eingreifen selbst besorgen.

Die Zeit drängt, da einerseits fortlaufende Investitionen getätigt werden, andererseits aber häufig ein Gesamtkonzept noch aussteht, welche die Zukunftssicherheit der Investitionen garantiert.

Angesichts dieser Situation bieten sich prinzipiell zwei Lösungswege an:

- Zunächst Neuordnung der Betriebsabteilungen und anschließend Erarbeiten des Gesamtkonzeptes in diesen neuen Strukturen oder

- zunächst Erarbeiten eines Gesamtkonzeptes in einer von der Unternehmensführung gesteuerten Projektorganisation, welches den Stellenwert der zukünftig einzusetzenden Techniken bestimmt. Anschließend Neuorganisation der Betriebsabteilung im Hinblick auf die aus dem Konzept ableitbaren Aufgabenstellungen.

Meiner Ansicht nach sollte man im allgemeinen der zweiten Alternative den Vorrang geben, zum einen aufgrund des erwähnten Zeitdrucks, zum anderen, weil es sich bei Reorganisationsmaßnahmen als sinnvoller erwiesen hat, zunächst die Aufgabe und dann die Organisation zu bestimmen, als umgekehrt zunächst Organisationseinheiten zu bilden und ihnen anschließend erst Aufgaben zuzuweisen.

Faktoren, die die Einführung und Integrierung neuer IuK-Techniken erschweren:

- Schnelligkeit der technischen Entwicklung (Leistungssteigerungen bei gleichzeitigen Preisrückgang)

- noch nicht abgeschlossene Standardisierungen

- fehlende finanzielle Mittel

- fehlendes Know-how der Betriebsabteilungen (DV, Organisation, Nachrichtentechnik)

- fehlende personelle Kapazität Schwierigkeiten, die kosten zu rechtfertigen

- mangelndes Interesse des Managements

- Notwendigkeit, vorhandene Anwendungen zu konsolidieren ("Anwendungsstau")

- überkommene, der neuen IuK-Technik nicht angepaßte Organisations-Strukturen und -Regelungen.