Neue Studie plädiert für Klassengesellschaft im Netz

19.03.2007
Die Gleichbehandlung der Datenpakete ist volkswirtschaftlich ineffizient.

Neue Internet-Anwendungen wie Video on Demand, Voice over IP, Online-Spiele oder gehostete Anwendungen erzeugen nicht nur umfangreiche Datenströme, sondern stellen auch hohe Anforderungen hinsichtlich der Vollständigkeit und Beständigkeit der Übertragung. Die Gleichbehandlung aller zu übertragenden Inhalte wird diesen Ansprüchen kaum gerecht. Eine aktuelle Studie der Universität St. Gallen plädiert deshalb für die Einführung von Prioriätsklassen, im Fachjargon: für eine Quality-of-Service- oder QoS-Struktur.

Was passieren kann, wenn jedes Datenpaket mit derselben Dringlichkeit transportiert wird, zeigte sich Ende vergangenen Jahre in Südostasien: Ein Seebeben hatte sechs von acht Unterwasserkabeln vor der taiwanischen Küste zerstört. Die verbliebenen Kapazitäten wurden von hochvolumigen, aber ökomisch relativ wertlosen Anwendungen verstopft, so dass einfache Transaktionen wie beispielsweise die Authentifizierung von Kreditkarten nicht mehr funktionierten, erläutert Walter Brenner, Lehrstuhlinhaber am St. Gallener Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI).

Gemeinsam mit seinen Professorenkollegen Rüdiger Zarnekow (Technische Universität Berlin) und Jörn Kruse (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) hat Brenner untersucht, wie sich diese für Anbieter wie Konsumenten unbefriedigende Situation verbessern ließe. Die Studie soll am Donnerstag über die Webpage der St. Gallener Hochschule zum Download bereitstehen. Gegen Entgelt wird später auch eine gedruckte Version zu haben sein.

Das momentan übliche "Best-Effort"-Modell ist "innovationsfeindlich" und "ökonomisch ineffizient", fasst Kruse die Untersuchungsergebnisse aus wirtschaftlicher Sicht zusammen. Indem die nach kommerziellen Gesichtspunkten geringwertigen, aber datenintensiven Applikationen immer mehr zunähmen, verdrängten sie die bereits vorhandenen "hochwertigen" Anwendungen und verhinderten möglicherweise sogar das Entstehen neuer Geschäftsmöglichkeiten im Internet.

Für dieses Problem gibt es drei Lösungsmöglichkeiten, mit denen sich die Studie auseinandergesetzt hat: Das "Overprovisioning", also das Bereitstellen der maximal benötigten Bandbreite, sei ökonomischer Unfug, zumal die hohe Kapazität derzeit allenfalls drei Stunden am Tag - zwischen 19:00 und 22:00 Uhr - benötigt werde. Die Regulierung über eine Abschaffung der Flatrates und eine Bezahlung pro Datenpaket hingegen schränke den Netzverkehr in den restlichen 21 Stunden mehr ein als notwendig. Sinnvoll sei es vielmehr, das Best-Effort-Modell durch kostenpflichtige Zusatzangebote zu ergänzen. Eine Analogie dafür liefere derzeit schon der Pakettransporteur DHL, der im Rahmen seines "Express"-Angebots alternativ zum Standarddienst eine Lieferung bis zum Mittag des folgenden Tages garantiere.

Nach den Vorstellungen der drei Hochschullehrer werden die auf QoS basierenden Geschäftsmodelle mit Paketen operieren, die sich jeweils aus Content-Übertragung und Qualitätsklasse zusammensetzen. Wie sich in den Interviews mit den Verbrauchern herausgestellt habe, sei die Akzetanz höher, wenn der Content-Provider, also nicht der Netzbetreiber die Abrechnung mit dem Kunden übernehme.

Bevor solche Modelle in der Praxis Erfolg haben können, sind allerdings ein paar Herausforderungen zu meistern, so die Studie weiter: Zum einen muss ein industrieweiter QoS-Klassenstandard definiert werden. Zum anderen ist ein Mechanismus notwendig, der die Weiterleitungsvereinbarungen zwischen den Netzbetreibern kontrolliert. Zum dritten sollten alle beteiligten Gruppen - Konsumenten, Content und Netz-Provider sowie Werbewirtschaft - in der neuen Struktur einen Vorteil für sich erkennen können.

Letztlich sind auch die Staatsregierungen in die Pflicht genommen. Wer einen "virtuellen Standortvorteil" erringen wolle, dürfe die Differenzierung des Datentransports nicht behindern, führt der Hamburger Professor Kruse aus. Dabei dürfte seine Forderung gar nicht so schwer zu erfüllen sein: "Wir erwarten vom Gesetzgeber, dass er gar nichts tut." (qua)