Lösungen mit Layer-3-Funktionalität

Neue Switches tasten sich in die Domäne der Router vor

06.09.1996

Seit einigen Jahren gehört der Switch zu den Lieblingen der Marketing-Abteilungen von Netzkomponenten-Herstellern, denn er öffnet neue Absatzmärkte. Teilweise ging die Begeisterung über das neue Verbindungsglied in den lokalen Netzen so weit, daß die Ablösung der klassischen Router bereits propagiert wurde.

Mag diese Euphorie auch etwas zu früh gekommen sein, so ist der Kern der Aussagen nicht völlig verfehlt. Das Szenario einer Switch-basierten Netzinstallation ist nicht mehr nur ein Hirngespinst der Industrie. In den Labors der Hersteller brüten die Entwicklungsingenieure über Möglichkeiten, wie sich Switches um Routing-Funktionalität aufrüsten lassen.

Noch gibt es aber klare Trennlinien zwischen den Routing- und den Switching-Komponenten. Immer noch arbeiten die Switches auf der Ebene 2 des ISO-OSI-Referenzmodells. Dort interpretieren sie die Media-Access-Control-(MAC-)Adressen der Kommunikationspartner und schicken die empfangenen Frames, teils ohne Prüfung, entsprechend ihrer Zieladresse weiter.

Das muß kein Nachteil sein, denn diese Vorgehensweise macht die Switches zu sehr schnellen Komponenten und aufgrund der Protokolltransparenz zu leicht handhabbaren Geräten. "Switches im LAN haben den Vorteil, daß für die Systemadministration kaum Kenntnisse erforderlich sind", erklärt Dietmar Ulrich, Vertriebsleiter bei der Megabyte EDV Handels GmbH, München, die Vorzüge der LAN-Komponenten.

Anders als Router müssen die Komponenten kaum konfiguriert werden. Sie benötigen keine Daten für die Filterung, für die Wegewahl oder um Sicherheitsbarrieren aufzubauen. "Switches sind lediglich modifizierte Bridges", klassifiziert der Manager die Geräte.

Heftigen Widerspruch erntet der Münchner jedoch von einem Anwender, der sich tagtäglich mit den Folgen einer geswitchten Umgebung, den virtuellen LANs (VLANs), auseinandersetzen muß: "Die Switching-Technik ist sehr verwaltungsintensiv", klagt Karl-Heinz Pötter, verantwortlich für Systeme und Netze bei der Staatsanwaltschaft am Landesgericht in Berlin. Er habe extra einen Netzmanager delegieren müssen, der mit der Konfiguration der VLANs beschäftigt sei.

In den Bereich der VLANs, so einer der Unterschiede zwischen Switches und Router, haben sich letztere bislang kaum vorgewagt. Die virtuellen Netze werden überwiegend mit Switches realisiert. Bis auf wenige Ausnahmen verfügen Router nicht über Funktionen, um die Einbindung entfernter über eine WAN-Strecke angeschlossener Mitarbeiter in eine virtuelle Gruppe zu ermöglichen. Das VLAN endet also meistens an der Schnittstelle des Unternehmens zum Weitverkehrsnetz.

"Wenn die Daten das lokale Netz verlassen, müssen sie immer einen Router passieren", beschreibt Ulrich das klassische Einsatzfeld der intelligenten Komponenten. Dazu benötigen die Geräte entsprechende Konfigurationsdaten. Wer darf an welche ISDN-Nummer Daten übertragen? Wer hat überhaupt die Berechtigung, das lokale Netz zu verlassen - und wenn ja, wohin? Welche Anrufer dürfen sich von außen einwählen? Sind die Antworten auf derartige Fragen einprogrammiert, übernimmt der Router auch Funktionen einer Firewall, also einer Sicherheitsbarriere zum Schutz des internen Netzes.

Der Einsatz beschränkt sich nicht auf die Schnittstelle nach außen: Router sorgen auch für die Kommunikation zwischen den Subnetzen einer lokalen Installation. Dort filtern sie Broadcast- Nachrichten, um den Netzverkehr zu minimieren, erlauben dem Administrator die Verwaltung der Netze und optimieren die Wegewahl der Kommunikation, so daß die Daten möglichst wenige Sprünge (Hops) von Router zu Router bis zum Ziel benötigen.

Doch in diesem Revier wollen Hersteller wie Cisco oder Digital Equipment die neue Generation ihrer Switches wildern lassen. Zu diesem Zweck statten sie die Netzhardware, die derzeit noch nach dem Cut-Trough-, Store-and-Forward- oder gemischten Switching- Verfahren arbeiten (siehe Lexikothek), mit Layer-3-Funktionalität aus.

"Das Routing ist komplex, und Switching-Geräte erlauben nur flache Netzstrukturen", erläutert Ralf Kothe, Product-Marketing-Manager bei Bay Networks in Wiesbaden, das Dilemma heutiger Komponenten. Mit herkömmlichen Switching-Umgebungen lassen sich keine großen Netze einrichten, und jeder zusätzliche Router auf dem Kommunikationsweg bremst den Fluß.

Um nun aber bei dem Datentransfer zwischen den Subnetzen eines Unternehmens nicht auf die Schnelligkeit der Switches und auf die Intelligenz der Router verzichten zu müssen, soll die neue Switching-Generation ebenso wie Router über die Wegewahl entscheiden können. "Bei Layer-3-Switches ist die Routing- Intelligenz in ASICs gegossen", charakterisiert der Bay-Networks- Manager die Geräte.

Ebenso wie Router lesen sie die Adressen der gängigen Protokolle wie IP, IPX oder Decnet ein. Anders als Router übernehmen sie jedoch keine Kontrolle der Prüfsumme. Der Switch reicht also fehlerhaft empfangene Pakete weiter, statt sie abzuweisen. Dem Vorteil der schnelleren Bearbeitung der Pakete steht demnach die unnötige Belastung des Netzes mit überflüssigen Paketen gegenüber.

Die Welt der Datenkommunikation wird daher nicht auf die Dienste der Router verzichten können. Das WAN bleibt weiterhin die Domäne der klassischen Netzgeräte. "Switching im Weitverkehrsnetz macht nur Sinn, wenn genügend Bandbreite zur Verfügung steht", schränkt Kothe ein. Es werde nur noch eine Frage der Zeit sein, bis es auch im WAN erschwingliche Leitungen gebe, zeigt sich der Fachmann im Hinblick auf die bevorstehende Öffnung des TK-Marktes optimistisch.

Mit der Erweiterung des verfügbaren Portfolios an Netzwerk- Komponenten um die neue Generation der Layer-3-Switches läßt sich in naher Zukunft folgendes Szenario malen: Im lokalen Umfeld werden weiterhin Switches beim Übergang von einem Segment ins nächste eingesetzt. Wo die Subnetz-übergreifende Kommunikation erforderlich ist, könnten möglicherweise Layer-3-Switches zum Tragen kommen. Die Schnittstelle zum Weitverkehrsnetz besetzen aufgrund der noch teuren Leitungen nach wie vor die Router.

Derzeit sind die geswitchten Szenarien im WAN Utopie. Ob sie jemals zur Realität werden können, liegt weniger an der technischen Machbarkeit als an der Entwicklung des Marktes für WAN-Verbindungen. Die haben aber keine Hersteller wie Bay Network, Cisco, 3Com und IBM in der Hand, sondern die Carrier und die treffen ihre Entscheidungen nach eigenen Kriterien, zu denen die Absatzmöglichkeiten von Switches allerdings nicht gehören.